Back to the Roots – Berlin – München

Zurück zu den Anfän­gen: Im Juni 2018, vor sechs Jah­ren also, radel­te ich zur Tho­mas-Mann-Stra­ße in Ber­lin. In mei­nem hand­schrift­li­chen Tage­buch steht als Résu­me: „Idee für Denk­mal ver­fes­tigt sich: Stra­ßen­schil­der.“ Beim Besuch ging es zunächst aber nur um ein ers­tes Sam­meln von Ideen, um eine Anre­gung durch den Ort. Ich hat­te gese­hen, dass es dort, neben der Stra­ße, ein nach Tho­mas Mann benann­tes Schwimm­bad gibt; und viel­fäl­ti­ge Asso­zia­tio­nen stell­ten sich ein: Schwimmen‑Wellen‑Wasser‑Tod in Venedig‑Tadzio …

Die Stra­ße liegt im ehe­ma­li­gen Ost-Ber­lin, im Prenz­lau­er­berg, zweigt ab von der Greifs­wal­der, Rich­tung Wei­ßen­see. Sie wur­de 1976 nach Tho­mas Mann benannt, also zu DDR-Zei­ten. Die­se Ver­or­tung lässt sich auch erin­ne­rungs­po­li­tisch an den wei­te­ren Stra­ßen­be­nen­nun­gen, an den Nach­barn von Tho­mas Mann able­sen: Am sel­ben Pfos­ten ist der Name des Kom­po­nis­ten Hanns Eis­ler ange­bracht. Er floh wie Mann vor dem Natio­nal­so­zia­lis­mus, emi­grier­te in die USA. Bei­de kann­ten sich, tra­fen sich im Exil, hat­ten teils ähn­li­che Inter­es­sen, z.B. am Faust-Stoff. Inso­fern ergibt eine räum­li­che Nähe Sinn. Die poli­ti­sche Zuord­nung Tho­mas Manns wird aber noch deut­li­cher, wenn man sich das wei­te­re Umfeld ansieht:

Jen­seits der Greifs­wal­der setzt sich die Stra­ße in der Erich-Wei­nert-Stra­ße fort, benannt nach dem Schrift­stel­ler, der wäh­rend des NS-Regimes u.a. in die Sowjet­uni­on emi­grier­te und nach sei­ner Rück­kehr in der DDR Funk­tio­närs­rol­len übernahm.

Tho­mas Mann, des­sen poli­ti­sche Ver­or­tung nicht ganz ein­fach war, zwi­schen Kon­ser­va­tis­mus und Sozia­lis­mus, ist also in einen ganz bestimm­ten Zusam­men­hang von lin­ken, anti­fa­schis­ti­schen „Kul­tur­schaf­fen­den“ und Zeit­ge­nos­sen gestellt. In jeder Stadt, das wird sich noch bei den wei­te­ren Recher­chen und Rei­sen zei­gen, sieht die­ser Kon­text anders aus, mal sind es inter­na­tio­na­le Schrift­stel­ler­kol­le­gen, wie Gust­ave Flau­bert und Geor­ge San­des in Rom, mal ist es der Kreis der Fami­lie wie in Mün­chen, wo es auch bio­gra­phi­sche Anknüp­fungs­punk­te gibt. Die­se Zusam­men­hän­ge und Nach­bar­schaf­ten sind Teil der Gedächt­nis­kul­tur. In Stra­ßen­schil­dern und den Namen der Per­sön­lich­kei­ten auf ihnen drückt sich Wert­schät­zung aus – aber auch poli­ti­sche Set­zung und zeit­ge­bun­de­ne Mentalität.

Ein Stra­ßen­na­me steht außer sol­chen bewuß­ten Arran­ge­ments und Kon­zep­ten der Anord­nung im all­täg­li­chen urba­nen Umfeld, wird durch es beein­flusst, über­la­gert. Es erge­ben sich skur­ril anmu­ten­de Bezie­hun­gen; so steht in Ber­lin der Stra­ßen­na­me im Schat­ten eines rie­si­gen roten drei­di­men­sio­na­len Hin­weis­pfeils auf eine Apo­the­ke. Lite­ra­tur als Heil­mit­tel, könn­te man asso­zi­ie­ren.
Stra­ßen­schil­der sind zunächst funk­tio­na­le Zei­chen, zur Ori­en­tie­rung, zur Anga­be einer Adres­se. In Ber­lin fin­den sich Haus­num­mern unter dem Namens­schild, um eine Stra­ße in Abschnit­te zu glie­dern. Wenn man es aus die­sem funk­tio­na­len Zusam­men­hang löst, es frei­stellt, so däm­mer­te es mir spä­ter, tritt die Gedächt­nis­funk­ti­on kla­rer hervor.

