Back to the Roots – Berlin – München

Zurück zu den Anfän­gen: Im Juni 2018, vor sechs Jah­ren also, radel­te ich zur Tho­mas-Mann-Stra­ße in Ber­lin. In mei­nem hand­schrift­li­chen Tage­buch steht als Résu­me: „Idee für Denk­mal ver­fes­tigt sich: Stra­ßen­schil­der.“ Beim Besuch ging es zunächst aber nur um ein ers­tes Sam­meln von Ideen, um eine Anre­gung durch den Ort. Ich hat­te gese­hen, dass es dort, neben der Stra­ße, ein nach Tho­mas Mann benann­tes Schwimm­bad gibt; und viel­fäl­ti­ge Asso­zia­tio­nen stell­ten sich ein: Schwimmen‑Wellen‑Wasser‑Tod in Venedig‑Tadzio …

Die Stra­ße liegt im ehe­ma­li­gen Ost-Ber­lin, im Prenz­lau­er­berg, zweigt ab von der Greifs­wal­der, Rich­tung Wei­ßen­see. Sie wur­de 1976 nach Tho­mas Mann benannt, also zu DDR-Zei­ten. Die­se Ver­or­tung lässt sich auch erin­ne­rungs­po­li­tisch an den wei­te­ren Stra­ßen­be­nen­nun­gen, an den Nach­barn von Tho­mas Mann able­sen: Am sel­ben Pfos­ten ist der Name des Kom­po­nis­ten Hanns Eis­ler ange­bracht. Er floh wie Mann vor dem Natio­nal­so­zia­lis­mus, emi­grier­te in die USA. Bei­de kann­ten sich, tra­fen sich im Exil, hat­ten teils ähn­li­che Inter­es­sen, z.B. am Faust-Stoff. Inso­fern ergibt eine räum­li­che Nähe Sinn. Die poli­ti­sche Zuord­nung Tho­mas Manns wird aber noch deut­li­cher, wenn man sich das wei­te­re Umfeld ansieht:

Jen­seits der Greifs­wal­der setzt sich die Stra­ße in der Erich-Wei­nert-Stra­ße fort, benannt nach dem Schrift­stel­ler, der wäh­rend des NS-Regimes u.a. in die Sowjet­uni­on emi­grier­te und nach sei­ner Rück­kehr in der DDR Funk­tio­närs­rol­len übernahm.

Tho­mas Mann, des­sen poli­ti­sche Ver­or­tung nicht ganz ein­fach war, zwi­schen Kon­ser­va­tis­mus und Sozia­lis­mus, ist also in einen ganz bestimm­ten Zusam­men­hang von lin­ken, anti­fa­schis­ti­schen „Kul­tur­schaf­fen­den“ und Zeit­ge­nos­sen gestellt. In jeder Stadt, das wird sich noch bei den wei­te­ren Recher­chen und Rei­sen zei­gen, sieht die­ser Kon­text anders aus, mal sind es inter­na­tio­na­le Schrift­stel­ler­kol­le­gen, wie Gust­ave Flau­bert und Geor­ge San­des in Rom, mal ist es der Kreis der Fami­lie wie in Mün­chen, wo es auch bio­gra­phi­sche Anknüp­fungs­punk­te gibt. Die­se Zusam­men­hän­ge und Nach­bar­schaf­ten sind Teil der Gedächt­nis­kul­tur. In Stra­ßen­schil­dern und den Namen der Per­sön­lich­kei­ten auf ihnen drückt sich Wert­schät­zung aus – aber auch poli­ti­sche Set­zung und zeit­ge­bun­de­ne Mentalität.

Ein Stra­ßen­na­me steht außer sol­chen bewuß­ten Arran­ge­ments und Kon­zep­ten der Anord­nung im all­täg­li­chen urba­nen Umfeld, wird durch es beein­flusst, über­la­gert. Es erge­ben sich skur­ril anmu­ten­de Bezie­hun­gen; so steht in Ber­lin der Stra­ßen­na­me im Schat­ten eines rie­si­gen roten drei­di­men­sio­na­len Hin­weis­pfeils auf eine Apo­the­ke. Lite­ra­tur als Heil­mit­tel, könn­te man asso­zi­ie­ren.
Stra­ßen­schil­der sind zunächst funk­tio­na­le Zei­chen, zur Ori­en­tie­rung, zur Anga­be einer Adres­se. In Ber­lin fin­den sich Haus­num­mern unter dem Namens­schild, um eine Stra­ße in Abschnit­te zu glie­dern. Wenn man es aus die­sem funk­tio­na­len Zusam­men­hang löst, es frei­stellt, so däm­mer­te es mir spä­ter, tritt die Gedächt­nis­funk­ti­on kla­rer hervor.

Inter­es­sant, da orts- und zeit­ty­pisch, ist auch die typo­gra­phi­sche Gestal­tung: Schwarz auf Weiß, im Gegen­satz zu der in den meis­ten Städ­ten, etwa in Mün­chen, ver­wen­de­ten Vari­an­te Weiß auf Blau, eine seri­fen­lo­se Schrift, was Stren­ge und eine gewis­se Här­te ver­mit­telt. Die Schrift­ty­pe ist spe­zi­ell, ele­gant, mit dem scharf-ecki­gen „ß“, an dem die Zusam­men­set­zung aus einem lan­gen „s“ und einem „z“ noch deut­lich ables­bar ist. Hier han­delt es sich nicht um einen DDR-Font, den man ander­er­orts auch noch fin­det, son­dern um eine neu­sach­li­che Gro­tesk­schrift aus den 1920ern (Erbar Gro­tesk), die sich ab den 1930er Jah­ren in Ber­lin ver­brei­te­te – und damit zu Leb­zei­ten von Tho­mas Mann -, nach der Wen­de dann (wie­der) für zu erset­zen­de oder neue Stra­ßen­schil­dern in den Ost­tei­len verwendet.

Was für den Stand­ort wei­ter cha­rak­te­ris­tisch ist: die Stra­ßen­leuch­te, mit dem Mast aus Guss­be­ton, mit einem nach unten offe­nen, orna­men­tal gerif­fel­ten Glas­zy­lin­der. Hier han­delt es sich tat­säch­lich noch um ein DDR-Fabrikat.


Zeit­lich­keit lässt sich neben der Schrift aus Mate­ria­li­tät und Zustand der Schil­der able­sen. Sie ver­wit­tern, Staub lagert sich ab; es bil­den sich schwar­ze Spu­ren, Strei­fen, die Son­ne bleicht die Schrift aus, sie ist z.B. auf einem Schild fast ver­schwun­den, kaum noch les­bar; ähn­lich wie Inschrif­ten auf alten Grabsteinen.

Auf der Rück­fahrt kom­me ich an einem Fried­hof in Mit­te vor­bei, ich glau­be, es ist der Alte Gar­ni­sons­fried­hof, wo ich vor Jah­ren jen­seits der Fried­hofs­mau­er eine Schich­tung, einen Hau­fen von Stra­ßen­schil­dern gese­hen hat­te, die wohl für eine Bau­stel­le demon­tiert waren, die Lini­en­stra­ße, Gor­mann­stra­ße etc. Dar­an erin­ner­te ich mich jetzt und suche Fotos wie­der her­aus, die ich damals gemacht habe, 2008 war das.

Und es keimt die Idee, dass eine Instal­la­ti­on mit Stra­ßen­schil­dern ein Erin­ne­rungs­zei­chen für die Manns sein könn­te. Doch zunächst will ich wei­te­re nach den Manns benann­te Stra­ßen auf­su­chen, in ande­ren Städ­ten, als nächs­tes in Mün­chen, wo auch das Denk­mal ste­hen soll.

Leichtigkeit des Seins – Denkmal, VR

Kürz­lich konn­te ich end­lich zwi­schen Leuch­ten und Schil­dern des Denk­mals für die Fami­lie Mann am Sal­va­tor­platz umher­ge­hen. Hier das Ensem­ble der dicht ste­hen­den Leuch­ten aus Mün­chen, Rom und ande­ren Städ­ten in Augen­schein neh­men, dort die aus New York, dort die aus São Pau­lo. Konn­te den Arm die­ser Leuch­te dre­hen, die­sen Mast etwas ver­schie­ben, den Ein­druck testen.

