Rue Thomas Mann, Paris – am Salvatorplatz

Rue Tho­mas Mann, Paris, 2018. Pho­to: Eva-Maria Troelenberg

Als ers­ter Bestand­teil des Denk­mals für die Fami­lie Mann wur­de im April 2024 das Schild „Rue Tho­mas Mann“ im cha­rak­te­ris­ti­schen Pari­ser Design am Sal­va­tor­platz in Mün­chen instal­liert, an der Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge.
Es nimmt Bezug auf die Stra­ße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écri­vain alle­mand“ erin­nert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arron­dis­se­ment, im zeit­gleich zur Benen­nung neu­ge­stal­te­ten moder­nen Stadt­vier­tel „Gare“, in Nach­bar­schaft der Biblio­t­hè­que Fran­çois-Mit­ter­rand (Fran­zö­si­schen Natio­nal­bi­blio­thek, BnF), was die Wahl des Schrift­stel­lers als Namens­ge­ber umso plau­si­bler macht.
Das Schild steht für die lite­ra­ri­schen, aber auch poli­ti­schen deutsch-fran­zö­si­schen Bezie­hun­gen und die Rol­le, die Tho­mas Manns dabei ein­nahm. Er schätz­te u.a. die Brü­der Gon­court sehr, bezog ent­schei­den­de Anre­gun­gen aus ihren Wer­ken für sei­nen Fami­li­en­ro­man „Bud­den­brooks“. Und er war der ers­te deut­sche Schrift­stel­ler, der nach dem 1. Welt­krieg im in Paris öffent­lich auf­trat, um eine Rede zu hal­ten: „Die geis­ti­gen Ten­den­zen des heu­ti­gen Deutsch­lands“. In der Rol­le eines inof­fi­zi­el­len Kul­tur­bot­schaf­ters der Wei­ma­rer Repu­blik warb Mann für die deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft und die Völ­ker­ver­stän­di­gung – sie­he auch sein Bericht über die Rei­se und den Auf­ent­halt, „Pari­ser Rechen­schaft“. Die Benen­nung ist auch ein Spie­gel der spä­te­ren poli­ti­schen Bezie­hun­gen zwi­schen bei­den Län­dern, die sich in den 1990er-Jah­ren intensivierten.

Der Instal­la­ti­on am Sal­va­tor­platz vor­aus­ge­gan­gen war ein län­ge­rer Pro­zess der Recher­che und Kon­takt­auf­nah­me, unter ande­rem über das Goe­the-Insti­tut Paris. Letz­lich wur­de von der Stadt Paris die Frei­ga­be zur Repro­duk­ti­on des Schil­des erteilt, aus­ge­führt von der Fir­ma LACROIX Signa­li­sa­ti­on/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet. 

Da in Paris Stra­ßen­schil­der vor­wie­gend an Haus­fas­sa­den ange­bracht wer­den, galt es in Mün­chen eine ent­spre­chen­de Stel­le zu fin­den. Die Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge bot sich an, dafür wur­de das Ein­ver­ständ­nis des Amts für Denk­mal­pfle­ge ein­ge­holt, sowie der Päch­ter bzw. Eigen­tü­mer, der Bava­ria Park­ga­ra­gen GmbH und der Baye­ri­schen Haus­bau.

Die Mon­ta­ge selbst nahm in Zusam­men­ar­beit mit Albert Coers Flo­ri­an Froe­se-Peek vor. 

Lübeck – Hitze, Wasser – und die Thomas-Mann-Straße

Es ist schon eini­ge Zeit her, dass ich in Lübeck war, dort, wo die Vor­fah­ren der Fami­lie von Tho­mas Mann lan­ge ansäs­sig waren, wo er selbst, wo Hein­rich und sei­ne vier Geschwis­ter gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind, und wo eine Stra­ße nach ihm benannt ist. Im Som­mer 2019 war das. Jetzt, 2024, wo die Rea­li­sie­rung des Denk­mals in greif­ba­re Nähe rückt, inklu­si­ve des Stra­ßen­schil­des aus Lübeck, ver­su­che ich, anhand mei­ner Noti­zen und Erin­ne­run­gen den Auf­ent­halt zu rekonstruieren. 

