Als erster Bestandteil des Denkmals für die Familie Mann wurde im April 2024 das Schild „Rue Thomas Mann“ im charakteristischen Pariser Design am Salvatorplatz in München installiert, an der Fassade der Salvatorgarage. Es nimmt Bezug auf die Straße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écrivain allemand“ erinnert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arrondissement, im zeitgleich zur Benennung neugestalteten modernen Stadtviertel „Gare“, in Nachbarschaft der Bibliothèque François-Mitterrand (Französischen Nationalbibliothek, BnF), was die Wahl des Schriftstellers als Namensgeber umso plausibler macht. Das Schild steht für die literarischen, aber auch politischen deutsch-französischen Beziehungen und die Rolle, die Thomas Manns dabei einnahm. Er schätzte u.a. die Brüder Goncourt sehr, bezog entscheidende Anregungen aus ihren Werken für seinen Familienroman „Buddenbrooks“. Und er war der erste deutsche Schriftsteller, der nach dem 1. Weltkrieg im in Paris öffentlich auftrat, um eine Rede zu halten: „Die geistigen Tendenzen des heutigen Deutschlands“. In der Rolle eines inoffiziellen Kulturbotschafters der Weimarer Republik warb Mann für die deutsch-französische Freundschaft und die Völkerverständigung – siehe auch sein Bericht über die Reise und den Aufenthalt, „Pariser Rechenschaft“. Die Benennung ist auch ein Spiegel der späteren politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die sich in den 1990er-Jahren intensivierten.
Der Installation am Salvatorplatz vorausgegangen war ein längerer Prozess der Recherche und Kontaktaufnahme, unter anderem über das Goethe-Institut Paris. Letzlich wurde von der Stadt Paris die Freigabe zur Reproduktion des Schildes erteilt, ausgeführt von der Firma LACROIX Signalisation/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet.
Da in Paris Straßenschilder vorwiegend an Hausfassaden angebracht werden, galt es in München eine entsprechende Stelle zu finden. Die Fassade der Salvatorgarage bot sich an, dafür wurde das Einverständnis des Amts für Denkmalpflege eingeholt, sowie der Pächter bzw. Eigentümer, der Bavaria Parkgaragen GmbH und der Bayerischen Hausbau.
Die Montage selbst nahm in Zusammenarbeit mit Albert Coers Florian Froese-Peek vor.
Es ist schon einige Zeit her, dass ich in Lübeck war, dort, wo die Vorfahren der Familie von Thomas Mann lange ansässig waren, wo er selbst, wo Heinrich und seine vier Geschwister geboren und aufgewachsen sind, und wo eine Straße nach ihm benannt ist. Im Sommer 2019 war das. Jetzt, 2024, wo die Realisierung des Denkmals in greifbare Nähe rückt, inklusive des Straßenschildes aus Lübeck, versuche ich, anhand meiner Notizen und Erinnerungen den Aufenthalt zu rekonstruieren.
Als Ergänzungen zu den Straßenbenennungsschildern aus München sind Tafeln fertig geworden, die Informationen zu den Mitgliedern der Familie liefern und unterhalb der Schilder angebracht werden. Zusatzinformationen sind somit integraler Bestandteil des Denkmals. Die Texte liefern knappe Biographien zu Thomas, Katia, Klaus, Erika, Golo Mann und Elisabeth Mann. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Stadt München, Abteilung Public History (ehemals Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur). Die technische Realisierung übernahm das Baureferat München.
Bislang gab es diese Schilder nur für Thomas, Klaus und Erika Mann. Insofern lag es für mich nahe, alle Münchner Straßennamen mit solchen Ergänzungsschildern zu versehen und um solche für Katia, Golo und Elisabeth Mann zu ergänzen.
Die Schilder sind aus emailliertem Metall und daher im Vergleich zu ihrer Größe (15 x 45 cm) ziemlich schwer. Anlaß, die Schilder auf eine Personenwaage zu legen – und das Gewicht der Namen und Informationen zu testen.