Dies fand statt in in der Hal­le 6, einem Stu­dio in Mün­chen. Flo­ri­an Froe­se-Peek hat­te das digi­ta­le Modell für eine VR-Simu­la­ti­on ein­ge­rich­tet. Die Erfah­rung ähnel­te ande­ren mit vir­tu­el­ler Rea­li­tät, die ich spo­ra­disch bei Aus­stel­lun­gen gemacht hat­te, war jedoch län­ger und inten­si­ver. Mei­ne Rol­le war auch anders: Ich war kein blo­ßer Betrach­ter, son­dern durf­te mich als Akteur, Archi­tekt, Ent­wer­fer füh­len – was ich ja fak­tisch auch bin. Und einen Raum betre­ten mit Objek­ten, die nicht der Fik­ti­on ent­stam­men, son­dern mir aus ande­ren Model­len und aus der Anschau­ung ver­traut sind, mit denen ich inzwi­schen eine emo­tio­na­le Bezie­hung auf­ge­baut habe, die ich mir wün­sche; und so war es eine selt­sa­me Mischung aus real und fik­tio­nal, aus einem Arbeits­pro­zess, der sich auf ein vor­han­de­nes Pen­dant bezieht, der aber auch Momen­te des „als ob“, des Spie­le­risch-Leich­ten hat­te.

Nach dem Anle­gen der Bril­le und dem Grei­fen der Steu­er­sticks, die Exten­sio­nen des Kör­pers, gleich­zei­tig Schnitt­stel­len zwi­schen real und vir­tu­ell dar­stel­len, wird zunächst eine Raum­be­gren­zung, eine leuch­ten­de Linie auf den Boden gezeich­net, eine Art Spiel­feld, inner­halb des­sen man sich bewegt. Geht man dar­über hin­aus, stößt man auf eine Wand, die war­nend auf­leuch­tet, man kann Arme oder den Kopf hin­durch­ste­cken; es tun sich Löcher auf, rot umran­det, hin­ter denen die nack­te Rea­li­tät zum Vor­schein kommt, Wän­de, Türen.

Die ent­ste­hen­de Modell-Welt ist schön auf­ge­räumt, redu­ziert auf die für uns wesent­li­chen Ele­men­te zur Beur­tei­lung des opti­schen Ein­drucks. Um ein mög­lichst rea­lis­ti­sches Bild zu bekom­men, glei­chen wir die Betracht­erhö­he mit den Maßen der Leuch­ten ab, ver­glei­chen Son­nen­stand und Ein­falls­win­kel des Lichts mit den Bedin­gun­gen am Sal­va­tor­platz. Es geht also sehr viel um 1:1 Ent­spre­chun­gen, gar nicht um die Schaf­fung einer Fan­ta­sie­welt.
Reiz­voll sind Din­ge, die drü­ber­hin­aus­ge­hen, ein­fach pas­sie­ren, die auf klei­nen Pro­gramm­feh­lern oder selb­stän­di­gen Dyna­mi­ken beru­hen: Das Lite­ra­tur­haus sieht in der Fron­tal­an­sicht aus, als ob dort Eis­za­cken wüch­sen, die Quer­wän­de sind aus­ge­fa­sert. Und Gras wächst auf der Leuch­te aus Sana­ry-Sur-Mer, wir wis­sen nicht war­um, viel­leicht hat das Pro­gramm eini­ge deko­ra­ti­ve Ele­men­te aus sei­ner Gar­ten­ab­tei­lung hin­zu­ge­fügt, hat mit der grü­nen Far­be des Mas­ten Rasen asso­zi­iert … Das wür­de auch gut zur Aus­stel­lung „glitch – die Kunst der Stö­rung“ pas­sen, die zur Zeit in der Pina­ko­thek der Moder­ne zu sehen ist.

Es ist ein span­nen­der Moment, als ich per Steu­er­knüp­pel abhe­be, den Stand­punkt vom Boden in die Höhe ver­schie­be, in der Luft, in sechs Metern her­um­ge­he, par­al­lel zu den Fens­tern des Lite­ra­tur­hau­ses, die Instal­la­ti­on von dort aus betrach­te. Es ist tat­säch­lich sehr nahe an einer rea­len Erfah­rung, dem Balan­cie­ren auf einem dün­nen Steg, dem Gang auf einer Glas­plat­te, ja dem Flie­gen. Man sieht nach unten, die Mas­ten und Leuch­ten ver­klei­nern sich, die Lini­en der Gebäu­de stür­zen, Schwin­del­ge­füh­le stei­gen auf. Dies ist ein Unter­schied zu Momen­ten des Flie­gens in Träu­men, wo man sich sicher fühlt, gelöst, selbst­ver­ständ­lich. VR ist hier viel näher an der Rea­li­tät, da es ja auch mit deren Para­me­tern und rück­ge­kop­pel­ten Sin­nes­ein­drü­cke arbei­tet.

Flo­ri­an sieht die­se Erfah­rung der vir­tu­el­len Rea­li­tät eher als Mit­tel zum Zweck, als Test­pro­gramm, und da er die­se Metho­de häu­fi­ger benutzt bei Pro­jek­ten im öffent­li­chen Raum, ist sie für ihn auch nichts Außer­ge­wöhn­li­ches mehr. Er bemerkt, und ich kann das bestä­ti­gen, dass es auch anstren­gend sei, sich in die­sen vir­tu­el­len Räu­men zu bewe­gen, von der Kon­zen­tra­ti­on und der kör­per­li­chen Sen­so­mo­to­rik her, dem stän­di­gen Abgleich der Ein­drü­cke und Bewe­gun­gen. Und da die Ästhe­tik stark der von Com­pu­ter­spie­len ähn­le bzw. auf sol­che Anwen­dun­gen abge­stimmt sei, habe man danach kaum mehr Lust auf sol­che Spie­le in sei­ner „Frei­zeit“. Spiel und Arbeit wer­den also mit­ein­an­der vermischt.

Die Leich­tig­keit, mit der sie sich erstel­len und ver­än­dern las­sen, macht Model­le attrak­tiv. Doch haben sie ihre eige­ne Rea­li­tät und ihr Eigen­le­ben, sind kei­ne blo­ßen Zwi­schen­stu­fen auf dem Weg zum End­ergeb­nis. Das ist beim Modell aus Pap­pe und Kar­ton so, eben­falls beim VR-Modell. Und sie gehö­ren alle zum Denk­mal und sei­nem Entstehungsprozess.

Baustelle Salvatorplatz – to be continued!

Eine am Platz vor­han­de Leuch­te wur­de im April 2024 zur Platz­mit­te hin ver­setzt und in das zukünf­ti­ge Ensem­ble inte­griert. Es ist die Leuch­te, die spä­ter das neu ange­fer­tig­te Schild „Katia-Mann-Platz“ tra­gen wird. Die Kom­bi­na­ti­on der Leuch­te vom Typ eines his­to­ri­schen Kan­de­la­bers, die bereits am Platz steht, mit dem Namen der in Mün­chen auf­ge­wach­se­nen Katia Pringsheim ist bewusst gewählt.
Mit der Ver­set­zung der Leuch­te, noch vor der Instal­la­ti­on des Res­tes des Ensem­bles, ent­steht am Platz eine erst auf den zwei­ten Blick wahr­nehm­ba­re Ver­än­de­rung. Eine inter­es­san­te Zwi­schen­stu­fe des Denk­mals, auch zusam­men mit dem bereits mon­tier­ten Schild an der Fassade.

Außer­dem wird Strom ver­legt. Dank an das Bau­re­fe­rat für die Pla­nung und Orga­ni­sa­ti­on und die Fir­ma SPIE für die Aus­füh­rung der Arbeiten!