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Aktivierung Salvatorplatz – Denkmal für die Familie Mann

Der Sal­va­tor­platz Mün­chen, wo das Denk­mal für die Fami­lie Mann auf­ge­stellt wer­den soll, wird schon mal „vor­ge­wärmt“ und akti­viert: Schü­ler des Tho­mas-Mann-Gym­na­si­ums und der Mit­tel­schu­le an der Peslmül­lerstra­ße, Pasing, erkun­de­ten am 6.3.24 phy­sisch den Platz, sie bil­de­ten dort u.a. eine leben­di­ge Ket­te um die Flä­che, auf der Stra­ßen­schil­der und Leuch­ten in Erin­ne­rung an die Mit­glie­der der Fami­lie Mann ste­hen wer­den. Und das bei Regen! Die Akti­on ist Teil eines Pro­gramms zur Kunst­ver­mitt­lung von Kunst im öffent­li­chen Raum an Schu­len, gelei­tet von Bar­ba­ra Daba­noğ­lu.

Foto: Jadran­ka Kosorcic

Gewichtige Informationen – Erläuterungstafeln zu den Manns

Als Ergän­zun­gen zu den Stra­ßen­be­nen­nungs­schil­dern aus Mün­chen sind Tafeln fer­tig gewor­den, die Infor­ma­tio­nen zu den Mit­glie­dern der Fami­lie lie­fern und unter­halb der Schil­der ange­bracht wer­den. Zusatz­in­for­ma­tio­nen sind somit inte­gra­ler Bestand­teil des Denk­mals.
Die Tex­te lie­fern knap­pe Bio­gra­phien zu Tho­mas, Katia, Klaus, Eri­ka, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann. Sie ent­stan­den in Zusam­men­ar­beit mit dem Kul­tur­re­fe­rat der Stadt Mün­chen, Abtei­lung Public Histo­ry (ehe­mals Insti­tut für Stadt­ge­schich­te und Erin­ne­rungs­kul­tur). Die tech­ni­sche Rea­li­sie­rung über­nahm das Bau­re­fe­rat München. 

Bis­lang gab es die­se Schil­der nur für Tho­mas, Klaus und Eri­ka Mann. Inso­fern lag es für mich nahe, alle Münch­ner Stra­ßen­na­men mit sol­chen Ergän­zungs­schil­dern zu ver­se­hen und um sol­che für Katia, Golo und Eli­sa­beth Mann zu ergänzen. 

Die Schil­der sind aus email­lier­tem Metall und daher im Ver­gleich zu ihrer Grö­ße (15 x 45 cm) ziem­lich schwer. Anlaß, die Schil­der auf eine Per­so­nen­waa­ge zu legen – und das Gewicht der Namen und Infor­ma­tio­nen zu testen.

Rua Thomas Mann, São Paulo-München

Nach lan­ger Rei­se ist im Okto­ber 2023 das letz­te der Stra­ßen­schil­der ein­ge­trof­fen, das Bestand­teil des Denk­mals wer­den wird, aus Bra­si­li­en, eine Kopie des Schil­des der Rua Tho­mas Mann in São Pau­lo. Pro­du­ziert wur­de es von CSV Sina­li­za­ção in Campina/São Pau­lo, einer auf Signal­tech­nik und Schil­der­druck für den öffent­li­chen Raum spe­zia­li­sier­ten Fir­ma. Dank zahl­rei­cher Auf­kle­ber, Stem­pel und Zoll­ver­mer­ke ist es auch ein Mail-Art-Objekt. 

Sanary – Leuchten, Villen, Türme

Eine Rei­se Ende Sep­tem­ber 2020, die ich trotz Coro­na-Beden­ken doch antre­te: Gegen Mit­ter­nacht kom­me ich mit dem Zug aus Mar­seil­le an. Die Ansa­gen der Hal­te­stel­len habe ich gespannt mit­ver­folgt, um das Aus­stei­gen nicht zu ver­pas­sen. Der Bahn­hof, für die Ort­schaf­ten Ollioules und Sana­ry-sur-Mer zusam­men ange­legt, ist men­schen­leer, aber hell erleuch­tet – was mich auf das The­ma der Leuch­ten einstimmt. 

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Straßenschilder aus München – unter Dach und Fach

Im Mai 2020 wur­den die Schil­der von Tho­mas Mann, Golo, Eri­ka, Klaus, Eli­sa­beth fer­tig, nach denen in Mün­chen Stra­ßen und Plät­ze benannt sind – und auch die extra ange­fer­tig­ten Schil­der für Katia Mann, für die bis­her noch kei­ne Benen­nung exis­tier­te. Ich konn­te sie beim Bau­re­fe­rat Mün­chen abholen.

