Kürzlich konnte ich endlich zwischen Leuchten und Schildern des Denkmals für die Familie Mann am Salvatorplatz umhergehen. Hier das Ensemble der dicht stehenden Leuchten aus München, Rom und anderen Städten in Augenschein nehmen, dort die aus New York, dort die aus São Paulo. Konnte den Arm dieser Leuchte drehen, diesen Mast etwas verschieben, den Eindruck testen.
Dies fand statt in in der Halle 6, einem Studio in München. Florian Froese-Peek hatte das digitale Modell für eine VR-Simulation eingerichtet. Die Erfahrung ähnelte anderen mit virtueller Realität, die ich sporadisch bei Ausstellungen gemacht hatte, war jedoch länger und intensiver. Meine Rolle war auch anders: Ich war kein bloßer Betrachter, sondern durfte mich als Akteur, Architekt, Entwerfer fühlen – was ich ja faktisch auch bin. Und einen Raum betreten mit Objekten, die nicht der Fiktion entstammen, sondern mir aus anderen Modellen und aus der Anschauung vertraut sind, mit denen ich inzwischen eine emotionale Beziehung aufgebaut habe, die ich mir wünsche; und so war es eine seltsame Mischung aus real und fiktional, aus einem Arbeitsprozess, der sich auf ein vorhandenes Pendant bezieht, der aber auch Momente des „als ob“, des Spielerisch-Leichten hatte.
Nach dem Anlegen der Brille und dem Greifen der Steuersticks, die Extensionen des Körpers, gleichzeitig Schnittstellen zwischen real und virtuell darstellen, wird zunächst eine Raumbegrenzung, eine leuchtende Linie auf den Boden gezeichnet, eine Art Spielfeld, innerhalb dessen man sich bewegt. Geht man darüber hinaus, stößt man auf eine Wand, die warnend aufleuchtet, man kann Arme oder den Kopf hindurchstecken; es tun sich Löcher auf, rot umrandet, hinter denen die nackte Realität zum Vorschein kommt, Wände, Türen.
Die entstehende Modell-Welt ist schön aufgeräumt, reduziert auf die für uns wesentlichen Elemente zur Beurteilung des optischen Eindrucks. Um ein möglichst realistisches Bild zu bekommen, gleichen wir die Betrachterhöhe mit den Maßen der Leuchten ab, vergleichen Sonnenstand und Einfallswinkel des Lichts mit den Bedingungen am Salvatorplatz. Es geht also sehr viel um 1:1 Entsprechungen, gar nicht um die Schaffung einer Fantasiewelt.
Reizvoll sind Dinge, die drüberhinausgehen, einfach passieren, die auf kleinen Programmfehlern oder selbständigen Dynamiken beruhen: Das Literaturhaus sieht in der Frontalansicht aus, als ob dort Eiszacken wüchsen, die Querwände sind ausgefasert. Und Gras wächst auf der Leuchte aus Sanary-Sur-Mer, wir wissen nicht warum, vielleicht hat das Programm einige dekorative Elemente aus seiner Gartenabteilung hinzugefügt, hat mit der grünen Farbe des Masten Rasen assoziiert … Das würde auch gut zur Ausstellung „glitch – die Kunst der Störung“ passen, die zur Zeit in der Pinakothek der Moderne zu sehen ist.
Es ist ein spannender Moment, als ich per Steuerknüppel abhebe, den Standpunkt vom Boden in die Höhe verschiebe, in der Luft, in sechs Metern herumgehe, parallel zu den Fenstern des Literaturhauses, die Installation von dort aus betrachte. Es ist tatsächlich sehr nahe an einer realen Erfahrung, dem Balancieren auf einem dünnen Steg, dem Gang auf einer Glasplatte, ja dem Fliegen. Man sieht nach unten, die Masten und Leuchten verkleinern sich, die Linien der Gebäude stürzen, Schwindelgefühle steigen auf. Dies ist ein Unterschied zu Momenten des Fliegens in Träumen, wo man sich sicher fühlt, gelöst, selbstverständlich. VR ist hier viel näher an der Realität, da es ja auch mit deren Parametern und rückgekoppelten Sinneseindrücke arbeitet.
Florian sieht diese Erfahrung der virtuellen Realität eher als Mittel zum Zweck, als Testprogramm, und da er diese Methode häufiger benutzt bei Projekten im öffentlichen Raum, ist sie für ihn auch nichts Außergewöhnliches mehr. Er bemerkt, und ich kann das bestätigen, dass es auch anstrengend sei, sich in diesen virtuellen Räumen zu bewegen, von der Konzentration und der körperlichen Sensomotorik her, dem ständigen Abgleich der Eindrücke und Bewegungen. Und da die Ästhetik stark der von Computerspielen ähnle bzw. auf solche Anwendungen abgestimmt sei, habe man danach kaum mehr Lust auf solche Spiele in seiner „Freizeit“. Spiel und Arbeit werden also miteinander vermischt.
Die Leichtigkeit, mit der sie sich erstellen und verändern lassen, macht Modelle attraktiv. Doch haben sie ihre eigene Realität und ihr Eigenleben, sind keine bloßen Zwischenstufen auf dem Weg zum Endergebnis. Das ist beim Modell aus Pappe und Karton so, ebenfalls beim VR-Modell. Und sie gehören alle zum Denkmal und seinem Entstehungsprozess.