Rue Thomas Mann, Paris – am Salvatorplatz

Rue Tho­mas Mann, Paris, 2018. Pho­to: Eva-Maria Troelenberg

Als ers­ter Bestand­teil des Denk­mals für die Fami­lie Mann wur­de im April 2024 das Schild „Rue Tho­mas Mann“ im cha­rak­te­ris­ti­schen Pari­ser Design am Sal­va­tor­platz in Mün­chen instal­liert, an der Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge.
Es nimmt Bezug auf die Stra­ße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écri­vain alle­mand“ erin­nert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arron­dis­se­ment, im zeit­gleich zur Benen­nung neu­ge­stal­te­ten moder­nen Stadt­vier­tel „Gare“, in Nach­bar­schaft der Biblio­t­hè­que Fran­çois-Mit­ter­rand (Fran­zö­si­schen Natio­nal­bi­blio­thek, BnF), was die Wahl des Schrift­stel­lers als Namens­ge­ber umso plau­si­bler macht.
Das Schild steht für die lite­ra­ri­schen, aber auch poli­ti­schen deutsch-fran­zö­si­schen Bezie­hun­gen und die Rol­le, die Tho­mas Manns dabei ein­nahm. Er schätz­te u.a. die Brü­der Gon­court sehr, bezog ent­schei­den­de Anre­gun­gen aus ihren Wer­ken für sei­nen Fami­li­en­ro­man „Bud­den­brooks“. Und er war der ers­te deut­sche Schrift­stel­ler, der nach dem 1. Welt­krieg im in Paris öffent­lich auf­trat, um eine Rede zu hal­ten: „Die geis­ti­gen Ten­den­zen des heu­ti­gen Deutsch­lands“. In der Rol­le eines inof­fi­zi­el­len Kul­tur­bot­schaf­ters der Wei­ma­rer Repu­blik warb Mann für die deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft und die Völ­ker­ver­stän­di­gung – sie­he auch sein Bericht über die Rei­se und den Auf­ent­halt, „Pari­ser Rechen­schaft“. Die Benen­nung ist auch ein Spie­gel der spä­te­ren poli­ti­schen Bezie­hun­gen zwi­schen bei­den Län­dern, die sich in den 1990er-Jah­ren intensivierten.

Der Instal­la­ti­on am Sal­va­tor­platz vor­aus­ge­gan­gen war ein län­ge­rer Pro­zess der Recher­che und Kon­takt­auf­nah­me, unter ande­rem über das Goe­the-Insti­tut Paris. Letz­lich wur­de von der Stadt Paris die Frei­ga­be zur Repro­duk­ti­on des Schil­des erteilt, aus­ge­führt von der Fir­ma LACROIX Signa­li­sa­ti­on/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet. 

Da in Paris Stra­ßen­schil­der vor­wie­gend an Haus­fas­sa­den ange­bracht wer­den, galt es in Mün­chen eine ent­spre­chen­de Stel­le zu fin­den. Die Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge bot sich an, dafür wur­de das Ein­ver­ständ­nis des Amts für Denk­mal­pfle­ge ein­ge­holt, sowie der Päch­ter bzw. Eigen­tü­mer, der Bava­ria Park­ga­ra­gen GmbH und der Baye­ri­schen Haus­bau.

Die Mon­ta­ge selbst nahm in Zusam­men­ar­beit mit Albert Coers Flo­ri­an Froe­se-Peek vor. 

Lübeck – Hitze, Wasser – und die Thomas-Mann-Straße

Es ist schon eini­ge Zeit her, dass ich in Lübeck war, dort, wo die Vor­fah­ren der Fami­lie von Tho­mas Mann lan­ge ansäs­sig waren, wo er selbst, wo Hein­rich und sei­ne vier Geschwis­ter gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind, und wo eine Stra­ße nach ihm benannt ist. Im Som­mer 2019 war das. Jetzt, 2024, wo die Rea­li­sie­rung des Denk­mals in greif­ba­re Nähe rückt, inklu­si­ve des Stra­ßen­schil­des aus Lübeck, ver­su­che ich, anhand mei­ner Noti­zen und Erin­ne­run­gen den Auf­ent­halt zu rekonstruieren. 

„Lübeck – Hit­ze, Was­ser – und die Tho­mas-Mann-Stra­ße“ weiterlesen

Gewichtige Informationen – Erläuterungstafeln zu den Manns

Als Ergän­zun­gen zu den Stra­ßen­be­nen­nungs­schil­dern aus Mün­chen sind Tafeln fer­tig gewor­den, die Infor­ma­tio­nen zu den Mit­glie­dern der Fami­lie lie­fern und unter­halb der Schil­der ange­bracht wer­den. Zusatz­in­for­ma­tio­nen sind somit inte­gra­ler Bestand­teil des Denk­mals.
Die Tex­te lie­fern knap­pe Bio­gra­phien zu Tho­mas, Katia, Klaus, Eri­ka, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann. Sie ent­stan­den in Zusam­men­ar­beit mit dem Kul­tur­re­fe­rat der Stadt Mün­chen, Abtei­lung Public Histo­ry (ehe­mals Insti­tut für Stadt­ge­schich­te und Erin­ne­rungs­kul­tur). Die tech­ni­sche Rea­li­sie­rung über­nahm das Bau­re­fe­rat München. 

Bis­lang gab es die­se Schil­der nur für Tho­mas, Klaus und Eri­ka Mann. Inso­fern lag es für mich nahe, alle Münch­ner Stra­ßen­na­men mit sol­chen Ergän­zungs­schil­dern zu ver­se­hen und um sol­che für Katia, Golo und Eli­sa­beth Mann zu ergänzen. 

Die Schil­der sind aus email­lier­tem Metall und daher im Ver­gleich zu ihrer Grö­ße (15 x 45 cm) ziem­lich schwer. Anlaß, die Schil­der auf eine Per­so­nen­waa­ge zu legen – und das Gewicht der Namen und Infor­ma­tio­nen zu testen.

Rua Thomas Mann, São Paulo-München

Nach lan­ger Rei­se ist im Okto­ber 2023 das letz­te der Stra­ßen­schil­der ein­ge­trof­fen, das Bestand­teil des Denk­mals wer­den wird, aus Bra­si­li­en, eine Kopie des Schil­des der Rua Tho­mas Mann in São Pau­lo. Pro­du­ziert wur­de es von CSV Sina­li­za­ção in Campina/São Pau­lo, einer auf Signal­tech­nik und Schil­der­druck für den öffent­li­chen Raum spe­zia­li­sier­ten Fir­ma. Dank zahl­rei­cher Auf­kle­ber, Stem­pel und Zoll­ver­mer­ke ist es auch ein Mail-Art-Objekt. 

„Back to the Future“ – Leuchte Pacific Palisades/Los Angeles fertiggestellt

Die­ser Tage wur­de die Leuch­te fer­tig­ge­stellt, die inner­halb des Denk­mals auf die­je­ni­ge in Paci­fic Palisades/Los Ange­les ver­weist, die dort vor dem Haus steht, das Tho­mas Mann mit sei­ner Fami­lie wäh­rend sei­nes Exils in Kali­for­ni­en bewohn­te, dem heu­ti­gen Tho­mas Mann House. Die Kunst­gie­ße­rei Anton Gugg hat dafür einen Alu­mi­ni­um­guss ange­fer­tigt.
Damit ging aber­mals ein län­ge­rer Pro­zess zu Ende: Nach Fotos, die ich 2019 gemacht hat­te, und nach Plä­nen der Public Works Los Ange­les wur­de ein digi­ta­les Modell der Leuch­te gezeich­net, vom Künst­ler Flo­ri­an Froe­se-Peek, mit einem 3‑D-Dru­cker in ein drei­di­men­sio­na­les 1:1 Modell aus Kunst­stoff über­tra­gen, dann im Aus­schmelz­ver­fah­ren gegos­sen.
Ich hat­te Paci­fic Pali­sa­des im Herbst 2019 besucht – sie­he der Blog­ein­trag.
Lan­ge hat­te ich recher­chiert und mich bemüht, eine Leuch­te von dort zu bekom­men – was sich als schwie­rig her­aus­stell­te. Auch der Trans­port nach Deutsch­land wäre ein lang­wie­ri­ges Unter­neh­men gewe­sen, wie ich am Bei­spiel der in den USA pro­du­zier­ten Leuch­te nach dem Modell in New York fest­stel­len muss­te.
Let­zen Endes habe ich mit der Repro­duk­ti­on den Rat von Bob Gale befolgt, Dreh­buch­au­tor und Film­pro­du­zent (unter ande­rem „Zurück in die Zukunft“), der in der Nach­bar­schaft wohnt. Er schrieb damals: „My sug­ges­ti­on is that you have the fix­tu­re exten­si­ve­ly pho­to­gra­phed and mea­su­red, and then dupli­ca­te it in Ger­ma­ny. This would be the most cost effect and simp­le solu­ti­on.“ Die­ser Vor­schlag kommt sicher nicht von unge­fähr von einem, der in der Film­bran­che zu Hau­se ist, in dem oft mit Requi­si­ten und Nach­bil­dun­gen gear­bei­tet wird.
Und viel­leicht passt das Kon­zept der Replik einer Leuch­te aus den 1920/30er- Jah­ren mit­tels moder­ner digi­ta­ler, aber auch tra­di­tio­nel­ler Ver­fah­ren, für ein Denk­mal, das in der Zukunft – vor­aus­sicht­lich im Spät­herbst 2023 – auf­ge­stellt wer­den soll, ja auch zum Mot­to „Back to the Future“.