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„Auf der Suche nach sich selbst“ – Rom und Palestrina

Im Juni 2019, also vor fast einem Jahr, war ich in Rom und Pal­estri­na, um die nach Tho­mas Mann benann­ten Stra­ßen zu erkun­den, im Hin­blick auf das Denk­mal für die Manns in Mün­chen. Im Rück­blick auch inter­es­sant, wie selbst­ver­ständ­lich das Rei­sen und die Bewe­gung in öffent­li­chen Raum war – im Kon­trast zur Jetzt­zeit, 2020. 

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São Paulo II – Lux, ILUME, Material

In São Pau­lo woh­ne ich im Hotel Lux, pas­send zum Leuch­ten­pro­jekt.
Direkt davor befin­det sich ein Platz mit der Fon­te Monu­men­tal der Bild­haue­rin Nico­li­na Vaz, einem Mar­mor­brun­nen aus den 1920er Jah­ren, an des­sen Rand rie­si­ge Lan­gus­ten als Skulp­tu­ren hoch­klet­tern, zum Teil mit Gesich­tern von Men­schen. Nach­dem der Brun­nen lan­ge Zeit ver­wahr­los­te, Treff­punkt von Dea­lern war, Schlaf­platz von Obdach­lo­sen, hat die Stadt ihn in den letz­ten Jah­ren restau­riert und durch Schutz­wän­de aus Glas ein­ge­zäunt – was aller­dings die Pro­ble­me auch nicht gelöst hat. Nachts ist er zur Beleuch­tung, aber auch zur Über­wa­chung und Abschre­ckung in grel­les Schein­wer­fer­licht getaucht. Bizarr, die gan­ze Anla­ge, und auch etwas trau­rig: dass man öffent­li­che Kunst so unter einen Glas­sturz stel­len muss, und die Bron­ze­tie­re durch sol­che aus Glas­fa­ser erset­zen, weil sie sonst geklaut wer­den – und dass der wirt­schaft­li­che Druck so groß ist, dies zu tun. Das hat­te sich die Künst­le­rin wohl nicht so vor­ge­stellt. Aber das alles gehört zum The­ma „Kunst im öffent­li­chen Raum“. 

Mein Auf­ent­halt in São Pau­lo und die Rei­se ins­ge­samt geht dem Ende ent­ge­gen. Nun gilt es, zum Abschluss noch etwas Hand­greif­lich-Mate­ri­el­les nach Deutsch­land mit­zu­brin­gen, ähn­lich wie aus Nid­den: eine Leuch­te und/oder ein Schild. Das Beschaf­fen einer Ori­gi­nal­leuch­te aus der Rua Tho­mas Mann dürf­te, anders als im klei­nen, über­sicht­li­chen Nida in Litau­en, schwie­rig wer­den. Ich stel­le mir die tech­ni­schen Abtei­lun­gen die­ser Metro­po­le weit­ver­zweigt vor (man hat­te mich vor der Büro­kra­tie in Bra­si­li­en gewarnt) und noch kei­nen Kon­takt her­stel­len konn­te. Aber viel­leicht gelingt es trotz­dem, eine Leuch­te zu organisieren. 

Ich schrei­be an die Abtei­lung für Stra­ßen­be­leuch­tung, „Ilume“ bei der Stadt­ver­wal­tung São Pau­lo – und gehe dort vor­bei, in der Ave­ni­da Libe­ro de Bad­a­ro. Bekom­me am Emp­fang ein Besu­cher­schild, ähn­lich wie in Los Ange­les, und darf wie­der mit dem Auf­zug hin­auf­fah­ren. Vor dem Büro ein Fuß­ab­strei­fer mit den ein­la­den­den Schrift­zug „ILUME“. Mir gefällt der Kon­trast zwi­schen dem Wort für ‚Licht’ und dem schwarz-brau­nen Objekt mit den Buch­sta­ben auf dem Boden, an dem man sich die Füße abputzt.

Man hat mei­ne vor weni­gen Stun­den geschrie­be­ne Mail bereits gele­sen und erwar­tet mich, wie ich freu­dig über­rascht fest­stel­le. Die Namen der Mit­ar­bei­ter klin­gen für mich ita­lie­nisch-ver­traut. Wir dis­ku­tie­ren in einem Büro im Über­set­zungs­wech­sel von Eng­lisch und Por­tu­gie­sisch. Es scheint mög­lich, eine Leuch­te, wie sie in der Rua Tho­mas Mann steht, zu bekom­men, schnell und ganz unbürokratisch. 

