Dieser Tage wurde die Leuchte fertiggestellt, die innerhalb des Denkmals auf diejenige in Pacific Palisades/Los Angeles verweist, die dort vor dem Haus steht, das Thomas Mann mit seiner Familie während seines Exils in Kalifornien bewohnte, dem heutigen Thomas Mann House. Die Kunstgießerei Anton Gugg hat dafür einen Aluminiumguss angefertigt.
Damit ging abermals ein längerer Prozess zu Ende: Nach Fotos, die ich 2019 gemacht hatte, und nach Plänen der Public Works Los Angeles wurde ein digitales Modell der Leuchte gezeichnet, vom Künstler Florian Froese-Peek, mit einem 3‑D-Drucker in ein dreidimensionales 1:1 Modell aus Kunststoff übertragen, dann im Ausschmelzverfahren gegossen.
Ich hatte Pacific Palisades im Herbst 2019 besucht – siehe der Blogeintrag.
Lange hatte ich recherchiert und mich bemüht, eine Leuchte von dort zu bekommen – was sich als schwierig herausstellte. Auch der Transport nach Deutschland wäre ein langwieriges Unternehmen gewesen, wie ich am Beispiel der in den USA produzierten Leuchte nach dem Modell in New York feststellen musste.
Letzen Endes habe ich mit der Reproduktion den Rat von Bob Gale befolgt, Drehbuchautor und Filmproduzent (unter anderem „Zurück in die Zukunft“), der in der Nachbarschaft wohnt. Er schrieb damals: „My suggestion is that you have the fixture extensively photographed and measured, and then duplicate it in Germany. This would be the most cost effect and simple solution.“ Dieser Vorschlag kommt sicher nicht von ungefähr von einem, der in der Filmbranche zu Hause ist, in dem oft mit Requisiten und Nachbildungen gearbeitet wird.
Und vielleicht passt das Konzept der Replik einer Leuchte aus den 1920/30er- Jahren mittels moderner digitaler, aber auch traditioneller Verfahren, für ein Denkmal, das in der Zukunft – voraussichtlich im Spätherbst 2023 – aufgestellt werden soll, ja auch zum Motto „Back to the Future“.
Kategorie: Allgemein
Vortrag: Ein Denkmal für die Familie Mann, Tagung „Vor Ort: Erinnerung, Exil, Migration“, 3.9.2021
Am 3.9.2021 hält Albert Coers einen Vortrag zum Denkmal für die Familie Mann, auf der Online-Tagung „Vor Ort: Erinnerung, Exil, Migration“, Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum München, 3.–4.9.2021.
Die Jahrestagung 2021 beschäftigt sich mit Orten des Exils und der Migration und ihrem Verhältnis zu Erinnerungskulturen und regt den Austausch zwischen der Exilforschung und anderen Forschungsrichtungen an, die sich mit (erzwungener) Migration und Flucht befassen.
Mehr Informationen, Programm und Ameldung hier.
„Schöner Schilderwald“: Radiobeitrag
Am 21. 3.2021 gab es auf Bayern 2 im Kulturjournal das Radiofeature „Schöner Schilderwald. Der Künstler Albert Coers und sein Münchner Denkmal für die Familie Mann“ von Astrid Mayerle. Hier zum Nachhören.
Zürich: Erika Mann, Schilder und Arbeit
Nach langer Corona-Pause wieder Fahrten zu den Orten der Manns, in die Schweiz, zur Entgegennahme von Leuchten und Schildern. Zwar ließe sich das per Post senden, doch finde ich es interessant, zu den Orten und Leuten (freudscher Vertipper: Leuchten) zu fahren, selbst wenn das mehr Arbeit macht.
„Zürich: Erika Mann, Schilder und Arbeit“ weiterlesenKlaus Mann, Thomas Mann und der Frankfurter Engel
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Manns und ihrer Rezeption treten auch in den Straßennamen und ihren Schildern zutage. Frankfurt ist eine der wenigen Städte – neben München die einzige – in der eine Straße oder ein Platz nach Klaus Mann benannt ist. Ich rufe bei der Stadt Frankfurt an und frage nach dem Schild, um es ins Denkmal einzubauen. „Thomas Mann können sie gleich haben, Klaus Mann haben wir leider gerade nicht“ ist die Auskunft.