Sanary – Leuchten, Villen, Türme

Eine Rei­se Ende Sep­tem­ber 2020, die ich trotz Coro­na-Beden­ken doch antre­te: Gegen Mit­ter­nacht kom­me ich mit dem Zug aus Mar­seil­le an. Die Ansa­gen der Hal­te­stel­len habe ich gespannt mit­ver­folgt, um das Aus­stei­gen nicht zu ver­pas­sen. Der Bahn­hof, für die Ort­schaf­ten Ollioules und Sana­ry-sur-Mer zusam­men ange­legt, ist men­schen­leer, aber hell erleuch­tet – was mich auf das The­ma der Leuch­ten einstimmt. 

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Am Platz: Übergabe Schilder Klaus-Mann-Platz, Frankfurt

Am 6.10. bin ich erneut zu einem Orts­ter­min in Frank­furt: zur Über­ga­be der Stra­ßen­schil­der vom Klaus-Mann-Platz, die Bestand­teil des Denk­mals für die Fami­lie Mann in Mün­chen sein werden. 

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Zürich: Erika Mann, Schilder und Arbeit

Foto: Stadt Zürich, Tiefbauamt

Nach lan­ger Coro­na-Pau­se wie­der Fahr­ten zu den Orten der Manns, in die Schweiz, zur Ent­ge­gen­nah­me von Leuch­ten und Schil­dern. Zwar lie­ße sich das per Post sen­den, doch fin­de ich es inter­es­sant, zu den Orten und Leu­ten (freud­scher Ver­tip­per: Leuch­ten) zu fah­ren, selbst wenn das mehr Arbeit macht. 

„Zürich: Eri­ka Mann, Schil­der und Arbeit“ weiterlesen

Straßenschilder aus München – unter Dach und Fach

Im Mai 2020 wur­den die Schil­der von Tho­mas Mann, Golo, Eri­ka, Klaus, Eli­sa­beth fer­tig, nach denen in Mün­chen Stra­ßen und Plät­ze benannt sind – und auch die extra ange­fer­tig­ten Schil­der für Katia Mann, für die bis­her noch kei­ne Benen­nung exis­tier­te. Ich konn­te sie beim Bau­re­fe­rat Mün­chen abholen.

„Stra­ßen­schil­der aus Mün­chen – unter Dach und Fach“ weiterlesen

„Auf der Suche nach sich selbst“ – Rom und Palestrina

Im Juni 2019, also vor fast einem Jahr, war ich in Rom und Pal­estri­na, um die nach Tho­mas Mann benann­ten Stra­ßen zu erkun­den, im Hin­blick auf das Denk­mal für die Manns in Mün­chen. Im Rück­blick auch inter­es­sant, wie selbst­ver­ständ­lich das Rei­sen und die Bewe­gung in öffent­li­chen Raum war – im Kon­trast zur Jetzt­zeit, 2020. 

„„Auf der Suche nach sich selbst“ – Rom und Pal­estri­na“ weiterlesen

São Paulo II – Lux, ILUME, Material

In São Pau­lo woh­ne ich im Hotel Lux, pas­send zum Leuch­ten­pro­jekt.
Direkt davor befin­det sich ein Platz mit der Fon­te Monu­men­tal der Bild­haue­rin Nico­li­na Vaz, einem Mar­mor­brun­nen aus den 1920er Jah­ren, an des­sen Rand rie­si­ge Lan­gus­ten als Skulp­tu­ren hoch­klet­tern, zum Teil mit Gesich­tern von Men­schen. Nach­dem der Brun­nen lan­ge Zeit ver­wahr­los­te, Treff­punkt von Dea­lern war, Schlaf­platz von Obdach­lo­sen, hat die Stadt ihn in den letz­ten Jah­ren restau­riert und durch Schutz­wän­de aus Glas ein­ge­zäunt – was aller­dings die Pro­ble­me auch nicht gelöst hat. Nachts ist er zur Beleuch­tung, aber auch zur Über­wa­chung und Abschre­ckung in grel­les Schein­wer­fer­licht getaucht. Bizarr, die gan­ze Anla­ge, und auch etwas trau­rig: dass man öffent­li­che Kunst so unter einen Glas­sturz stel­len muss, und die Bron­ze­tie­re durch sol­che aus Glas­fa­ser erset­zen, weil sie sonst geklaut wer­den – und dass der wirt­schaft­li­che Druck so groß ist, dies zu tun. Das hat­te sich die Künst­le­rin wohl nicht so vor­ge­stellt. Aber das alles gehört zum The­ma „Kunst im öffent­li­chen Raum“. 

Mein Auf­ent­halt in São Pau­lo und die Rei­se ins­ge­samt geht dem Ende ent­ge­gen. Nun gilt es, zum Abschluss noch etwas Hand­greif­lich-Mate­ri­el­les nach Deutsch­land mit­zu­brin­gen, ähn­lich wie aus Nid­den: eine Leuch­te und/oder ein Schild. Das Beschaf­fen einer Ori­gi­nal­leuch­te aus der Rua Tho­mas Mann dürf­te, anders als im klei­nen, über­sicht­li­chen Nida in Litau­en, schwie­rig wer­den. Ich stel­le mir die tech­ni­schen Abtei­lun­gen die­ser Metro­po­le weit­ver­zweigt vor (man hat­te mich vor der Büro­kra­tie in Bra­si­li­en gewarnt) und noch kei­nen Kon­takt her­stel­len konn­te. Aber viel­leicht gelingt es trotz­dem, eine Leuch­te zu organisieren. 

Ich schrei­be an die Abtei­lung für Stra­ßen­be­leuch­tung, „Ilume“ bei der Stadt­ver­wal­tung São Pau­lo – und gehe dort vor­bei, in der Ave­ni­da Libe­ro de Bad­a­ro. Bekom­me am Emp­fang ein Besu­cher­schild, ähn­lich wie in Los Ange­les, und darf wie­der mit dem Auf­zug hin­auf­fah­ren. Vor dem Büro ein Fuß­ab­strei­fer mit den ein­la­den­den Schrift­zug „ILUME“. Mir gefällt der Kon­trast zwi­schen dem Wort für ‚Licht’ und dem schwarz-brau­nen Objekt mit den Buch­sta­ben auf dem Boden, an dem man sich die Füße abputzt.

Man hat mei­ne vor weni­gen Stun­den geschrie­be­ne Mail bereits gele­sen und erwar­tet mich, wie ich freu­dig über­rascht fest­stel­le. Die Namen der Mit­ar­bei­ter klin­gen für mich ita­lie­nisch-ver­traut. Wir dis­ku­tie­ren in einem Büro im Über­set­zungs­wech­sel von Eng­lisch und Por­tu­gie­sisch. Es scheint mög­lich, eine Leuch­te, wie sie in der Rua Tho­mas Mann steht, zu bekom­men, schnell und ganz unbürokratisch. 

Anschlie­ßend im Lauf­schritt in die Pre­feit­u­ra, ins Rat­haus, zum Tref­fen mit Bruce Scheidl Cam­pos, Res­sort „Inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen“, mit dem ich durch Ver­mitt­lung aus Deutsch­land in Kon­takt kam. Ein mäch­ti­ger Klotz mit Pfei­lern aus Kalk­stein, das Edifí­cio Mat­a­raz­zo oder Palá­cio do Anh­an­ga­baú, ent­wor­fen von Mar­cel­lo Pia­cen­ti­ni, einem Archi­tek­ten des ita­lie­ni­schen Neo­klas­si­zis­mus-Faschis­mus. Um dem Gebäu­de etwas von sei­ner Austeri­tät zu neh­men, hat man ihm einen Dach­gar­ten auf­ge­setzt und illu­mi­niert es nachts mit einem roten Leucht­strei­fen. Der Ein­gang ist von der Poli­zei mit Sicher­heits­band abge­sperrt. Innen eine rie­si­ge Hal­le, mit einer Kar­te Bra­si­li­ens und sei­ner Han­dels­gü­ter an der Wand. Eine geball­te Ladung staats­tra­gen­der Imponiergesten. 