Anschlie­ßend im Lauf­schritt in die Pre­feit­u­ra, ins Rat­haus, zum Tref­fen mit Bruce Scheidl Cam­pos, Res­sort „Inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen“, mit dem ich durch Ver­mitt­lung aus Deutsch­land in Kon­takt kam. Ein mäch­ti­ger Klotz mit Pfei­lern aus Kalk­stein, das Edifí­cio Mat­a­raz­zo oder Palá­cio do Anh­an­ga­baú, ent­wor­fen von Mar­cel­lo Pia­cen­ti­ni, einem Archi­tek­ten des ita­lie­ni­schen Neo­klas­si­zis­mus-Faschis­mus. Um dem Gebäu­de etwas von sei­ner Austeri­tät zu neh­men, hat man ihm einen Dach­gar­ten auf­ge­setzt und illu­mi­niert es nachts mit einem roten Leucht­strei­fen. Der Ein­gang ist von der Poli­zei mit Sicher­heits­band abge­sperrt. Innen eine rie­si­ge Hal­le, mit einer Kar­te Bra­si­li­ens und sei­ner Han­dels­gü­ter an der Wand. Eine geball­te Ladung staats­tra­gen­der Imponiergesten. 

Das Tref­fen selbst dage­gen ist nett. Bruce spricht auch Deutsch; sei­ne Groß­el­tern kamen aus Öster­reich; eine süd­ame­ri­ka­ni­sche Ein­wan­de­rungs­ge­schich­te, sie­he ja auch die Manns Gene­ra­tio­nen vor­her. Ich kann vom den Ver­hand­lun­gen mit ILUME berich­ten. Bleibt noch das Stra­ßen­schild „Rua Tho­mas Mann“. Bruce, obwohl eigent­lich von einer ganz ande­ren Sek­ti­on und sonst eher für die Anbah­nung von Han­dels­be­zie­hun­gen zustän­dig, ver­spricht, sich dar­um zu kümmern. 

Noch habe ich das Schild aller­dings nicht in der Hand und den­ke dar­an, es gleich an Ort und Stel­le abzu­schrau­ben. Ande­rer­seits – wäre das nicht eben­falls eine Ent­wen­dung öffent­li­chen Eigen­tums, ähn­lich dem Lan­gus­ten­klau an der Fon­te Monu­men­tal, nur mit gerin­ge­rem Mate­ri­al- und Kunst­wert? Und wer­den sich die Anwoh­ner nicht fra­gen, wo ihre Rua Tho­mas Mann geblie­ben ist? Nein, der Ehr­geiz soll­te sein, es auf offi­zi­el­lem Wege zu beschaf­fen, auch wenn es noch eini­ge Mona­te dauert. 

Dage­gen kann ich bereits ein paar Tage spä­ter, nach der Rück­kehr aus Curi­ti­ba, bei ILUME eine Schach­tel mit Lam­pe, Ersatz­bir­ne nebst tech­ni­scher Doku­men­ta­ti­on in Emp­fang neh­men. Und eine Beschei­ni­gung, dass es sich um einen Gegen­stand „sem valor comer­cial“ hand­le, falls man mich beim Zoll danach fragt. Für mich ist die­se Leuch­te aber höchst wert­voll. Erstaun­lich, was so ein indus­tri­el­les Mas­sen­pro­dukt, ein All­tags­ge­gen­stand, noch dazu schon län­ger in Gebrauch, auf ein­mal für einen ideel­len Wert bekommt. Schlep­pe die Lam­pe auf der Schul­ter durch die Stadt zum Hotel Lux. Es ist nicht weit und tut gut, end­lich ein Ergeb­nis in Hän­den zu halten. 

Dann steht und liegt die Leuch­te im Hotel­zim­mer. Sie ist wie ein Mit­be­woh­ner und nimmt Züge eines Robo­tor­we­sens an, mit dem Kör­per aus Metall, der kopf­ar­ti­gen ova­len Form, der Glas­schei­be vor­ne, die ein Gesicht sug­ge­riert, und den fili­gran-beweg­li­chen Kabelfortsätzen. 

