Dieser Tage wurde die Leuchte fertiggestellt, die innerhalb des Denkmals auf diejenige in Pacific Palisades/Los Angeles verweist, die dort vor dem Haus steht, das Thomas Mann mit seiner Familie während seines Exils in Kalifornien bewohnte, dem heutigen Thomas Mann House. Die Kunstgießerei Anton Gugg hat dafür einen Aluminiumguss angefertigt. Damit ging abermals ein längerer Prozess zu Ende: Nach Fotos, die ich 2019 gemacht hatte, und nach Plänen der Public Works Los Angeles wurde ein digitales Modell der Leuchte gezeichnet, vom Künstler Florian Froese-Peek, mit einem 3‑D-Drucker in ein dreidimensionales 1:1 Modell aus Kunststoff übertragen, dann im Ausschmelzverfahren gegossen. Ich hatte Pacific Palisades im Herbst 2019 besucht – siehe der Blogeintrag. Lange hatte ich recherchiert und mich bemüht, eine Leuchte von dort zu bekommen – was sich als schwierig herausstellte. Auch der Transport nach Deutschland wäre ein langwieriges Unternehmen gewesen, wie ich am Beispiel der in den USA produzierten Leuchte nach dem Modell in New York feststellen musste. Letzen Endes habe ich mit der Reproduktion den Rat von Bob Gale befolgt, Drehbuchautor und Filmproduzent (unter anderem „Zurück in die Zukunft“), der in der Nachbarschaft wohnt. Er schrieb damals: „My suggestion is that you have the fixture extensively photographed and measured, and then duplicate it in Germany. This would be the most cost effect and simple solution.“ Dieser Vorschlag kommt sicher nicht von ungefähr von einem, der in der Filmbranche zu Hause ist, in dem oft mit Requisiten und Nachbildungen gearbeitet wird. Und vielleicht passt das Konzept der Replik einer Leuchte aus den 1920/30er- Jahren mittels moderner digitaler, aber auch traditioneller Verfahren, für ein Denkmal, das in der Zukunft – voraussichtlich im Spätherbst 2023 – aufgestellt werden soll, ja auch zum Motto „Back to the Future“.
Nach langer Corona-Pause wieder Fahrten zu den Orten der Manns, in die Schweiz, zur Entgegennahme von Leuchten und Schildern. Zwar ließe sich das per Post senden, doch finde ich es interessant, zu den Orten und Leuten (freudscher Vertipper: Leuchten) zu fahren, selbst wenn das mehr Arbeit macht.
Nidden/Nida auf der kurischen Nehrung in Litauen also, wo Thomas Mann sich 1929 ein Ferienhaus bauen ließ – und es 1930 am 16. Juli bezog. Um diese Zeit findet seit 23 Jahren hier im Haus, jetzt Museum, ein Thomas-Mann-Festival mit Lesungen, Vorträgen und Konzerten statt.
Ich reise an mit Zug, Bus und Fähre, zwei Tage, etwa so lange, wie es auch zu Zeiten der Manns dauerte, um die Entfernung zu erfahren.
Im Haus höre ich u.a. Jindrich Mann, Enkel von Heinrich Mann, versuche ein Gefühl für Ort und Landschaft zu bekommen, spreche mit Mann-Experten und Vertretern von Institutionen über das Denkmalprojekt.
Interessant, dass Thomas Mann 1930 hierherkam, und die zwei folgenden Sommer hier verbrachte, also die letzten Ferien vor der Emigration. Die selbstgewählte Reise, Entfernung gegenüber der unfreiwilligen, erzwungenen. Nidden als ein „Refugium, vielleicht sogar eine Art Vor-Exil“, wie Frido Mann schreibt.
Ich unterhalte mich mit Uwe Naumann, Philologe, Lektor bei Rowohlt und intimer Kenner der Familie Mann, über das Denkmalprojekt. Es taucht die Frage auf: Wie kann man deutlich machen, dass Internationalität und häufiger Ortswechsel eben nicht durch Reiselust und Tourismus, sondern größtenteils durch Emigration bedingt waren? Thomas Mann sei der sesshafteste Mensch gewesen, den man sich vorstellen könne – und wäre sicher weiter in München geblieben. Es handle sich also um ein „erzwungenes Weltbürgertum.“ Die Unterscheidung ist nicht leicht zu treffen, da die Manns ja auch in der erzwungenen Fremde über Mittel und Unterstützer verfügten, um einen gehobenen Lebens- und Reisestil aufrechtzuerhalten, und die Orte der Mannschen Emigration ja nicht die hässlichsten waren: Beispielsweise Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur, wie Nida ein Küsten- und Badeort, der sich zur Anlaufstelle von Emigranten entwickelte, und den ich im Herbst 2020 besuchen werde.