Das Tref­fen selbst dage­gen ist nett. Bruce spricht auch Deutsch; sei­ne Groß­el­tern kamen aus Öster­reich; eine süd­ame­ri­ka­ni­sche Ein­wan­de­rungs­ge­schich­te, sie­he ja auch die Manns Gene­ra­tio­nen vor­her. Ich kann vom den Ver­hand­lun­gen mit ILUME berich­ten. Bleibt noch das Stra­ßen­schild „Rua Tho­mas Mann“. Bruce, obwohl eigent­lich von einer ganz ande­ren Sek­ti­on und sonst eher für die Anbah­nung von Han­dels­be­zie­hun­gen zustän­dig, ver­spricht, sich dar­um zu kümmern. 

Noch habe ich das Schild aller­dings nicht in der Hand und den­ke dar­an, es gleich an Ort und Stel­le abzu­schrau­ben. Ande­rer­seits – wäre das nicht eben­falls eine Ent­wen­dung öffent­li­chen Eigen­tums, ähn­lich dem Lan­gus­ten­klau an der Fon­te Monu­men­tal, nur mit gerin­ge­rem Mate­ri­al- und Kunst­wert? Und wer­den sich die Anwoh­ner nicht fra­gen, wo ihre Rua Tho­mas Mann geblie­ben ist? Nein, der Ehr­geiz soll­te sein, es auf offi­zi­el­lem Wege zu beschaf­fen, auch wenn es noch eini­ge Mona­te dauert. 

Dage­gen kann ich bereits ein paar Tage spä­ter, nach der Rück­kehr aus Curi­ti­ba, bei ILUME eine Schach­tel mit Lam­pe, Ersatz­bir­ne nebst tech­ni­scher Doku­men­ta­ti­on in Emp­fang neh­men. Und eine Beschei­ni­gung, dass es sich um einen Gegen­stand „sem valor comer­cial“ hand­le, falls man mich beim Zoll danach fragt. Für mich ist die­se Leuch­te aber höchst wert­voll. Erstaun­lich, was so ein indus­tri­el­les Mas­sen­pro­dukt, ein All­tags­ge­gen­stand, noch dazu schon län­ger in Gebrauch, auf ein­mal für einen ideel­len Wert bekommt. Schlep­pe die Lam­pe auf der Schul­ter durch die Stadt zum Hotel Lux. Es ist nicht weit und tut gut, end­lich ein Ergeb­nis in Hän­den zu halten. 

Dann steht und liegt die Leuch­te im Hotel­zim­mer. Sie ist wie ein Mit­be­woh­ner und nimmt Züge eines Robo­tor­we­sens an, mit dem Kör­per aus Metall, der kopf­ar­ti­gen ova­len Form, der Glas­schei­be vor­ne, die ein Gesicht sug­ge­riert, und den fili­gran-beweg­li­chen Kabelfortsätzen. 

Die Leuch­te will auch noch wei­ter trans­por­tiert sein.
Dazu kau­fe ich in einem Haus­halts­wa­ren­la­den in der Nähe einen leich­ten Klapp­kar­ren aus Alu, in einem ande­ren einen Gum­mi­ex­pan­der (zwei wären bes­ser gewe­sen). Auf der Suche nach Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al zum Aus­pols­tern der Schach­tel fin­de ich abends auf der Stra­ße Sty­ro­por und Kar­to­na­gen, Eier­kar­tons. Dabei gera­te ich anein­an­der mit pro­fes­sio­nel­len Samm­lern, Alt­pa­pier­händ­lern von der Stra­ße, die sich in ihrem Geschäfts­mo­dell ver­letzt füh­len. Sie mache sich die Hän­de schmut­zig, siche­re so ihren Lebens­un­ter­halt, setzt mir eine Frau ein­drück­lich aus­ein­an­der. Ich kau­fe ihr das Mate­ri­al schließ­lich ab, akzep­tie­re, dass auch das Weg­ge­wor­fe­ne und sei­ne Auf­be­rei­tung einen Wert hat. 

Am nächs­ten Mor­gen geht es zum Flug­ha­fen. Das Wägel­chen mit der Schach­tel rollt sich gut. Die Befes­ti­gung mit Gum­mi­span­ner, Plas­tik­strei­fen und Leu­ko­plast-Tape wirkt aller­dings ziem­lich impro­vi­siert. Aber der Ver­bund wird nicht bean­stan­det, ist ledig­lich als Sperr­ge­päck zu dekla­rie­ren. Die Leuch­te glei­tet auf ein Fließ­band, ver­schwin­det dann im Dun­kel hin­ter einem Vor­hang. Sie wird ihren Weg nach Deutsch­land fin­den, so hof­fe ich. Das tut sie auch, genau­so wie ich selbst, nach einer Zwi­schen­lan­dung in Bogo­tá – die eigent­lich nur 12 Stun­den dau­ern soll­te, sich aber zu einem Auf­ent­halt von meh­re­ren Tagen aus­wächst. Aber das ist eine ande­re Geschichte …

Curitiba – Straßen, Namen, Leuchtturm

Nachts im Bus nach Curi­ti­ba, einer Groß­stadt etwa sechs Stun­den von São Pau­lo Rich­tung Wes­ten, wo es eine wei­te­re Rua Tho­mas Mann gibt, die ich noch besu­chen will. Klas­se „Lei­ta“ („Bett“) – die Sit­ze las­sen sich fast bis zur Waag­rech­ten klap­pen, es ruckelt trotz­dem ganz schön. Freue mich dar­auf, dem Frei­tag-Fei­er­tags­be­triebs des Aller­hei­li­gen­ta­ges in São Pau­lo zu ent­flie­hen, in aller Frü­he (4.30) in einer Stadt anzu­kom­men, deren Name mir bis dahin unbe­kannt war.

Die Luft ist mild, küh­ler als in São Pau­lo, es zwit­schern Vögel, gro­ße Bäu­me am Bus­bahn­hof, ihr mat­tes Grün in der Däm­me­rung ange­nehm. Es wird Tag. Pas­tell­far­be­ne Hoch­häu­ser tau­chen auf, Schnell­stra­ßen. Curi­ti­ba scheint wie eine sau­be­re­re, grü­ne­re und klei­ne­re Ver­si­on von São Pau­lo (bei 1,7 gegen­über 12 Mil­lio­nen Ein­woh­nern), in der sich die Stadtu­to­pien der 1950er und 60er Jah­re ent­fal­ten konn­ten und nicht über­wu­chert wur­den. Hell­vio­let­te Blü­ten an den Bäu­men und auf dem Pflaster. 

War­ten auf einen Bus, neben einer Hin­weis­ta­fel zur Stadt­ge­schich­te, mit Kle­be­buch­sta­ben, die sich gelöst haben. Abge­blät­tert erge­ben sich neue Kom­bi­na­tio­nen und Wörter. 

Das Oskar-Nie­mey­er-Muse­um – mir bis­lang unbe­kannt und rie­sig, wie die Bau­wer­ke und Monu­men­te des Bra­si­lia-Archi­tek­ten all­ge­mein: ein auf einem Pfei­ler-Sockel schwe­ben­der Kör­per, durch zwei flach gespann­te und spitz auf­ein­an­der­tref­fen­de Bögen gebil­det, an den Sei­ten ver­glast, durch­aus beein­dru­ckend. Kei­ne Furcht vor gro­ßen Zei­chen und For­men, eine Archi­tek­tur-Skulp­tur. Viel­leicht zu viel „Zei­chen“. Auge-Sehen-Kunst-Muse­um – die Asso­zia­ti­ons­ket­te läuft mir zu glatt ab.

