Eine Reise Ende September 2020, die ich trotz Corona-Bedenken doch antrete: Gegen Mitternacht komme ich mit dem Zug aus Marseille an. Die Ansagen der Haltestellen habe ich gespannt mitverfolgt, um das Aussteigen nicht zu verpassen. Der Bahnhof, für die Ortschaften Ollioules und Sanary-sur-Mer zusammen angelegt, ist menschenleer, aber hell erleuchtet – was mich auf das Thema der Leuchten einstimmt.
An der tempelartigen Fassade, die von der Grandezza der kleinen Orte an der Côte d’Azur kündet, stehen die Namen in großen Lettern. Ich habe es also Schwarz auf Weiß, dass ich am richtigen Ort bin. Dort, wo sich in den 1930er Jahren viele deutschsprachige Emigranten trafen, darunter auch die Manns.
An der tempelartigen Fassade, die von der Grandezza der kleinen Orte an der Côte d’Azur kündet, stehen die Namen in großen Lettern. Ich habe es also Schwarz auf Weiß, dass ich am richtigen Ort bin. Dort, wo sich in den 1930er Jahren viele deutschsprachige Emigranten trafen, darunter auch die Manns.In der Rowohlt-Monographie über die Familie Mann von Hans Wißkirchen hatte ich ein Foto gefunden, das den Hafen des Städtchens zeigt, zu der Zeit, in der die Emigranten sich dort aufhielten. Im Hintergrund die Höhenzüge an der Küste – und prominent im Vordergrund in der Mitte, wie eine Standarte, eine Leuchte. Nicht zuletzt dieses Bild war es, was mich auf den Gedanken brachte, auch aus Sanary eine Leuchte in das Denkmal in München einzufügen.
Diese Leuchte steht heute, 2020, immer noch dort, und auch das Pflaster mit den Kalksteinplatten scheint dasselbe. Sie hat drei Kugeln aus echtem Glas, wie man mir vor Ort zeigt, ist seegrün gestrichen und trägt am Mast das Wappen von Sanary, einen Turm am Hafen.
In Sanary ist die Erinnerung an die Emigranten aus Deutschland und Österreich fest verankert: Gleich am Hafen gibt es eine großformatige Gedenktafel, die Sanary einen „Lieu de Mémorie Vivante“ nennt, so Lebendigkeit und Gegenwartsbezug betont. Dreisprachig, auch auf Deutsch (Gedenkort) und Englisch („Memorial site“) wendet die Tafel sich an ein internationales Publikum, so international wie die Emigranten und die Besucher, die ihren Spuren folgen. Sie nennt an die 70 Namen, ein Who-is-Who der damaligen deutschen Literatur: Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Ludwig Marcuse, Erich-Maria Remarque, Joseph Roth, Franz Werfel, Arnold und Stefan Zweig … Der Name „Mann“ ist dabei zahlreich vertreten, gleich sechsmal, mit Heinrich, Thomas, Katia, Erika, Klaus und Golo.
Das Gedenken ist aber auch verbunden mit Sehenswürdigkeiten, Freizeitaktivitäten, Tourismus: die Tafel befindet sich außen am Pavillon des Office du Tourisme. Links daneben laufen auf Bildschirmen Filme über Tauchen, Segeln, den Zoo. Rechts ist auf einer kleineren Tafel die Geschichte der Emigranten erzählt, die in den 1930er Jahren nach Sanary kamen. Als deren Vertreter fungiert – Thomas Mann. Die jeweiligen Wohnorte sind mit ähnlichen Tafeln markiert. Es ergibt sich ein Parcours der Orte und der Erinnerung an ihre damaligen Bewohner.