„Klaus Mann, Thomas Mann und der Frankfurter Engel“ weiterlesenNew York – Mann Avenue
In New York gibt es keine Straße, die nach Thomas Mann benannt wäre, auch nicht nach anderen Mitgliedern der Familie. Dafür war Mann, obwohl Nobelpreisträger und amerikanischer Staatsbürger, für die Stadt nicht dann doch bedeutend genug. Im alten Teil Manhattans sind Straßen nach für die national-amerikanische und die lokale Geschichte als wichtig erachteten Personen des 18. und 19. Jahrhunderts benannt, nach den Founding Fathers, Ingenieuren, Geschäftsleuten. Und das pragmatisch-neutrale System der Nummerierung der Straßen, das darüberhinaus für die neuere Zeit verwendet wird, kommt einer Identifikation mit Namen nicht entgegen.
Aber gibt es nicht doch etwas? Vielleicht auch nur den Familiennamen? Um die Suche interessanter zu gestalten und mehr Kontext zwischen die Finger zu bekommen, nehme ich meinen Stadtplan von 2005 zur Hand (deren Karten seit 1988 unverändert scheinen) mit „Total Index of Streets“. Da das Straßenverzeichnis nach den Five Borroughs gegliedert ist, blättere ich Stadtteil für Stadtteil durch, Manhattan, Bronx, Brooklyn, Queens: wie zu erwarten: nichts. Im letzten, in Staten Island jedoch gibt es eine „Mann Avenue“.
Das freut mich – und die Straße kommt auf die Liste der zu besuchender Orte in New York. Auch wenn sich Bedenken anmelden: Ich weiß, dass es in den USA und weltweit hunderte von „Mann“-Straßen gibt (so z.B. auch in Wien). Sie haben mit Thomas Mann und seiner Familie nichts zu tun – außer, dass sie den Familiennamen teilen. Wäre es nicht ein Fake oder zumindest ein Abweg in die Beliebigkeit, sich da einfach einen oder mehrere Straßennamen an verschiedenen Orten herauszupicken und auf diese Weise den Anschein von noch mehr Bedeutung und Internationalität der Familie Mann zu generieren?
Andererseits: ist es nicht zuletzt die Allgemeinheit des Namens „Mann“, die mich bei dem Projekt interessiert? Und beim Alexandria-Projekt, bei dem ich verschiedene Städte bereiste, die nur der gemeinsame Name verband, in Ägypten, Virginia, Italien, – ging es da nicht auch um die Mehrdeutigkeit von Namen, die „Bedeutung“, die wir ihnen zumessen?
Und so geht es zur Mann Avenue, nach Staten Island.
Wie bei den bisher besuchten (Thomas) Mann-Straßen, in Rom etwa, so liegt auch diese etwa anderthalb Stunden vom Zentrum (Manhattan, Bowery) entfernt. Mit der Subway zum Battery Park, mit der Fähre nach Staten Island, dann mit dem Bus quer über die Insel – von der ich bisher keine Vorstellung hatte, wie groß sie ist und wie weit sie sich erstreckt.
Die Mann Ave selbst – der Busfahrer, nachdem er sich buchstabierend vergewissert hat „M‑A-N‑N“?, kennt sie, was ich gar nicht erwartet hatte. Eine der vielen Querstraße zum langen Victory Boulevard. Das System der Gegensätze Street und kreuzenden Avenues ist beibehalten – obwohl die „Avenue“ wenig von ihren prominenten Verwandten auf Manhattan hat.
Ich mache Fotos, messe am Pfosten herum, „Looks good?“ fragt ein Mann, der vorbeikommt. Ob er wisse, nach wem die Straße benannt sei? Er weiß es nicht, aber interessanterweise stammen für ihn nach Personen benannte Straßen vor allem aus der jüngsten Gegenwart. „Usually they put two signs on it, like „Victory Boulevard“ and like „Billy Smith“, after a firefighter“. Er deutet stolz auf sein Poloshirt, auf dem das Abzeichen einer freiwilligen Feuerwehr eingestickt ist. 9/11 hat also in der Straßenbenennung Spuren hinterlassen, und da es keine „freien“ Straßen gab, hat die Stadt Abschnitte bestehender Straßen mit Namen versehen – als Form des Gedenkens.