Mit einem Leih­rad, das gera­de jemand vor dem Muse­um abstellt, Rich­tung Rua Tho­mas Mann. Trick­reich: man darf sich nur inner­halb eines bestimm­ten Gebie­tes bewe­gen und nur dort das Rad abstel­len. Rad­le los, einem Rad­weg nach Nor­den ent­lang. Unter­wegs kom­me ich an einer Ansamm­lung nied­ri­ger weiß­ge­stri­che­ner Holz­häu­ser vor­bei, die an ein Schtetl erin­nert, ein Frei­licht­mu­se­um und zugleich Gedenk­ort an die pol­ni­schen Immi­gran­ten im 18. und 19. Jahr­hun­dert nach Bra­si­li­en (Bos­que João Pau­lo II.). Die­se Prä­senz euro­päi­scher Migra­ti­on, gera­de aus Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa, lässt wie­der­um an die Fami­lie Mann den­ken, in der Tho­mas‘ Groß­va­ter müt­ter­li­cher­seits, Johan­nes Lud­wig Bruhns, von Lübeck nach Bra­si­li­en über­sie­del­te – ich hat­te über die­se Geschich­ten der Ein­wan­de­rung ja auch eini­ges in São Pau­lo erfah­ren, unter ande­rem im Gespräch mit Mat­thi­as Makow­ski und Jörg Hay­er vom Goethe-Institut. 

Hier in Curi­ti­ba führt der Weg zu einem Park und See. Wei­ter reicht die Zone nicht – abstel­len und zu Fuß wei­ter. Am Ran­de des Parks will ich abkür­zen und sto­ße auf einen Draht­zaun – ein Loch lässt mich durch­schlüp­fen. Dahin­ter Urwald – oder was ich mir dar­un­ter vor­stel­le. Der Boden dicht bewach­sen mit Far­nen und Gebüsch. Wie auf einem Bild von Tho­mas Struth. Angren­zend Grund­stü­cke, Mau­ern, Zäu­ne. Um her­aus­zu­kom­men, muss ich über einen klettern. 

Durch eine Gegend mit klei­nen und grö­ße­ren Vil­len. Danach wird es sehr länd­lich, nied­ri­ge ein­stö­cki­ge Häu­ser, neben der Stra­ße ein Bach mit Hüt­ten und Gär­ten. Hier haben sich als ers­te pol­ni­sche Ein­wan­de­rer nie­der­ge­las­sen, wie ich spä­ter erfah­re, und in der Tat könn­te man sich an ost­eu­ro­päi­sche Land­stri­che erin­nert fühlen. 

End­lich die Rua Tho­mas Mann, im Vier­tel Bar­reirin­ha, wie auf den Schil­dern qua­si als Unter­ti­tel steht. Unspek­ta­ku­lär, eine ganz nor­ma­le Stra­ße – und gera­de dar­in inter­es­sant. Die Stra­ße scheint „ein ganz klein wenig net­ter als die in São Pau­lo“. So schrieb mir nach einem vir­tu­el­len Rund­gang schon Fred­ric Kroll, Exper­te für die Fami­lie Mann, beson­ders für Klaus, und deren Rezep­ti­on. Und in der Tat, jetzt vor Ort wird das auch im Detail sicht­bar: Der Mast ist weni­ger brö­cke­lig, das Schild unzer­knautscht, in bes­se­rem Zustand als sein dor­ti­ges Pen­dant. Intel­li­gent die Anbrin­gung, die ohne Ver­schrau­bung auskommt. 

Gera­de als ich Fotos mache, nähert sich ein Auto mit offe­ner Heck­klap­pe, den Kof­fer­raum vol­ler Kar­tons, und hält an der Ein­mün­dung zur Haupt­stra­ße, unter dem Stra­ßen­schild. Per Laut­spre­cher wer­den Haus­halts­wa­ren wie Töp­fe, Pfan­nen ange­bo­ten. Ein­bruch der Gegen­wart und schö­ner Kon­trast zu „Tho­mas Mann“.

Der Mast am ande­ren Ende der Stra­ße ist sogar mit zwei Leuch­ten bestückt, die in unter­schied­li­che Rich­tun­gen wei­sen – und gan­ze Bün­del von Lei­tun­gen lau­fen auf ihn zu, füh­ren von ihm weg. Tho­mas Mann als Kno­ten­punkt im Bezie­hungs­ge­flecht, könn­te man frei asso­zi­ie­ren. Auch sein Name ist ein­ge­bet­tet in ein Asso­zia­ti­ons­feld: Die Nach­bar­stra­ße ist benannt nach einem Namens­vet­ter und euro­päi­schen Schrift­stel­ler­kol­le­gen, der frei­lich einer ganz ande­ren Epo­che ange­hört, Tho­mas Morus, Autor von „Uto­pia“. Viel­leicht lief die Aus­wahl der Stra­ßen­na­men tat­säch­lich über den glei­chen Vor­na­men und den Anklang des Nach­na­mens. Auch fun­gie­ren wei­ter über­wie­gend phi­lo­so­phi­sche Schrift­stel­ler wie Mon­tes­quieu und Vol­taire als Namens­ge­ber, und es könn­te sein, dass Tho­mas Mann hier in sei­ner Eigen­schaft eben weni­ger als Roman­cier denn als poli­tisch-phi­lo­so­phi­scher Schrift­stel­ler und Essay­ist gewählt wurde. 

Inter­es­sant in punc­to „Stadt­mo­bi­li­ar“ fin­de ich auch die Müll­stän­der vor den Häu­sern. Auf Metall­pfos­ten, um Abstand zum Boden zu schaf­fen und Rat­ten und Unge­zie­fer fern­zu­hal­ten, thro­nen skulp­tu­ra­le korb­ar­ti­ge Behäl­ter, in die man sei­ne Müll­tü­ten stel­len kann. Boden und Sei­ten­flä­chen sind orna­men­tal durch­bro­chen, was der Belüf­tung zugu­te kommt. Die Anwoh­ner haben die Stän­der vari­iert und ange­passt, sie sehen immer etwas anders aus. 

In der Nähe zeich­net sich hin­ter einer Schu­le und Bäu­men ein selt­sa­mes Bau­werk in leuch­ten­den Far­ben ab, ein Leucht­turm, wie man ihn hier im Bin­nen­land nicht erwar­ten wür­de. Es ist der „Farol do Saber Anto­nio Macha­do“, eine kom­mu­na­le Biblio­thek, ein­ge­rich­tet 1996. Von die­sen Turm-Biblio­the­ken hat die Gemein­de Curi­ti­ba über 40 im Stadt­ge­biet ver­teilt. Die Biblio­thek ist gleich­zei­tig auch Denk­mal für den spa­ni­schen Schrift­stel­ler Anto­nio Macha­do, 1875 gebo­ren, im sel­ben Jahr wie Tho­mas Mann! Inspi­riert ist der Bau inspi­riert vom legen­dä­ren Leucht­turm und der Biblio­thek des anti­ken Alex­an­dria, zwei ganz unter­schied­li­chen Ein­rich­tun­gen, die jetzt hier sym­bo­lisch ver­knüpft wer­den – was aber beson­ders inter­es­siert, da Stadt und Name für mich Aus­gangs­punkt meh­re­rer Recher­che­un­ter­neh­men und Instal­la­tio­nen waren, sie­he das Pro­jekt ENCYCLOPEDIALEXANDRINA. Die­se Bezug­nah­me lässt die hohe Bedeu­tung erah­nen, die man an einer Stadt­teil­bi­blio­thek bei­misst, ein Leucht­turm­pro­jekt gewis­ser­ma­ßen für das Stadt­vier­tel. Ein schö­ner Zufall, dass die Leuch­ten-Meta­pher sich in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft befin­det zu den Stra­ßen­na­men-Leuch­ten mit dem Namen Tho­mas Mann. 

Zurück zum Park, zum Rad, das da noch steht, dann wie­der in die Innen­stadt – mit einem Zwi­schen­stopp an einem monu­men­tal-pom­pö­sen Gra­nit-Denk­mal für die Unab­hän­gig­keit der Pro­vinz Paraná aus den 1950er Jah­ren (Platz des 19. Dezem­ber) – zum Bus­bahn­hof. Rück­fahrt nach São Pau­lo. Seh­ne mich nach Ruhe. 

Im Bus Noti­zen über Curi­ti­ba und das Gese­he­ne – doch dann stürzt word ab, die Datei ist ver­schwun­den. Nur noch vage Erin­ne­run­gen an einen Text und einen Auf­ent­halt, den ich viel spä­ter ver­su­che zu rekonstruieren. 