Inter­es­sant, da orts- und zeit­ty­pisch, ist auch die typo­gra­phi­sche Gestal­tung: Schwarz auf Weiß, im Gegen­satz zu der in den meis­ten Städ­ten, etwa in Mün­chen, ver­wen­de­ten Vari­an­te Weiß auf Blau, eine seri­fen­lo­se Schrift, was Stren­ge und eine gewis­se Här­te ver­mit­telt. Die Schrift­ty­pe ist spe­zi­ell, ele­gant, mit dem scharf-ecki­gen „ß“, an dem die Zusam­men­set­zung aus einem lan­gen „s“ und einem „z“ noch deut­lich ables­bar ist. Hier han­delt es sich nicht um einen DDR-Font, den man ander­er­orts auch noch fin­det, son­dern um eine neu­sach­li­che Gro­tesk­schrift aus den 1920ern (Erbar Gro­tesk), die sich ab den 1930er Jah­ren in Ber­lin ver­brei­te­te – und damit zu Leb­zei­ten von Tho­mas Mann -, nach der Wen­de dann (wie­der) für zu erset­zen­de oder neue Stra­ßen­schil­dern in den Ost­tei­len verwendet.

Was für den Stand­ort wei­ter cha­rak­te­ris­tisch ist: die Stra­ßen­leuch­te, mit dem Mast aus Guss­be­ton, mit einem nach unten offe­nen, orna­men­tal gerif­fel­ten Glas­zy­lin­der. Hier han­delt es sich tat­säch­lich noch um ein DDR-Fabrikat.


Zeit­lich­keit lässt sich neben der Schrift aus Mate­ria­li­tät und Zustand der Schil­der able­sen. Sie ver­wit­tern, Staub lagert sich ab; es bil­den sich schwar­ze Spu­ren, Strei­fen, die Son­ne bleicht die Schrift aus, sie ist z.B. auf einem Schild fast ver­schwun­den, kaum noch les­bar; ähn­lich wie Inschrif­ten auf alten Grabsteinen.

Auf der Rück­fahrt kom­me ich an einem Fried­hof in Mit­te vor­bei, ich glau­be, es ist der Alte Gar­ni­sons­fried­hof, wo ich vor Jah­ren jen­seits der Fried­hofs­mau­er eine Schich­tung, einen Hau­fen von Stra­ßen­schil­dern gese­hen hat­te, die wohl für eine Bau­stel­le demon­tiert waren, die Lini­en­stra­ße, Gor­mann­stra­ße etc. Dar­an erin­ner­te ich mich jetzt und suche Fotos wie­der her­aus, die ich damals gemacht habe, 2008 war das.

Und es keimt die Idee, dass eine Instal­la­ti­on mit Stra­ßen­schil­dern ein Erin­ne­rungs­zei­chen für die Manns sein könn­te. Doch zunächst will ich wei­te­re nach den Manns benann­te Stra­ßen auf­su­chen, in ande­ren Städ­ten, als nächs­tes in Mün­chen, wo auch das Denk­mal ste­hen soll.

Leichtigkeit des Seins – Denkmal, VR

Kürz­lich konn­te ich end­lich zwi­schen Leuch­ten und Schil­dern des Denk­mals für die Fami­lie Mann am Sal­va­tor­platz umher­ge­hen. Hier das Ensem­ble der dicht ste­hen­den Leuch­ten aus Mün­chen, Rom und ande­ren Städ­ten in Augen­schein neh­men, dort die aus New York, dort die aus São Pau­lo. Konn­te den Arm die­ser Leuch­te dre­hen, die­sen Mast etwas ver­schie­ben, den Ein­druck testen.