Das kann wohl nur durch zusätzliche Bild- und Textinformationen geschehen, und indem man die Leuchten und ihre Orte zusammendenkt. In Nidden beispielsweise steht die Leuchte ja vor einem Ferienhaus, einem festen Gebäude, das bewusst für längeren, wochen- und monatelangen Aufenthalt geplant und in Auftrag gegeben wurde. Mit seinem breiten Dach, dem Walm aus Reet, strahlt es den Wunsch nach Sesshaftigkeit und Verwurzeltsein aus. Es ist gebaut in Anlehnung an traditionelle, ortstypische Bauweise, eine Fischerhütte oder besser, ‑kate, mit den gewachsenen Materialien Holz und Reet, dem Regionalität signalisierenden Preußisch-Blau auf den Stirnseiten des Dachs, den Fensterläden und ‑rahmen.
Ein Gespräch mit Lina Motuzienė, Leiterin des Thomas-Mann-Kulturzentrums, gerät schnell ins Praktische: Sie telefoniert mit einer Mitarbeiterin der Neringos Komunalininkas, des hiesigen Bauhofs, der für die Kommunen der Nehrung zuständig ist, und kurz darauf radle ich los, um dort eine Lampe in Augenschein zu nehmen. Somit bieten sich auch Blicke hinter die Kulissen von Nida. Bald finde ich mich in einer Werkstatt wieder, auf dem Tisch eine Leuchte, die ich gleich mitnehmen könne – und auf litauisch und englisch diskutieren wir über Maße, Leuchtmittel, Gewicht und die Frage, ob es diese sein könne oder das „Original“, das mir am liebsten wäre – bis zwei Mitarbeiter hereinkommen und feststellen, das auf dem Tisch sei nicht das vor dem Kulturzentrum verwendete Modell, sondern ein kleineres, und das „richtige“ hereinbringen – in der Tat eine Nummer größer und schwerer. Die Leuchte wird angeschlossen und getestet, und in der Tat, das ist das rötliche Licht, das abends auf den Straßen, Plätzen und Uferpromenaden zu finden ist. Sie bieten an, die Leuchte gleich gegen die vor dem Thomas-Mann-Haus auszutauschen. Wir fahren los.
Wiederum geht es schnell: Die Leuchte vor dem Haus wird abgebaut, im Bibliotheksraum zwischengelagert und mir übergeben – eben am 16. Juli!
Eine schöne Szene: Im Vordergrund installieren zwei Mitarbeiter von Neringos Komunalininkas eine Leiter und montieren die Lampe ab, gerade neben dem Hinweisschild auf das Museum. Im Hintergrund das Ferienhaus, aus dem durch die offene Tür der Veranda wohlartikulierte Sätze über Nidden tönen, die Charakteristik der Landschaft und ihrer Menschen – Texte von Thomas, gelesen von Frido Mann.
Als die Leuchte heruntergehoben ist, sieht man ihre Oberseite zart bedeckt von hellgrauen Flechten – stand sie doch unter Kiefern, wo Feuchtigkeit und Schatten für ein günstiges Klima sorgten. Auf diese Weise wird mit der Leuchte auch ein Stück Ostsee-Flora nach München importiert.
Der Vortrag von Uwe Naumann über die Manns und das Meer fügt sich an diesem Tag insofern ganz gut, als der erste Teil meiner Rückreise ja auch über die Ostsee stattfinden wird, mit der Fähre nach Kiel.
Seine vorhergehende Lesung der Geschichte „Das Eisenbahnunglück“ von Thomas Mann passt auch, zumindest was das Verkehrsmittel ab Kiel betrifft … An die Dramatik der Erzählung reicht die Fahrt nicht heran – auch wenn es DB-bedingt verschiedene Zwischenfälle gibt, die in einer Verspätung von anderthalb Stunden resultieren – was jedoch nur halb solang wie in der Geschichte ist.