São Paulo, Rua Thomas Mann – wie hoch gehängt?

Von Los Ange­les nach São Pau­lo, auf der Suche nach den Manns, nach Stra­ßen­na­men und ‑leuch­ten. Zunächst hat­te ich gedacht, ein­mal auf dem ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, fah­ren wir auch nach Süd­ame­ri­ka – und die Stre­cken unter­schätzt. Was auf der Kar­te nur eine Hand­span­ne ent­fernt scheint, sind in Wirk­lich­keit ca. 10 000 km Luft­li­nie. Auf dem Land­weg inner­halb des gesetz­ten Zeit­rah­mens kaum mög­lich – also doch wie­der ein Langstreckenflug.

Die Ent­fer­nung ist auch groß bezo­gen auf die Manns, ihre Bio­gra­phien und ihre Rezep­ti­on: In Nord­ame­ri­ka leb­ten und arbei­te­ten sie lan­ge Jah­re, wur­den teils auch US-Staats­bür­ger; Micha­el blieb dort, Eli­sa­beth ging nach Kana­da. Trotz die­ser Prä­senz haben sie kei­ne Spu­ren in Form von Stra­ßen­na­men hinterlassen. 

Auf dem süd­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent dage­gen war von den Manns kaum jemand, und Tho­mas schon gar nicht. Trotz­dem gibt es meh­re­re Stra­ßen, die nach ihm benannt sind, unter ande­rem in São Pau­lo und Curi­ti­ba. Womit hängt das zusam­men? Wohl mit dem hohen Stel­len­wert von Lite­ra­tur in Süd­ame­ri­ka all­ge­mein und der Migra­ti­ons­ge­schich­te von Deut­schen zwi­schen die­sem Kon­ti­nent und Euro­pa im Beson­de­ren, wie sie gera­de in der Fami­lie Mann deut­lich wird: Manns Mut­ter Julia Sil­va-Bruhns stamm­te aus Bra­si­li­en, als Toch­ter von Maria de Sil­va, aus por­tu­gie­si­scher Fami­lie, und des Lübe­cker Kauf­manns Johann Lud­wig Bruhns, der nach Bra­si­li­en aus­ge­wan­dert war und dort, in São Pau­lo, eine Fir­ma gegrün­det hat­te. Nach dem Tod sei­ner Frau ging er mit sei­nen Kin­dern nach Lübeck zurück. 

In der Biblio­te­ca Mario de And­ra­de, der zen­tra­len Stadt­bi­blio­thek in São Pau­lo, ent­de­cke ich in der Sek­ti­on zur Geo­gra­phie Bra­si­li­ens, neben Wür­di­gun­gen bra­si­lia­ni­scher Fuß­ball­spie­ler, auch eine Bio­gra­phie der Brü­der Mann. Die gehö­ren also auch zur hie­si­gen (Kultur)Landschaft. Nigel Hamil­ton betont das bra­si­lia­ni­sche Erb­teil der Mut­ter und ihren Ein­fluss auf die lite­ra­ri­sche Kar­rie­re der Söh­ne, auch ihre poli­ti­sche Hal­tung: Gera­de Hein­rich habe viel von der Mut­ter geerbt, den kämp­fe­ri­schen, lei­den­schaft­li­chen, radi­ka­len Geist, wäh­rend Tho­mas eher dem Vater nach­ge­schla­gen sei … Nichts­des­to­trotz sind Stra­ßen nach Tho­mas, nicht nach Hein­rich benannt. 

Die Rua Tho­mas Mann in São Pau­lo ist eine Sei­ten­stra­ße im nörd­li­chen Quar­tier Casa Ver­de, wie­der ein­mal etwa andert­halb Stun­den Bus­fahrt vom Zen­trum aus, geprägt durch eine Mischung von klei­nen Läden, Restau­rants und Auto­werk­stät­ten. Von Ästhe­tik ist hier im prak­tisch-ange­wand­ten Sinn die Rede: „Este­ti­ca auto­mo­bi­lis­ta“ heißt eine Werk­statt, wo geschlif­fen und lackiert wird.

Tho­mas Mann befin­det sich in Gesell­schaft von bra­si­lia­ni­schen und inter­na­tio­na­len Schrift­stel­ler­kol­le­gen, wie dem por­tu­gie­si­schen Lyri­ker Arman­do da Sil­va Car­val­ho, nach dem die Haupt­stra­ße benannt ist, aber auch von Intel­lek­tu­el­len, die mit Spra­che ins­ge­samt zu tun hat­ten: eine Quer­stra­ße zuvor trägt den Namen des Espe­ran­to-Begrün­ders Zamenhof.

Es gibt zwei Arten von Stra­ßen­schil­dern: die offen­sicht­lich älte­ren an Haus­wän­den, mit einem wei­te­ren Schild mit Zusatz­in­for­ma­ti­on zur Per­son, hier „escri­tor“ und den Lebens­da­ten. Durch gel­ben Putz sind die Schil­der hier ein­ge­rahmt und teil­wei­se über­deckt, sehen aus wie fest­ge­mör­telt. Da sie so mit der Archi­tek­tur ver­bun­den sind, wäre es schwie­rig, sie in Mün­chen zu inte­grie­ren. Und in dem Fall, bei dem ich schon vor­ha­be, ein Schild an eine Wand anzu­brin­gen, der Rue Tho­mas Mann aus Paris, muss ich mich noch mit dem Denk­mal­schutz aus­ein­an­der­set­zen. Zum Glück gibt es aber auch die Vari­an­te der Schil­der an den Leuchten. 

Straßenschild in der Rua Thomas Mann

Das Stra­ßen­schild wei­ter unten ist arg zusam­men­ge­knickt und ‑gestaucht. Es sieht aus, also ob ein Olaf Met­zel hier zu Wer­ke gegan­gen sei, gewinnt aber gera­de in sei­nen Fal­tun­gen eine plas­tisch-dekon­struk­ti­vis­ti­sche Qua­li­tät, die mir sehr gut gefällt. Am liebs­ten wür­de ich es gleich mitnehmen. 

Wahr­schein­lich sind es hohe LKWs gewe­sen, die das Schild tou­chiert haben. Wie hoch ist es eigent­lich gehängt? Das inter­es­siert mich, auch im Hin­blick auf die Mün­che­ner Installation. 

In der Haupt­stra­ße gehe ich auf die Suche nach einem Werk­zeug zum Mes­sen. Im Laden einer alten Dame, die Kat­zen­fut­ter und Wasch­mit­tel anbie­tet, wer­de ich lei­der nicht fün­dig. In einem Geschäft für Haus­halts- und Hand­werks­be­darf (in Ita­li­en wäre es eine mestic­ce­ria) sehe ich Meter­stä­be, kür­zer als die euro­päi­sche Vari­an­te, dafür dicker. Ich ent­schei­de mich dann aber für ein gel­bes Metall­maß­band. Und mes­se am Mast her­um, mes­se, wie hoch das Schild mit dem Namen Tho­mas Mann gehängt ist. Gar nicht so ein­fach, denn das Band mit sei­nen drei Metern reicht nicht bis hin­auf. Es sind 3,40 Meter, damit höher als in München.

Coers beim Messen der Höhe des Thomas-Mann-Schildes

Früh gehen die Stra­ßen­leuch­ten an, etwa um halb sechs, noch vor der Däm­me­rung. Aller­dings nur in man­chen Stra­ßen­zü­gen, den Haupt­stra­ßen. Die Sei­ten­stra­ßen und damit auch die Rua Tho­mas Mann blei­ben noch unbe­leuch­tet. Es scheint sich um ein Ener­gie­spar­kon­zept zu han­deln, das bestimm­te Stra­ßen­zü­ge prio­ri­siert – so wie Flug­gäs­te in der 1. Klas­se das Essen zuerst bekom­men.   Ich dre­he meh­re­re Run­den, man kennt mich inzwi­schen im Vier­tel schon, und end­lich gehen auch die Leuch­ten in den Sei­ten­stra­ßen an, geben ein röt­lich-gel­bes Licht – bis auf die eine in der Rua Tho­mas Mann! Als ob sie sich bewusst ver­wei­gern wür­de. Das könn­te über­haupt ein wei­te­res Kon­zept sein, um Ver­bin­dung und Trans­fer zu ver­deut­li­chen: Jeweils die eine Lam­pe leuch­tet nicht – aber dafür ihr Pen­dant in Mün­chen! Das Licht wäre gleich­sam umge­schal­tet, umgezogen. 