Dies fand statt in in der Hal­le 6, einem Stu­dio in Mün­chen. Flo­ri­an Froe­se-Peek hat­te das digi­ta­le Modell für eine VR-Simu­la­ti­on ein­ge­rich­tet. Die Erfah­rung ähnel­te ande­ren mit vir­tu­el­ler Rea­li­tät, die ich spo­ra­disch bei Aus­stel­lun­gen gemacht hat­te, war jedoch län­ger und inten­si­ver. Mei­ne Rol­le war auch anders: Ich war kein blo­ßer Betrach­ter, son­dern durf­te mich als Akteur, Archi­tekt, Ent­wer­fer füh­len – was ich ja fak­tisch auch bin. Und einen Raum betre­ten mit Objek­ten, die nicht der Fik­ti­on ent­stam­men, son­dern mir aus ande­ren Model­len und aus der Anschau­ung ver­traut sind, mit denen ich inzwi­schen eine emo­tio­na­le Bezie­hung auf­ge­baut habe, die ich mir wün­sche; und so war es eine selt­sa­me Mischung aus real und fik­tio­nal, aus einem Arbeits­pro­zess, der sich auf ein vor­han­de­nes Pen­dant bezieht, der aber auch Momen­te des „als ob“, des Spie­le­risch-Leich­ten hat­te.

Nach dem Anle­gen der Bril­le und dem Grei­fen der Steu­er­sticks, die Exten­sio­nen des Kör­pers, gleich­zei­tig Schnitt­stel­len zwi­schen real und vir­tu­ell dar­stel­len, wird zunächst eine Raum­be­gren­zung, eine leuch­ten­de Linie auf den Boden gezeich­net, eine Art Spiel­feld, inner­halb des­sen man sich bewegt. Geht man dar­über hin­aus, stößt man auf eine Wand, die war­nend auf­leuch­tet, man kann Arme oder den Kopf hin­durch­ste­cken; es tun sich Löcher auf, rot umran­det, hin­ter denen die nack­te Rea­li­tät zum Vor­schein kommt, Wän­de, Türen.

Die ent­ste­hen­de Modell-Welt ist schön auf­ge­räumt, redu­ziert auf die für uns wesent­li­chen Ele­men­te zur Beur­tei­lung des opti­schen Ein­drucks. Um ein mög­lichst rea­lis­ti­sches Bild zu bekom­men, glei­chen wir die Betracht­erhö­he mit den Maßen der Leuch­ten ab, ver­glei­chen Son­nen­stand und Ein­falls­win­kel des Lichts mit den Bedin­gun­gen am Sal­va­tor­platz. Es geht also sehr viel um 1:1 Ent­spre­chun­gen, gar nicht um die Schaf­fung einer Fan­ta­sie­welt.
Reiz­voll sind Din­ge, die drü­ber­hin­aus­ge­hen, ein­fach pas­sie­ren, die auf klei­nen Pro­gramm­feh­lern oder selb­stän­di­gen Dyna­mi­ken beru­hen: Das Lite­ra­tur­haus sieht in der Fron­tal­an­sicht aus, als ob dort Eis­za­cken wüch­sen, die Quer­wän­de sind aus­ge­fa­sert. Und Gras wächst auf der Leuch­te aus Sana­ry-Sur-Mer, wir wis­sen nicht war­um, viel­leicht hat das Pro­gramm eini­ge deko­ra­ti­ve Ele­men­te aus sei­ner Gar­ten­ab­tei­lung hin­zu­ge­fügt, hat mit der grü­nen Far­be des Mas­ten Rasen asso­zi­iert … Das wür­de auch gut zur Aus­stel­lung „glitch – die Kunst der Stö­rung“ pas­sen, die zur Zeit in der Pina­ko­thek der Moder­ne zu sehen ist.

Es ist ein span­nen­der Moment, als ich per Steu­er­knüp­pel abhe­be, den Stand­punkt vom Boden in die Höhe ver­schie­be, in der Luft, in sechs Metern her­um­ge­he, par­al­lel zu den Fens­tern des Lite­ra­tur­hau­ses, die Instal­la­ti­on von dort aus betrach­te. Es ist tat­säch­lich sehr nahe an einer rea­len Erfah­rung, dem Balan­cie­ren auf einem dün­nen Steg, dem Gang auf einer Glas­plat­te, ja dem Flie­gen. Man sieht nach unten, die Mas­ten und Leuch­ten ver­klei­nern sich, die Lini­en der Gebäu­de stür­zen, Schwin­del­ge­füh­le stei­gen auf. Dies ist ein Unter­schied zu Momen­ten des Flie­gens in Träu­men, wo man sich sicher fühlt, gelöst, selbst­ver­ständ­lich. VR ist hier viel näher an der Rea­li­tät, da es ja auch mit deren Para­me­tern und rück­ge­kop­pel­ten Sin­nes­ein­drü­cke arbei­tet.