Die Leuch­te will auch noch wei­ter trans­por­tiert sein.
Dazu kau­fe ich in einem Haus­halts­wa­ren­la­den in der Nähe einen leich­ten Klapp­kar­ren aus Alu, in einem ande­ren einen Gum­mi­ex­pan­der (zwei wären bes­ser gewe­sen). Auf der Suche nach Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al zum Aus­pols­tern der Schach­tel fin­de ich abends auf der Stra­ße Sty­ro­por und Kar­to­na­gen, Eier­kar­tons. Dabei gera­te ich anein­an­der mit pro­fes­sio­nel­len Samm­lern, Alt­pa­pier­händ­lern von der Stra­ße, die sich in ihrem Geschäfts­mo­dell ver­letzt füh­len. Sie mache sich die Hän­de schmut­zig, siche­re so ihren Lebens­un­ter­halt, setzt mir eine Frau ein­drück­lich aus­ein­an­der. Ich kau­fe ihr das Mate­ri­al schließ­lich ab, akzep­tie­re, dass auch das Weg­ge­wor­fe­ne und sei­ne Auf­be­rei­tung einen Wert hat. 

Am nächs­ten Mor­gen geht es zum Flug­ha­fen. Das Wägel­chen mit der Schach­tel rollt sich gut. Die Befes­ti­gung mit Gum­mi­span­ner, Plas­tik­strei­fen und Leu­ko­plast-Tape wirkt aller­dings ziem­lich impro­vi­siert. Aber der Ver­bund wird nicht bean­stan­det, ist ledig­lich als Sperr­ge­päck zu dekla­rie­ren. Die Leuch­te glei­tet auf ein Fließ­band, ver­schwin­det dann im Dun­kel hin­ter einem Vor­hang. Sie wird ihren Weg nach Deutsch­land fin­den, so hof­fe ich. Das tut sie auch, genau­so wie ich selbst, nach einer Zwi­schen­lan­dung in Bogo­tá – die eigent­lich nur 12 Stun­den dau­ern soll­te, sich aber zu einem Auf­ent­halt von meh­re­ren Tagen aus­wächst. Aber das ist eine ande­re Geschichte …

„Epic journey“ nach Los Angeles – mit den Buddenbrooks

Von Hali­fax, dem Wir­kungs­ort von Eli­sa­beth Mann-Bor­ge­se, geht es auf dem Land­weg zurück in die USA, zunächst per Bus nach Saint John, noch in New Bruns­wick, Kana­da. „From here, you’ll be pret­ty much on your own“, meint der Bus­fah­rer beim Aus­stei­gen. Da hier Rich­tung Gren­ze kei­ne öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel mehr fah­ren, ver­su­che ich mein Glück per Anhal­ter – und fin­de mich wie­der an einer Stra­ße mit dem schö­nen Namen „Hope Street“. Es dau­ert. Aber es stimmt schon: „Wenn es ein­mal läuft, ist das Tram­pen unver­gleich­lich“ (Wal­ter Scherf). Mit Trucks und Autos geht die Fahrt durch das herbst­li­che Maine nach Ban­gor, von da aus wie­der­um mit Bus­sen nach New York. 

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Von dort aus führt die Rou­te coast-to-coast, über Chi­ca­go, San Fran­cis­co nach Los Ange­les, wo das ehe­ma­li­ge Haus von Tho­mas Mann in Paci­fic Pali­sa­des Ziel ist. In Chi­ca­go neh­me ich einen Zug mit dem ein­schmei­cheln­den Namen „Cali­for­nia Zephyr“. Das sug­ge­riert eine Win­des­ei­le, die so doch nicht ganz zutrifft: Die Fahrt von Illi­nois nach Kali­for­ni­en dau­ert immer­hin drei Tage. Das ist sicher nicht die schnells­te und effi­zi­en­tes­te Art zu rei­sen. Aber ähn­lich wie bei der Fahrt nach Nida in Litau­en geht es dar­um, ein Gefühl für Ent­fer­nun­gen zu bekom­men, mit einer ähn­li­chen Geschwin­dig­keit unter­wegs zu sein wie die Manns – und auch Land­schaft zu sehen, zu erfah­ren. Die Lang­wie­rig­keit und das gemäch­li­che Tem­po pas­sen zudem zu Tho­mas Manns lite­ra­ri­schem Stil. Am Ende, in der Nähe von San Fran­cis­co, wird der Zug­chef die Fahr­gäs­te ver­ab­schie­den und von „epic jour­ney“ sprechen.