Albert Coers: Straßen Namen Zeichen, Denkmal für die Familie Mann, Entwurf, 2018
Das Denkmal für die Familie Thomas Mann besteht aus Schildern von Straßen, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, und aus Straßenleuchten. Diese stammen aus München, aber auch aus anderen Orten der Welt, die mit der Familie Mann in Bezug stehen.
In Schildern und Leuchten spiegelt sich die Internationalität der Familie Mann wider, von München ausgehend, mit Lebens- und Wirkungsorten in Europa, den USA und Südamerika, gleichzeitig ihre weltweite literarische Ausstrahlung und Bedeutung. Dies ist auch anhand der unterschiedlichen Straßenbezeichnungen (Via, Rue, Rua…) ablesbar. Die Aufstellung orientiert sich an der Lage der Orte zueinander und bildet eine imaginäre Karte. Angesprochen sind Aspekte von Ortsverbundenheit, gleichzeitig Emigration, Ortswechsel sowie grenzüberschreitendem Weltbürgertum, wofür die Familie als Beispiel gelten kann.
Ausgangspunkt sind Situationen in München, dem langjährigen Lebensmittelpunkt der Familie. Hier gibt es inzwischen mehrere Straßen und Plätze, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, nach Erika, Klaus, Elisabeth, Golo. Jedoch liegen diese an wenig frequentierten Orten, in Neubaugebieten, an der Peripherie, sind so im kollektiven Gedächtnis wenig präsent. Diese Schilder, samt der Lampen, an denen sie befestigt sind, werden ins Zentrum der Stadt gebracht, als Gruppe versammelt und dadurch stärker sichtbar. Es findet eine „Familienzusammenführung“ statt. Gleichzeitig verweisen Schilder und Lampen zurück auf ihre ursprünglichen Standorte. Damit betont das Denkmal den Bezug zu urbanen Strukturen.
Namen
Für Katia Mann, nach der bisher keine Straße und kein Platz benannt ist, wird ein neues Schild geschaffen. Dies macht „Frau Thomas Mann“ stärker im Bezug zur Stadt sichtbar, war sie doch gebürtige Münchnerin und entstammte der jüdischen Familie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz verloren und emigrieren mussten. Die Benennung im Denkmal nimmt vorweg, was eigentlich ein langwieriger Prozess wäre. Diese Mischung von Realität und Fiktion ist auch Verweis auf literarische Verfahren, wie sie Thomas oder auch Klaus Mann praktizierten.
Leuchten
Geplant sind ca. 15 Leuchten und Schilder. Neben solchen aus München zeigen weitere die Spannweite zwischen Europa, Nord- und Südamerika, stellen Bezüge her. Ein Straßenschild stammt aus Paris, Lübeck ist als Geburtsort von Thomas Mann und Schauplatz von „Buddenbrooks“ vertreten. Aus Frankfurt stammen Lampe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Standort eines Denkmals für verfolgte Homosexuelle; damit ist ein Bestandteil der Identität mehrerer Familienmitglieder inbegriffen.
Rom ist präsent
als Aufenthaltsort von Thomas (und Heinrich) Mann in jungen Jahren. Für den
südamerikanischen Teil (Thomas Manns Mutter Julia stammte aus Brasilien) stehen
Straßenlampe/Schild aus São Paulo.
Eine Leuchte wird dagegen aus Nida/Nidden in Litauen kommen, bevorzugte Sommerfrische der Familie Mann. Sanary-Sur-Mer an der Côte d’Azur war erster Ort der Emigration in den 1930er Jahren. Von dort stammt eine Lampe, die für die Familie insgesamt steht, ebenso eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heute: Renwick), wo die Manns wiederholt abstiegen.
Auf Los Angeles verweist eine Leuchte. Dort ließ Thomas Mann 1942 eine Villa bauen, die er bis zur Rückkehr nach Europa 1952 bewohnte. Eine Leuchte aus Kilchberg stellt eine Beziehung her zum Wohnort von Thomas und Katia, auch von Erika (nach der in Zürich eine Straße benannt ist) und zuletzt Golo, der in Leverkusen verstarb.
Recherchereisen an die jeweiligen Orte sind Bestandteil des Projekts, ebenso eine Buchpublikation, die Hintergrund und Entstehung des Denkmals dokumentiert, vermittelt und ergänzt, auch um die aktuellen Situationen der Straßenschilder und Leuchten vor Ort.