Vielleicht ist es nicht schlecht, vom Ende, von der letzten Station der Manns her anzufangen. Eine Fahrt nach Zürich – und ins nahegelegene Kilchberg, wo Thomas Mann, Katia, Erika und Golo nach der Rückkehr aus dem Exil in den USA ab 1952 wohnten und auf dem Friedhof zusammen mit Michael, Monika begraben sind. Von besonderem Interesse: Die Leuchte vor dem Wohnhaus, auf einer älteren Schwarzweiß-Aufnahme in der Rowohlt-Monographie über die Familie Mann prominent zu sehen, jedoch über Google Street View nicht, ebensowenig das Straßenschild „Erika-Mann-Strasse“ in Zürich, die es seit kurzem gibt. Und Bilder aus anderen Quellen finden sich im Netz auch nicht – so bemerkenswert und wichtig scheinen diese Straßenlaternen und Straßenschilder dann doch nicht zu sein, als dass sie fotografiert würden – vielleicht sind die Schilder auch viel zu neu. Diese Lücken in der Bild-Verfügbarkeit allein rechtfertigen bereits die Tour in die Schweiz!
Im Vorfeld, vermittelt durch Andreas Marti, der in Zürich den Kunstraum dienstgebäude betreibt, Kontakt mit Christoph Doswald, verantwortlich für Kunst im öffentlichen Raum. Ihm schildere ich mein Anliegen, und er schreibt auch gleich zurück: das Projekt klinge spannend; eine schöne Idee, die biografischen Stationen mit dem Mobiliar des öffentlichen Raums zusammenzubringen. In der Praxis stelle es sich möglicherweise etwas komplizierter dar, er können allenfalls in Sachen Zürich-Oerlikon helfen. „Was hingegen Kilchberg betrifft, so liegt das polit-geografisch nicht im unserem Territorium.“ Hier begegnet bereits ein Phänomen, auf das ich im Lauf der Recherche immer wieder stoßen werde: die Zahl der Zuständigkeiten und anzufragenden Stellen vergrößert sich von mal zu mal.
Hubert Kretschmer, Verleger, Künstler und Sammler von Künstlerpublikationen nimmt mich im Golf nach Zürich mit. Dabei ist auch Rainer Grüner, seinerseits Sammler von Künstlerbüchern. Ziel ist eine Ausstellung in der Graphischen Sammlung an der ETH (wo nebenbei auch der Nachlass Thomas Manns betreut wird). Auf diesem Kurztrip kommen ganz unterschiedliche Dinge zusammen.
Von der Ausstellung mit der S‑Bahn nach Kilchberg, am Zürisee gelegen, etwa 20 Minuten fährt man, über die Stadtgrenzen hinaus. Der Bahnhof strahlt Ruhe, Solidität und Kurortstimmung aus, mit einer Karte des Sees, einer roten Holzbank – und einer Arztpraxis gleich daneben.
Da man in den Ort nach oben steigt, gibt es viele Treppen und Durchgangssituationen. Auch damit hängt wohl das Bedürfnis nach Abgrenzung und Privatheit zusammen, ausgedrückt durch Zäune und Schilder. Aber auch sonst atmen die Anwesen eine gewisse Abgeschlossenheit. „Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe“ – so beschreibt Thomas Mann in einem Brief seine Wünsche. Man kann verstehen, warum er hierherzog. Dazu kommen Seeblick und Kurortatmosphäre.
Das Sanatorium in Kilchberg, an dem man vorbeigeht, lässt in Zusammenhang mit Thomas Mann unwillkürlich an den „Zauberberg“ denken, auch wenn es sich nicht um eine Lungenheilanstalt, sondern eine Privatklinik für Psychotherapie handelt. Der Ort liegt ebenfalls in der Höhe, siehe auch den Namensbestandteil „-berg“.
Das Straßenschild „Alte Landstrasse“, wo die Manns wohnten, ist solide, mit einem Rand-Rahmen eingefasst, tief geprägt, wie ein Stempel, den es der Straße und Umgebung aufdrückt. Die Buchstaben klassisch modern, schnörkel- und serifenlos, schweizerische Typografie. Sie kontrastieren mit dem Inhalt und beziehen sich auf die damalige moderne Gegenwart. Das Schild mag aus den 1950er/60er Jahren stammen, also als Thomas und Katia Mann hierherzogen.