Ab Den­ver durch die Rocky Moun­ta­ins, in denen schon dün­ne Schnee­fel­der lie­gen und Fluss­läu­fe eis­ge­säumt sind, dann am Colo­ra­do ent­lang; Fels­mau­ern, Can­yons, man glaubt, in einem Film zu sein, einem Wes­tern, etwa in Rio Gran­de oder 3.15 to Yuma. Man schaut die Abhän­ge hin­auf, ob nicht Rei­ter her­un­ter­kom­men, hört, ob sich Huf­ge­tram­pel in das Ruckeln des Zuges mischt. 

Die Son­ne geht unter, taucht die Fels­wän­de in röt­li­ches Licht. Ich genie­ße die Sze­ne­rie, blen­de aus, wes­we­gen ich unter­wegs bin. Tho­mas Mann und sei­ne groß­bür­ger­lich-han­sea­ti­sche Welt sind Licht­jah­re ent­fernt – scheint es. Ich kom­me mit einem Mit­rei­sen­dem ins Gespräch, einem älte­ren Herrn; er hat mich mit mei­ner groß­for­ma­ti­gen USA-Kar­te han­tie­ren gese­hen, auf der ich ver­su­che, den Stre­cken­ver­lauf nach­zu­voll­zie­hen, und fragt, ob die Gegend hier auch dar­auf zu fin­den sei; wir sind in Utah, bewe­gen uns auf Salt Lake City zu. 

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Nach dem Woher und Wohin und Wes­we­gen gefragt, erzäh­le ich vom Denk­mal­pro­jekt. Wie noch­mal der Name des Schrift­stel­lers lau­te? fragt der Herr mich – nickt dann zustim­mend: „I’m just now rea­ding Bud­den­brooks“ und holt einen abge­grif­fe­nen blau­en Lei­nen­band her­vor, auf dem man kaum den Titel mehr lesen kann  – aus der Public Libra­ry in San Diego. 

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Was für ein Zufall, oder, wie mir aus Fil­men im Ohr ist, wenn Men­schen oder Din­ge zusam­men­tref­fen, die nach dem gerin­gen Grad von Wahr­schein­lich­keit es eigent­lich nicht tun dürf­ten, „what are the odds“? Dass gera­de in die­sem Zug nach Kali­for­ni­en, genau an die­sem Tag, gera­de in mei­nem Abteil jemand die Bud­den­brooks liest, die­se Geschich­te aus dem fer­nen Lübeck! 

Das könn­te ein Aus­gangs­punkt für eine empi­risch-kon­zep­tu­ell-per­for­ma­ti­ve Arbeit sein: man fährt zwi­schen Illi­nois und Kali­for­ni­en hin und her, geht wie die Schaff­ner durch den Zug, fragt, tippt sach­te an der Schul­ter, ob hier jemand etwas von TM oder ande­ren Manns liest. Dann steckt man einen Zet­tel als Mar­kie­rung über den Sitz. All­zu­viel Zet­tel dürf­ten nicht zusammenkommen. 

Es ist Nacht gewor­den. Ich dre­he mich zu mei­nem Mit­rei­sen­den um, er lehnt im Dun­keln. Auf dem Sitz neben ihm das Buch. Tho­mas Mann fährt mit. 

Stadtrat beschließt Denkmal

Am 10.4.2019 hat die Voll­ver­samm­lung des Stadt­rats Mün­chen beschlos­sen, den Ent­wurf von Albert Coers zu rea­li­sie­ren. Coers‘ Kon­zept, das einen gela­de­nen Kunst­wett­be­werb des Kul­tur­re­fe­rats gewon­nen hat, trägt den Titel „Stra­ßen Namen Leuchten“. 

Zuvor hat­te der Kul­tur­aus­schuss des Stadt­rats am 28.3. 2019 ein­stim­mig beschlos­sen, dem Vor­schlag der Jury zu fol­gen und den Auf­trag für ein „Denk­mal für die Fami­lie Mann“ am Sal­va­tor­platz an den in Mün­chen und Ber­lin leben­den Künst­ler zu ver­ge­ben. Die Errich­tung des Denk­mals war 2015 auf Antrag der CSU-Stadt­rä­te Richard Quaas und Mari­an Off­man beschlos­sen wor­den. (Süd­deut­sche Zei­tung, 28.3.2019)