Es dämmert und wird bei der Rückfahrt zur Fähre endgültig dunkel.
Unterwegs zu den Manns – New York – Hotel Bedford/Renwick
In New York wohnten Klaus und Erika, aber auch Thomas Mann und Katia häufig im Hotel Bedford, 118 E 40th St., zwischen der Lexington und der Park Ave. Klaus und Erika waren Stammgäste, schrieben hier u.a. am Emigrantenroman „Escape to Life“. Das Hotel, schlicht-elegante Backsteinfassade mit Einsprengseln von Art Deco, war verkehrsgünstig gelegen, nahe dem Grand Central, preislich in der Mittelklasse (die Nacht für drei Dollar) und Anlaufstelle auch für Schriftstellerkollegen. Der Sprachwissenschaftler Philipp Angermeyer rekapituliert im Artikel „Wohnen wie Klaus Mann“ diese Zeit. Dieses Hotel als Kreuzungspunkt der Familie Mann scheint mir interessant – ich suche es auf.
Heute heißt das Hotel „Renwick “, wird von der Hilton-Kette betrieben und ist „very artsy“: Türen und Wände der Lobby sind von einem Künstler bemalt und beschriftet, mit Porträts und Aussprüchen von Schriftstellern, die hier gewohnt haben, – darunter Hemingway, Steinbeck, Fitzgerald – und auch Thomas Mann, dessen Nobelpreis erwähnt ist. Von Klaus und Erika ist nicht die Rede, auch wenn sie viel länger hier wohnten als ihr Vater – vielleicht waren sie den Betreibern nicht bedeutend genug – und ein „Mann“ reichte.
In der Nähe des Empfangs ein Designobjekt aus vielfach gekreuzten Leuchtstäben. Und, gleich am Eingang, über dem Sturz der Innentür, begrüßt einen ein Zitat von Thomas Mann, das die Kunst selbst zum Gegenstand hat: „Art is the funnel, as it were, through which spirit is poured into life.“ [Kunst ist sozusagen der Trichter, durch den der Geist ins Leben geschüttet wird]. Das in Versalbuchstaben, eine Inschrift, ein Motto, unter dem man das Hotel betritt. Man darf sich als Gast damit als Teilhaber an Geist und Kunst fühlen, auf Augenhöhe mit den großen Geistern, die hier aus- und eingingen. Auf jeden Fall müssen Thomas Mann und „Kunst“ (was auch immer hier darunter zu verstehen ist) hier arg für das Marketing herhalten.
Draußen auf der Straße geht es weniger artsy zu: Als ich ankomme, ist gerade voller Betrieb, der Hoteleingang wird gefegt, die Müllabfuhr ist zu Gange, es kracht und stinkt, Taxis, Autos hupen. Zwischen und über allem steht stoisch die Leuchte (deren eine Lampe übrigens gerade ausgefallen ist, wie sich bei einem Besuch abends zeigt).
Die Straßenleuchte spiegelt in ihrer Höhe (fast neun Meter) und ihrem Design die Grandeur der Weltstadt New York und das des Bezirks in Midtown Manhattan wider – mit zwei tropfenförmigen Köpfen, wie sie hier im District stehen.
Die Leuchte ist aber auch interessant, was ihre Betreuung und den Betrieb von urbanem Mobiliar allgemein angeht: Für sie ist nicht allgemein die Kommune, die Stadt New York zuständig, sondern eine „Partnership“, ein Zusammenschluss von Geschäften und Firmen, die in diesem Quartier der Innenstadt angesiedelt sind und es betreuen, eine Art privat organisiertes Kiezmanagement, das seit den 1980er Jahren aktiv ist, der Zeit, als man die Probleme New Yorks mit Neustrukturierungen zu lösen versuchte. Es gibt verschiedene, auf der Leuchte ist das Signet der Grand Central Partnership angebracht. Im Hintergrund tauchen Fragen auf: Wer kümmert sich um die öffentlichen Einrichtungen einer Stadt, wie ist sie organisiert, wem „gehört“ eine Stadt?
„Mein Nidden“ – zu den Manns an die Ostsee
Nidden/Nida auf der kurischen Nehrung in Litauen also, wo Thomas Mann sich 1929 ein Ferienhaus bauen ließ – und es 1930 am 16. Juli bezog. Um diese Zeit findet seit 23 Jahren hier im Haus, jetzt Museum, ein Thomas-Mann-Festival mit Lesungen, Vorträgen und Konzerten statt.