Flo­ri­an sieht die­se Erfah­rung der vir­tu­el­len Rea­li­tät eher als Mit­tel zum Zweck, als Test­pro­gramm, und da er die­se Metho­de häu­fi­ger benutzt bei Pro­jek­ten im öffent­li­chen Raum, ist sie für ihn auch nichts Außer­ge­wöhn­li­ches mehr. Er bemerkt, und ich kann das bestä­ti­gen, dass es auch anstren­gend sei, sich in die­sen vir­tu­el­len Räu­men zu bewe­gen, von der Kon­zen­tra­ti­on und der kör­per­li­chen Sen­so­mo­to­rik her, dem stän­di­gen Abgleich der Ein­drü­cke und Bewe­gun­gen. Und da die Ästhe­tik stark der von Com­pu­ter­spie­len ähn­le bzw. auf sol­che Anwen­dun­gen abge­stimmt sei, habe man danach kaum mehr Lust auf sol­che Spie­le in sei­ner „Frei­zeit“. Spiel und Arbeit wer­den also mit­ein­an­der vermischt.

Die Leich­tig­keit, mit der sie sich erstel­len und ver­än­dern las­sen, macht Model­le attrak­tiv. Doch haben sie ihre eige­ne Rea­li­tät und ihr Eigen­le­ben, sind kei­ne blo­ßen Zwi­schen­stu­fen auf dem Weg zum End­ergeb­nis. Das ist beim Modell aus Pap­pe und Kar­ton so, eben­falls beim VR-Modell. Und sie gehö­ren alle zum Denk­mal und sei­nem Entstehungsprozess.

Leuchten-Markierungen

14.5.24: Auf der Bau­stel­le für das Denk­mal am Sal­va­tor­platz wer­den die Fun­da­men­te der Stra­ßen­leuch­ten mar­kiert, mit Farb­spray und Krei­de. Es ent­steht eine Cho­reo­gra­phie sich teils über­schnei­den­der Krei­se und Flä­chen, mit Kor­rek­tu­ren und ein­ge­schrie­be­nen Zah­len. Die Mar­kie­rung der vor­her­ge­hen­den Ver­set­zung einer Leuch­te ist noch sicht­bar. Auch wenn dies alles wie­der ver­schwin­den wird: ein Moment der Zeich­nung im öffent­li­chen Raum.

Rue Thomas Mann, Paris – am Salvatorplatz

Rue Tho­mas Mann, Paris, 2018. Pho­to: Eva-Maria Troelenberg

Als ers­ter Bestand­teil des Denk­mals für die Fami­lie Mann wur­de im April 2024 das Schild „Rue Tho­mas Mann“ im cha­rak­te­ris­ti­schen Pari­ser Design am Sal­va­tor­platz in Mün­chen instal­liert, an der Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge.
Es nimmt Bezug auf die Stra­ße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écri­vain alle­mand“ erin­nert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arron­dis­se­ment, im zeit­gleich zur Benen­nung neu­ge­stal­te­ten moder­nen Stadt­vier­tel „Gare“, in Nach­bar­schaft der Biblio­t­hè­que Fran­çois-Mit­ter­rand (Fran­zö­si­schen Natio­nal­bi­blio­thek, BnF), was die Wahl des Schrift­stel­lers als Namens­ge­ber umso plau­si­bler macht.
Das Schild steht für die lite­ra­ri­schen, aber auch poli­ti­schen deutsch-fran­zö­si­schen Bezie­hun­gen und die Rol­le, die Tho­mas Manns dabei ein­nahm. Er schätz­te u.a. die Brü­der Gon­court sehr, bezog ent­schei­den­de Anre­gun­gen aus ihren Wer­ken für sei­nen Fami­li­en­ro­man „Bud­den­brooks“. Und er war der ers­te deut­sche Schrift­stel­ler, der nach dem 1. Welt­krieg im in Paris öffent­lich auf­trat, um eine Rede zu hal­ten: „Die geis­ti­gen Ten­den­zen des heu­ti­gen Deutsch­lands“. In der Rol­le eines inof­fi­zi­el­len Kul­tur­bot­schaf­ters der Wei­ma­rer Repu­blik warb Mann für die deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft und die Völ­ker­ver­stän­di­gung – sie­he auch sein Bericht über die Rei­se und den Auf­ent­halt, „Pari­ser Rechen­schaft“. Die Benen­nung ist auch ein Spie­gel der spä­te­ren poli­ti­schen Bezie­hun­gen zwi­schen bei­den Län­dern, die sich in den 1990er-Jah­ren intensivierten.