Ich gehe vom Hafen die Anhöhe hinauf. An einer Kapelle vorbei mit Votivtafeln, links mit Blick zum Meer. Am Ende der Straße stoße ich von selbst auf das Haus, das Thomas Mann bewohnte, die Villa La Tranquille. Hier hat man den Häusern Namen gegeben, sie damit personifiziert, Namen, die Harmonie und Naturschönheit beschwören. Als ich dort bin, ist es allerdings alles andere als ruhig: Ein Trennschleifer kreischt in der Nähe. Die Gegenwart meldet sich mal wieder zu Wort. Dennoch kann ich Ruhe und Zurückgezogenheit in diesem kleinen Küstenort nachvollziehen, und beginne zu verstehen, warum die Manns und andere Emigranten hierherkamen.
Für Thomas Mann nimmt sich das Haus fast bescheiden aus, im Vergleich etwa zu seiner Münchner Villa, der in Princeton oder gar der in Pacific Palisades. Aber Katia und Thomas Mann wohnten hier auch nicht lang, für etwa neun Monate, 1933; es war ein Ort des Übergangs, bevor sie an den Zürichersee nach Küssnacht zogen, dann später nach Amerika.
Am nächsten Tag steht ein Treffen an mit Vertretern der Stadt, um Fragen rund um das Denkmalprojekt und die Leuchte aus Sanary zu besprechen. Dabei sind Patricia Aubert, stellvertretende Bürgermeisterin, Jean-Pierre Moularde, Leiter des Departments für Technik, Amandine Alivon vom Stadtarchiv, da es ja auch um Stadtgeschichte geht. Die Gemeinde erklärt sich gern bereit, eine Leuchte für das Denkmal beizusteuern. Mit Hilfe der Firma, die noch über Gussformen verfügt, wird das möglich sein. Die Teile müssen noch zusammengesucht und restauriert werden. Und es geht auch um Vermittlung: ob man z.B. Verweise auf das Denkmal auch am ehemaligen Haus von Thomas Mann anbringt. Man stellt mir eine interessante Frage: was denn mein künstlerischer Beitrag, meine Veränderung der Leuchten sei? Ich antworte mit Duchamp, dass die Auswahl an sich ein künstlerischer Akt ist, dass es um das Schaffen von Bezügen geht. Für meine eher passiven Französischkenntnisse ist das Treffen eine Herausforderung.
Ich gönne mir ein Zimmer im Hotel de la Tour, einem kantig-kubischen Bau, herumgebaut um den Turm, der das Wahrzeichen von Sanary darstellt, wie es sich auf den Wappen auf den Masten der Leuchten wiederfindet. In diesem Hotel wohnten auch Klaus und Erika bei ihren Aufenthalten. Dass es auf Dauergäste ausgerichtet war, die hier auch ihre Post empfingen, zeigt das Regal mit Fächern, an das man den Zimmerschlüssel beim Verlassen hängt.
Vom Fenster und vom Turm aus der Blick aufs Meer, auf Schiffe und Leuchttürme. Weiter hinten erkennt man bewaldet-felsige Höhenzüge, die im Norden und Osten aufsteigen. Sie üben auf mich eine starke Anziehungskraft aus, und nach dem Treffen in Sanary erkunde ich vom nahen Toulon aus noch einige Tage die Gegend, schlage zu Fuß einen Bogen zurück Richtung Marseille. Dabei gerate ich auf einem Bergkamm in heftige Regenschauer und einen Sturm, der mich fast hinunterbläst. Wetter und Landschaft sind also keineswegs immer so mediterran-heiter, wie es der Name von Thomas Manns Villa „La Tranquille“ verheißt (der die Gegend wohlweislich im September wieder verließ).
Über Sanary gibt es übrigens eine reichhaltige Literatur, etwa Das flüchtige Paradies. Künstler an der Côte d’Azur von Manfred Flügge (2008). Eine gute Besprechung und Zusammenfassung hier. Oder auch Exil unter Palmen. Deutsche Emigranten in Sanary-sur-Mer (2018) von Magali Nieradka-Steiner. Besprechung dazu hier.
4 Gedanken zu „Sanary – Leuchten, Villen, Türme“
Kommentare sind geschlossen.