Ich reise an mit Zug, Bus und Fähre, zwei Tage, etwa so lange, wie es auch zu Zeiten der Manns dauerte, um die Entfernung zu erfahren.
Im Haus höre ich u.a. Jindrich Mann, Enkel von Heinrich Mann, versuche ein Gefühl für Ort und Landschaft zu bekommen, spreche mit Mann-Experten und Vertretern von Institutionen über das Denkmalprojekt.
Interessant, dass Thomas Mann 1930 hierherkam, und die zwei folgenden Sommer hier verbrachte, also die letzten Ferien vor der Emigration. Die selbstgewählte Reise, Entfernung gegenüber der unfreiwilligen, erzwungenen. Nidden als ein „Refugium, vielleicht sogar eine Art Vor-Exil“, wie Frido Mann schreibt.
Ich unterhalte mich mit Uwe Naumann, Philologe, Lektor bei Rowohlt und intimer Kenner der Familie Mann, über das Denkmalprojekt. Es taucht die Frage auf: Wie kann man deutlich machen, dass Internationalität und häufiger Ortswechsel eben nicht durch Reiselust und Tourismus, sondern größtenteils durch Emigration bedingt waren? Thomas Mann sei der sesshafteste Mensch gewesen, den man sich vorstellen könne – und wäre sicher weiter in München geblieben. Es handle sich also um ein „erzwungenes Weltbürgertum.“
Die Unterscheidung ist nicht leicht zu treffen, da die Manns ja auch in der erzwungenen Fremde über Mittel und Unterstützer verfügten, um einen gehobenen Lebens- und Reisestil aufrechtzuerhalten, und die Orte der Mannschen Emigration ja nicht die hässlichsten waren: Beispielsweise Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur, wie Nida ein Küsten- und Badeort, der sich zur Anlaufstelle von Emigranten entwickelte, und den ich im Herbst 2020 besuchen werde.
Das kann wohl nur durch zusätzliche Bild- und Textinformationen geschehen, und indem man die Leuchten und ihre Orte zusammendenkt. In Nidden beispielsweise steht die Leuchte ja vor einem Ferienhaus, einem festen Gebäude, das bewusst für längeren, wochen- und monatelangen Aufenthalt geplant und in Auftrag gegeben wurde. Mit seinem breiten Dach, dem Walm aus Reet, strahlt es den Wunsch nach Sesshaftigkeit und Verwurzeltsein aus. Es ist gebaut in Anlehnung an traditionelle, ortstypische Bauweise, eine Fischerhütte oder besser, ‑kate, mit den gewachsenen Materialien Holz und Reet, dem Regionalität signalisierenden Preußisch-Blau auf den Stirnseiten des Dachs, den Fensterläden und ‑rahmen.
Ein Gespräch mit Lina Motuzienė, Leiterin des Thomas-Mann-Kulturzentrums, gerät schnell ins Praktische: Sie telefoniert mit einer Mitarbeiterin der Neringos Komunalininkas, des hiesigen Bauhofs, der für die Kommunen der Nehrung zuständig ist, und kurz darauf radle ich los, um dort eine Lampe in Augenschein zu nehmen. Somit bieten sich auch Blicke hinter die Kulissen von Nida. Bald finde ich mich in einer Werkstatt wieder, auf dem Tisch eine Leuchte, die ich gleich mitnehmen könne – und auf litauisch und englisch diskutieren wir über Maße, Leuchtmittel, Gewicht und die Frage, ob es diese sein könne oder das „Original“, das mir am liebsten wäre – bis zwei Mitarbeiter hereinkommen und feststellen, das auf dem Tisch sei nicht das vor dem Kulturzentrum verwendete Modell, sondern ein kleineres, und das „richtige“ hereinbringen – in der Tat eine Nummer größer und schwerer. Die Leuchte wird angeschlossen und getestet, und in der Tat, das ist das rötliche Licht, das abends auf den Straßen, Plätzen und Uferpromenaden zu finden ist. Sie bieten an, die Leuchte gleich gegen die vor dem Thomas-Mann-Haus auszutauschen. Wir fahren los.