Der Instal­la­ti­on am Sal­va­tor­platz vor­aus­ge­gan­gen war ein län­ge­rer Pro­zess der Recher­che und Kon­takt­auf­nah­me, unter ande­rem über das Goe­the-Insti­tut Paris. Letz­lich wur­de von der Stadt Paris die Frei­ga­be zur Repro­duk­ti­on des Schil­des erteilt, aus­ge­führt von der Fir­ma LACROIX Signa­li­sa­ti­on/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet. 

Da in Paris Stra­ßen­schil­der vor­wie­gend an Haus­fas­sa­den ange­bracht wer­den, galt es in Mün­chen eine ent­spre­chen­de Stel­le zu fin­den. Die Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge bot sich an, dafür wur­de das Ein­ver­ständ­nis des Amts für Denk­mal­pfle­ge ein­ge­holt, sowie der Päch­ter bzw. Eigen­tü­mer, der Bava­ria Park­ga­ra­gen GmbH und der Baye­ri­schen Haus­bau.

Die Mon­ta­ge selbst nahm in Zusam­men­ar­beit mit Albert Coers Flo­ri­an Froe­se-Peek vor. 

Denkmalstrom

Der Strom­kas­ten für das Denk­mal ist gesetzt, das ja auch aus Stra­ßen­leuch­ten bestehen soll. Er befin­det sich an der Jung­fern­turm­stra­ße, an der alten Stadt­mau­er, neben wei­te­ren Anschluss­käs­ten.
Gegen­wart trifft auf Geschich­te, die Mau­er aus dem typi­schen Rot­zie­gel war Teil der mit­tel­al­ter­li­chen Stadt­be­fes­ti­gung Mün­chens und stammt aus dem 15. Jahr­hun­dert. Leicht erkenn­bar ist der wei­ße neue, pas­send zum Stra­ßen­na­men, jung­fräu­li­che Kubus – er ist noch nicht mit Graf­fi­ti-tags besprüht und noch nicht ver­wit­tert.
Es war mir wich­tig, dass der Strom­kas­ten nicht am Sal­va­tor­platz selbst steht und dort ein wei­te­res skulp­tu­ra­les Ele­ment bil­det, zusätz­lich zu den Schil­dern und Leuch­ten. Auch gibt es so kei­ne Pro­ble­me mit dem Denk­mal­schutz, der gegen die Auf­stel­lung vor der geschütz­ten Fas­sa­de Ein­wän­de gehabt hät­te. Das bedeu­tet eini­gen Auf­wand, denn vom Kas­ten muss noch ein Kabel zum Platz gelegt wer­den. Aber ich bin froh über die Ent­schei­dung und dar­über, dass schon mal der Kas­ten steht – damit ein ers­tes Ele­ment des Denk­mals und sei­ner Infra­struk­tur.
Dank an die Fir­ma Wal­ter Ehmann!

„Epic journey“ nach Los Angeles – mit den Buddenbrooks

Von Hali­fax, dem Wir­kungs­ort von Eli­sa­beth Mann-Bor­ge­se, geht es auf dem Land­weg zurück in die USA, zunächst per Bus nach Saint John, noch in New Bruns­wick, Kana­da. „From here, you’ll be pret­ty much on your own“, meint der Bus­fah­rer beim Aus­stei­gen. Da hier Rich­tung Gren­ze kei­ne öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel mehr fah­ren, ver­su­che ich mein Glück per Anhal­ter – und fin­de mich wie­der an einer Stra­ße mit dem schö­nen Namen „Hope Street“. Es dau­ert. Aber es stimmt schon: „Wenn es ein­mal läuft, ist das Tram­pen unver­gleich­lich“ (Wal­ter Scherf). Mit Trucks und Autos geht die Fahrt durch das herbst­li­che Maine nach Ban­gor, von da aus wie­der­um mit Bus­sen nach New York. 