Aus etwa derselben Zeit dürfte auch die Straßenleuchte stammen, die vor dem Haus Nr. 39 steht. Auf einem älteren Schwarz-Weiß-Foto ist sie zu erkennen, und offensichtlich noch dieselbe. Die Bäume im Hintergrund sind größer geworden, sonst hat sich nicht viel verändert. Die Gegenwart hat lediglich in Form einiger Sticker auf dem Lampenmast Spuren hinterlassen, eine geballte Faust, „FCZ“ darunter, wohl eine Drohgebärde gegen den 1. FC Zürich, und „FCK NZS“, ebenfalls auf drei Konsonanten reduzierte Wörter, deren Sinn man leicht erschließen kann. Diese Zeugnisse einer linken Szene hätte man hier, im soignierten Kilchberg, nicht erwartet.
Die Leuchte mit ihrem gebogenen Mast, lässt an eine schlanke Figur denken – nicht zufällig die Bezeichnung „Lampenkopf“ -, die aus luftiger Höhe und Distanz auf die Straße hinunterschaut. Vor der Lampe auf der Straße die schwarzen Schriftzeichen aus Teer.
Das Haus des „notorischen Villenbesitzers“ selbst, breit, mit weit vorgezogenem Walmdach, umgeben von hohen Bäumen, Zaun und Hecke. Es vermittelt Zurückgezogenheit, wirkt aber nicht abweisend. Das rostige Tor steht leicht offen, wie um hereinzubitten.
Am Pfeiler daneben eine Gedenktafel, die nüchtern feststellt, dass hier die Familie Thomas Mann wohnte, und die ehemaligen Bewohner und die Jahre ihres Aufenthalts auflistet: Thomas Mann 1954–1955, also kurz bis zu seinem Tod, Katia dann lange, bis 1980, Erika bis zu ihrem Tod 1969, schließlich Golo lange 30 Jahre. Das Understatement, das nicht von Schriftstellertum etc. erzählt, ähnlich vornehm-lakonisch wie die Grabsteine der Familie auf dem Kilchberger Friedhof. Eine abstrahierte Familie als Plastik vor dem Eingang – weder groß noch künstlerisch unbedingt wertvoll. Wohnt hier vielleicht nach den Manns (wieder) eine Familie? Darauf deutet weiter hin eine Blumenschale mit Narzissen und einem quietschbuntem Osterhasen – ein Kontrast zur sonstigen gedämpften Farbigkeit von Haus, Garten und Straße.
Das Gefühl von stehengebliebener Zeit – in der Reflexe der Gegenwart aufblitzen.
Albert Coers: Entwurf, Perspektive, Zeichnung: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Das Denkmal für die Familie Thomas Mann besteht aus Schildern von Straßen, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, und aus 15 Straßenleuchten. Diese stammen aus München, aber auch aus anderen Orten der Welt, die mit der Familie Mann in Bezug stehen, mit Thomas Mann, seiner Frau Katia und ihren Kindern Klaus, Erika, Golo, Elisabeth, Michael und Monika.
In Schildern und Leuchten spiegelt sich die Internationalität der Familie Mann wider, von München ausgehend, mit Lebens- und Wirkungsorten in Europa, den USA und Südamerika, gleichzeitig ihre weltweite literarische Ausstrahlung und Bedeutung. Dies ist auch anhand der unterschiedlichen Straßenbezeichnungen (Via, Rue, Rua…) ablesbar. Die Aufstellung orientiert sich an der Lage der Orte zueinander und bildet eine imaginäre Karte. Angesprochen sind Aspekte von Ortsverbundenheit, gleichzeitig Emigration, Ortswechsel sowie grenzüberschreitendem Weltbürgertum, wofür die Familie als Beispiel gelten kann.
Die bauliche Fertigstellung des Denkmals ist für Frühjahr/Sommer 2024 geplant.