Wiederum geht es schnell: Die Leuchte vor dem Haus wird abgebaut, im Bibliotheksraum zwischengelagert und mir übergeben – eben am 16. Juli!
Eine schöne Szene: Im Vordergrund installieren zwei Mitarbeiter von Neringos Komunalininkas eine Leiter und montieren die Lampe ab, gerade neben dem Hinweisschild auf das Museum. Im Hintergrund das Ferienhaus, aus dem durch die offene Tür der Veranda wohlartikulierte Sätze über Nidden tönen, die Charakteristik der Landschaft und ihrer Menschen – Texte von Thomas, gelesen von Frido Mann.
Als die Leuchte heruntergehoben ist, sieht man ihre Oberseite zart bedeckt von hellgrauen Flechten – stand sie doch unter Kiefern, wo Feuchtigkeit und Schatten für ein günstiges Klima sorgten. Auf diese Weise wird mit der Leuchte auch ein Stück Ostsee-Flora nach München importiert.
Der Vortrag von Uwe Naumann über die Manns und das Meer fügt sich an diesem Tag insofern ganz gut, als der erste Teil meiner Rückreise ja auch über die Ostsee stattfinden wird, mit der Fähre nach Kiel.
Seine vorhergehende Lesung der Geschichte „Das Eisenbahnunglück“ von Thomas Mann passt auch, zumindest was das Verkehrsmittel ab Kiel betrifft … An die Dramatik der Erzählung reicht die Fahrt nicht heran – auch wenn es DB-bedingt verschiedene Zwischenfälle gibt, die in einer Verspätung von anderthalb Stunden resultieren – was jedoch nur halb solang wie in der Geschichte ist.
Kilchberg – Ruhe, Leuchten und Narzissen
Vielleicht ist es nicht schlecht, vom Ende, von der letzten Station der Manns her anzufangen. Eine Fahrt nach Zürich – und ins nahegelegene Kilchberg, wo Thomas Mann, Katia, Erika und Golo nach der Rückkehr aus dem Exil in den USA ab 1952 wohnten und auf dem Friedhof zusammen mit Michael, Monika begraben sind. Von besonderem Interesse: Die Leuchte vor dem Wohnhaus, auf einer älteren Schwarzweiß-Aufnahme in der Rowohlt-Monographie über die Familie Mann prominent zu sehen, jedoch über Google Street View nicht, ebensowenig das Straßenschild „Erika-Mann-Strasse“ in Zürich, die es seit kurzem gibt. Und Bilder aus anderen Quellen finden sich im Netz auch nicht – so bemerkenswert und wichtig scheinen diese Straßenlaternen und Straßenschilder dann doch nicht zu sein, als dass sie fotografiert würden – vielleicht sind die Schilder auch viel zu neu. Diese Lücken in der Bild-Verfügbarkeit allein rechtfertigen bereits die Tour in die Schweiz!
Im Vorfeld, vermittelt durch Andreas Marti, der in Zürich den Kunstraum dienstgebäude betreibt, Kontakt mit Christoph Doswald, verantwortlich für Kunst im öffentlichen Raum. Ihm schildere ich mein Anliegen, und er schreibt auch gleich zurück: das Projekt klinge spannend; eine schöne Idee, die biografischen Stationen mit dem Mobiliar des öffentlichen Raums zusammenzubringen. In der Praxis stelle es sich möglicherweise etwas komplizierter dar, er können allenfalls in Sachen Zürich-Oerlikon helfen. „Was hingegen Kilchberg betrifft, so liegt das polit-geografisch nicht im unserem Territorium.“ Hier begegnet bereits ein Phänomen, auf das ich im Lauf der Recherche immer wieder stoßen werde: die Zahl der Zuständigkeiten und anzufragenden Stellen vergrößert sich von mal zu mal.
Hubert Kretschmer, Verleger, Künstler und Sammler von Künstlerpublikationen nimmt mich im Golf nach Zürich mit. Dabei ist auch Rainer Grüner, seinerseits Sammler von Künstlerbüchern. Ziel ist eine Ausstellung in der Graphischen Sammlung an der ETH (wo nebenbei auch der Nachlass Thomas Manns betreut wird). Auf diesem Kurztrip kommen ganz unterschiedliche Dinge zusammen.