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Von dort aus führt die Rou­te coast-to-coast, über Chi­ca­go, San Fran­cis­co nach Los Ange­les, wo das ehe­ma­li­ge Haus von Tho­mas Mann in Paci­fic Pali­sa­des Ziel ist. In Chi­ca­go neh­me ich einen Zug mit dem ein­schmei­cheln­den Namen „Cali­for­nia Zephyr“. Das sug­ge­riert eine Win­des­ei­le, die so doch nicht ganz zutrifft: Die Fahrt von Illi­nois nach Kali­for­ni­en dau­ert immer­hin drei Tage. Das ist sicher nicht die schnells­te und effi­zi­en­tes­te Art zu rei­sen. Aber ähn­lich wie bei der Fahrt nach Nida in Litau­en geht es dar­um, ein Gefühl für Ent­fer­nun­gen zu bekom­men, mit einer ähn­li­chen Geschwin­dig­keit unter­wegs zu sein wie die Manns – und auch Land­schaft zu sehen, zu erfah­ren. Die Lang­wie­rig­keit und das gemäch­li­che Tem­po pas­sen zudem zu Tho­mas Manns lite­ra­ri­schem Stil. Am Ende, in der Nähe von San Fran­cis­co, wird der Zug­chef die Fahr­gäs­te ver­ab­schie­den und von „epic jour­ney“ sprechen.

Ab Den­ver durch die Rocky Moun­ta­ins, in denen schon dün­ne Schnee­fel­der lie­gen und Fluss­läu­fe eis­ge­säumt sind, dann am Colo­ra­do ent­lang; Fels­mau­ern, Can­yons, man glaubt, in einem Film zu sein, einem Wes­tern, etwa in Rio Gran­de oder 3.15 to Yuma. Man schaut die Abhän­ge hin­auf, ob nicht Rei­ter her­un­ter­kom­men, hört, ob sich Huf­ge­tram­pel in das Ruckeln des Zuges mischt. 

Die Son­ne geht unter, taucht die Fels­wän­de in röt­li­ches Licht. Ich genie­ße die Sze­ne­rie, blen­de aus, wes­we­gen ich unter­wegs bin. Tho­mas Mann und sei­ne groß­bür­ger­lich-han­sea­ti­sche Welt sind Licht­jah­re ent­fernt – scheint es. Ich kom­me mit einem Mit­rei­sen­dem ins Gespräch, einem älte­ren Herrn; er hat mich mit mei­ner groß­for­ma­ti­gen USA-Kar­te han­tie­ren gese­hen, auf der ich ver­su­che, den Stre­cken­ver­lauf nach­zu­voll­zie­hen, und fragt, ob die Gegend hier auch dar­auf zu fin­den sei; wir sind in Utah, bewe­gen uns auf Salt Lake City zu. 

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Nach dem Woher und Wohin und Wes­we­gen gefragt, erzäh­le ich vom Denk­mal­pro­jekt. Wie noch­mal der Name des Schrift­stel­lers lau­te? fragt der Herr mich – nickt dann zustim­mend: „I’m just now rea­ding Bud­den­brooks“ und holt einen abge­grif­fe­nen blau­en Lei­nen­band her­vor, auf dem man kaum den Titel mehr lesen kann  – aus der Public Libra­ry in San Diego. 

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Was für ein Zufall, oder, wie mir aus Fil­men im Ohr ist, wenn Men­schen oder Din­ge zusam­men­tref­fen, die nach dem gerin­gen Grad von Wahr­schein­lich­keit es eigent­lich nicht tun dürf­ten, „what are the odds“? Dass gera­de in die­sem Zug nach Kali­for­ni­en, genau an die­sem Tag, gera­de in mei­nem Abteil jemand die Bud­den­brooks liest, die­se Geschich­te aus dem fer­nen Lübeck! 

Das könn­te ein Aus­gangs­punkt für eine empi­risch-kon­zep­tu­ell-per­for­ma­ti­ve Arbeit sein: man fährt zwi­schen Illi­nois und Kali­for­ni­en hin und her, geht wie die Schaff­ner durch den Zug, fragt, tippt sach­te an der Schul­ter, ob hier jemand etwas von TM oder ande­ren Manns liest. Dann steckt man einen Zet­tel als Mar­kie­rung über den Sitz. All­zu­viel Zet­tel dürf­ten nicht zusammenkommen. 

Es ist Nacht gewor­den. Ich dre­he mich zu mei­nem Mit­rei­sen­den um, er lehnt im Dun­keln. Auf dem Sitz neben ihm das Buch. Tho­mas Mann fährt mit.