Albert Coers: AusführungsEntwurf 2021, Perspektive, Zeichnung: Florian Froese-Peek
Ausgangspunkt sind Situationen in München, dem langjährigen Lebensmittelpunkt der Familie. Hier gibt es inzwischen mehrere Straßen und Plätze, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, nach Erika, Klaus, Elisabeth, Golo. Jedoch liegen diese an wenig frequentierten Orten, in Neubaugebieten, an der Peripherie, sind so im kollektiven Gedächtnis wenig präsent. Diese Schilder, samt der Lampen, an denen sie befestigt sind, werden ins Zentrum der Stadt gebracht, als Gruppe versammelt und dadurch stärker sichtbar. Es findet eine „Familienzusammenführung“ statt. Gleichzeitig verweisen Schilder und Lampen zurück auf ihre ursprünglichen Standorte. Damit betont das Denkmal den Bezug zu urbanen Strukturen.
Namen
Für Katia Mann, nach der bisher keine Straße und kein Platz benannt ist, wird ein neues Schild geschaffen. Angebracht ist es an einer auf dem Platz vorhandendenen Leuchte, die um wenige Meter versetzt und so in die Gruppe der weiteren Leuchten des Denkmals einbezogen wird. Dies macht „Frau Thomas Mann“ stärker im Bezug zur Stadt sichtbar, war sie doch gebürtige Münchnerin und entstammte der jüdischen Familie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz verloren und emigrieren mussten. Die Benennung im Denkmal nimmt vorweg, was eigentlich ein langwieriger Prozess wäre. Diese Mischung von Realität und Fiktion ist auch Verweis auf literarische Verfahren, wie sie Thomas oder auch Klaus Mann praktizierten.
Leuchten
Neben Leuchten und Schildern aus München, die erinnern an Thomas, Erika, Klaus, Golo Mann und Elisabeth Mann Borgese, zeigen weitere die Spannweite zwischen Europa, Nord- und Südamerika, stellen Bezüge her. Ein Straßenschild „Rue Thomas Mann“ stammt aus Paris und wird gemäß der dort üblichen Anbringung an der Wand der Salvatorgarage zu sehen sein. Lübeck ist als Geburtsort von Thomas Mann und Schauplatz von „Buddenbrooks“ vertreten, mit einer Lampe vor der dortigen Thomas-Mann-Schule und einem Schild nach Thomas-Mann-Straße. Aus Frankfurt stammen Lampe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Standort eines Denkmals für verfolgte Homosexuelle von Rosemarie Trockel („Frankfurter Engel“); damit ist ein Bestandteil der Identität mehrerer Familienmitglieder inbegriffen.
Rom ist mit dem Schild „Via Thomas Mann“ und Leuchte präsent als Aufenthaltsort von Thomas (und Heinrich) Mann in jungen Jahren. Für den südamerikanischen Teil (Thomas Manns Mutter Julia stammte aus Brasilien) stehen Straßenlampe/Schild aus São Paulo.
Eine Leuchte kommt dagegen aus Nida/Nidden in Litauen, bevorzugte Sommerfrische der Familie Mann, wo sie vor dem Ferienhaus der Manns steht, heute Thomas-Mann Haus, ein Kulturzentrum und Museum. Sanary-Sur-Mer an der Côte d’Azur war erster Ort der Emigration in den 1930er Jahren. Von dort stammt eine Lampe, die für die Familie insgesamt steht, ebenso eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heute: Renwick), wo die Manns wiederholt wohnten. Ein Schild „Mann Av.“ aus New York steht für die Familie und den Namen „Mann“ als Ganzes, auch für Michael und Monika, nach denen keine eigene Straße benannt ist.
Auf Los Angeles verweist eine Leuchte. Dort ließ Thomas Mann 1942 eine Villa bauen, die er bis zur Rückkehr nach Europa 1952 bewohnte, und die heute als Thomas Mann House als Residenzhaus ein Aufenthaltsort für Stipendiaten und Ort kulturellen Austauschs ist. Eine Leuchte aus Kilchberg in der Schweiz stellt eine Beziehung her zum Wohnort von Thomas und Katia, auch von Erika (nach der in Zürich eine Straße benannt ist) und zuletzt Golo, der aber in Leverkusen verstarb, und an den dort eine Straße erinnert.
Recherchereisen an die jeweiligen Orte sind Bestandteil des Projekts, ebenso eine Buchpublikation, die Hintergrund und Entstehung des Denkmals dokumentiert, vermittelt und ergänzt, auch um die aktuellen Situationen der Straßenschilder und Leuchten vor Ort.