Von der Ausstellung mit der S‑Bahn nach Kilchberg, am Zürisee gelegen, etwa 20 Minuten fährt man, über die Stadtgrenzen hinaus. Der Bahnhof strahlt Ruhe, Solidität und Kurortstimmung aus, mit einer Karte des Sees, einer roten Holzbank – und einer Arztpraxis gleich daneben.
Da man in den Ort nach oben steigt, gibt es viele Treppen und Durchgangssituationen. Auch damit hängt wohl das Bedürfnis nach Abgrenzung und Privatheit zusammen, ausgedrückt durch Zäune und Schilder. Aber auch sonst atmen die Anwesen eine gewisse Abgeschlossenheit.
„Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe“ – so beschreibt Thomas Mann in einem Brief seine Wünsche. Man kann verstehen, warum er hierherzog. Dazu kommen Seeblick und Kurortatmosphäre.
Das Sanatorium in Kilchberg, an dem man vorbeigeht, lässt in Zusammenhang mit Thomas Mann unwillkürlich an den „Zauberberg“ denken, auch wenn es sich nicht um eine Lungenheilanstalt, sondern eine Privatklinik für Psychotherapie handelt. Der Ort liegt ebenfalls in der Höhe, siehe auch den Namensbestandteil „-berg“.
Das Straßenschild „Alte Landstrasse“, wo die Manns wohnten, ist solide, mit einem Rand-Rahmen eingefasst, tief geprägt, wie ein Stempel, den es der Straße und Umgebung aufdrückt. Die Buchstaben klassisch modern, schnörkel- und serifenlos, schweizerische Typografie. Sie kontrastieren mit dem Inhalt und beziehen sich auf die damalige moderne Gegenwart. Das Schild mag aus den 1950er/60er Jahren stammen, also als Thomas und Katia Mann hierherzogen.
Aus etwa derselben Zeit dürfte auch die Straßenleuchte stammen, die vor dem Haus Nr. 39 steht. Auf einem älteren Schwarz-Weiß-Foto ist sie zu erkennen, und offensichtlich noch dieselbe. Die Bäume im Hintergrund sind größer geworden, sonst hat sich nicht viel verändert. Die Gegenwart hat lediglich in Form einiger Sticker auf dem Lampenmast Spuren hinterlassen, eine geballte Faust, „FCZ“ darunter, wohl eine Drohgebärde gegen den 1. FC Zürich, und „FCK NZS“, ebenfalls auf drei Konsonanten reduzierte Wörter, deren Sinn man leicht erschließen kann. Diese Zeugnisse einer linken Szene hätte man hier, im soignierten Kilchberg, nicht erwartet.
Die Leuchte mit ihrem gebogenen Mast, lässt an eine schlanke Figur denken – nicht zufällig die Bezeichnung „Lampenkopf“ -, die aus luftiger Höhe und Distanz auf die Straße hinunterschaut.
Vor der Lampe auf der Straße die schwarzen Schriftzeichen aus Teer.
Das Haus des „notorischen Villenbesitzers“ selbst, breit, mit weit vorgezogenem Walmdach, umgeben von hohen Bäumen, Zaun und Hecke. Es vermittelt Zurückgezogenheit, wirkt aber nicht abweisend. Das rostige Tor steht leicht offen, wie um hereinzubitten.
Am Pfeiler daneben eine Gedenktafel, die nüchtern feststellt, dass hier die Familie Thomas Mann wohnte, und die ehemaligen Bewohner und die Jahre ihres Aufenthalts auflistet: Thomas Mann 1954–1955, also kurz bis zu seinem Tod, Katia dann lange, bis 1980, Erika bis zu ihrem Tod 1969, schließlich Golo lange 30 Jahre. Das Understatement, das nicht von Schriftstellertum etc. erzählt, ähnlich vornehm-lakonisch wie die Grabsteine der Familie auf dem Kilchberger Friedhof.
Eine abstrahierte Familie als Plastik vor dem Eingang – weder groß noch künstlerisch unbedingt wertvoll. Wohnt hier vielleicht nach den Manns (wieder) eine Familie? Darauf deutet weiter hin eine Blumenschale mit Narzissen und einem quietschbuntem Osterhasen – ein Kontrast zur sonstigen gedämpften Farbigkeit von Haus, Garten und Straße.
Das Gefühl von stehengebliebener Zeit – in der Reflexe der Gegenwart aufblitzen.