Straßenleuchte Sao Paulo

Ich räu­me das Feld und hof­fe, in den nächs­ten Tagen von der Stadt­ver­wal­tung eine Leuch­te bekom­men zu kön­nen. Auf der Rück­fahrt durch die dun­keln­de Stadt schla­fe ich im Bus ein, trotz des Stop-and-Go im Feierabendverkehr. 

Pacific Palisades – Licht, Schatten und Feuer

1941 sie­del­ten Katia und Tho­mas Mann von Prince­ton an die West­küs­te, nach Los Ange­les über – aus­schlag­ge­bend ist die Aus­sicht, in einer selbst­ge­bau­ten, nicht mehr gemie­te­ten Vil­la woh­nen zu kön­nen, damit den Emi­gran­ten­sta­tus hin­ter sich zu las­sen und in den USA Wur­zeln zu schla­gen. Dazu kom­men Land­schaft und Wet­ter: „der Him­mel ist hier fast das gan­ze Jahr hei­ter und sen­det ein unver­gleich­li­ches, alles ver­schö­nen­des Licht“ (TM an Her­mann Hesse). 

Haus Tho­mas Manns, ca. 1942; Design & Archi­tec­tu­re Muse­um; Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia, San­ta Barbara

Mich hat­te man dage­gen gewarnt: „You may give going to LA some serious thought. Things the­re are pret­ty tough.“ So zum Bei­spiel ein Fah­rer, mit dem ich an der Ost­küs­te, in Maine unter­wegs war.

Und auch Georg Bloch­mann, Direk­tor des Goe­the-Insti­tuts in New York, zeich­net ein düs­te­res Bild: LA sei ein Sym­bol für das Schei­tern des Ame­ri­can Dream, mit extre­mer sozia­ler Segre­ga­ti­on und der Dys­funk­tio­na­li­tät öffent­li­cher Infra­struk­tur, unter ande­rem des Nahverkehrs. 

Es wird beim Auf­ent­halt um Kon­tras­te gehen. Im Sozia­len, zwi­schen öffent­lich und pri­vat, dem Licht der Metro­po­le und ihren Schattenseiten. 

Inso­fern inter­es­siert mich der öffent­li­che Nah­ver­kehr, und wie sich damit in die­ser vom Auto domi­nier­ten Stadt der Weg zum ehe­ma­li­gen Haus von Tho­mas Manns bewäl­ti­gen lässt – auch wenn der in LA nie mit dem Bus, son­dern immer im eige­nen Wagen gefah­ren ist bzw. wur­de (er hat­te kei­nen Füh­rer­schein, im Gegen­satz zu Katia und sei­nen Kin­dern, von denen beson­ders Eri­ka und Eli­sa­beth lei­den­schaft­li­che Auto­fah­rer waren, wohl ein Ter­rain der weib­li­chen Manns).

Es dau­ert alles recht lang, funk­tio­niert aber ins­ge­samt über­ra­schend gut. Wie­der wer­den es die auch für ande­re Städ­te schon typi­schen andert­halb Stun­den, um vom Stadt­zen­trum zum mit den Manns ver­bun­de­nen Ziel zu kom­men. Es geht nach Paci­fic Pali­sa­des, am hüge­li­gen West­rand der Metro­po­le. Dies­mal lie­gen an der Peri­phe­rie kei­ne Pro­blem­vier­tel oder Pend­ler­vor­städ­te, son­dern Vil­len. Mit dem Bus Rich­tung San­ta Moni­ca und Bever­ly Hills, dann in West­wood ein weiterer; 

An der Hal­te­stel­le Sunset/Capri aus­stei­gen, den San Remo Dri­ve hin­auf. Schon die Bezeich­nung „Dri­ve“ deu­tet dar­auf hin, dass man sich hier nor­ma­ler­wei­se (auto)fahrend fort­be­wegt. Üppi­ge Gär­ten, Pal­men, es wird gekehrt, gemäht, meist von His­pa­nics oder Schwar­zen. Nach meh­re­ren Wen­dun­gen eine Stel­le, die mir aus mei­nen vir­tu­el­len Rund­gän­gen per Goog­le Earth bekannt vor­kommt, wo hohe Hecken und Bäu­me eine mau­er­ar­ti­ge Ecke bil­den, hin­ter der dorn­rös­chen­haft das Haus liegt. Hier scheint sich wie­der das Bedürf­nis nach Pri­vat­heit zu mani­fes­tie­ren; und die Zeit hat das Übri­ge getan. 

Eine Leuch­te ist im Gebüsch ein­ge­wach­sen. Eine wei­te­re steht der Ein­fahrt von Nr. 1550 gegen­über; an ihr die Stra­ßen­na­men „Mona­co Dri­ve“ und „San Remo Dri­ve“, was das Mit­tel­meer, die mon­dä­nen Küs­ten­städ­ten der Rivie­ra (das Vier­tel heißt auch so) auf­ruft, an deren Flair Los Ange­les ger­ne teil­hat. Doch könn­te man (ita­lie­nisch) „Mona­co“ auch mit „Mün­chen“ asso­zi­ie­ren, und wäre damit bei Tho­mas Manns frü­he­rem Wohnsitz. 

Wie in New York ist inter­es­sant, wer für die Leuch­ten zustän­dig ist und Infor­ma­tio­nen dazu geben kann. Es ist das städ­ti­sche Bureau of Light­ing, dem ich einen Besuch abge­stat­tet habe. Doch neh­men in die­ser „resi­den­ti­al neigh­bor­hood“ auch die Anwoh­ner selbst Anteil. Bob Gale, Autor des Dreh­buchs und Co-Pro­du­zent von „Zurück in die Zukunft“ wohnt in der Gegend (übri­gens auch Armin-Muel­ler-Stahl, der Tho­mas Mann in der Serie „Die Manns“ ver­kör­per­te), ist Prä­si­dent des hie­si­gen Haus­be­sit­zer­ver­eins und kennt sich bes­tens mit den ver­schie­de­nen Lam­pen­ty­pen und ihrer Geschich­te , schickt sogar Fotos von ihnen. Als öko­no­mischs­te Metho­de der Lam­pen­be­schaf­fung emp­fiehlt er die Rekon­struk­ti­on in Deutsch­land – wohl auch, weil er aus der Film­bran­che kommt. 

Die Fra­ge nach Original/Rekonstruktion wird mich noch wei­ter beschäf­ti­gen; Sie ist auch rele­vant für das ehe­ma­li­ge Wohn­haus von Tho­mas Mann und den Umgang damit. Zunächst ein­mal bin ich aber ganz glück­lich, die Leuch­ten in ihrem räum­li­chen Zusam­men­hang vor Ort zu sehen. 

Die Leuch­ten berich­ten, gera­de wenn sie so ein­ge­wach­sen und maro­de im Gebüsch ste­hen, von der Ambi­ti­on der Stadt, ihrer Gran­dez­za, von ihrer Fas­sa­den­haf­tig­keit. In den 1920er bis 1940er Jah­ren instal­liert, stan­den sie hier, als Tho­mas Mann in sein neu­erbau­tes Domi­zil im Bau­haus­stil ein­zog – das gegen­über den his­to­ri­sie­ren­den, üppi­gen Lam­pen moder­ner war. 

2016 erwarb der deut­sche Staat das Haus und rich­te­te es als Tho­mas Mann House als Auf­ent­halts­ort für Sti­pen­dia­ten, als Ort für Begeg­nun­gen und Ver­an­stal­tun­gen ein. Niko­lai Blau­mer, Pro­gramm­di­rek­tor, führt mich durch Haus und Gar­ten. Die Biblio­thek wird rekon­stru­iert, Bücher tref­fen ein, aus vie­ler­lei Orten und Insti­tu­tio­nen, u.a. Yale . 

Der Ein­druck: hier lässt es sich gut arbei­ten. Die Ein­rich­tung funk­tio­nal, neu, bequem, ohne über­mä­ßi­gen Luxus. Auch der Bezug zu Tho­mas Mann ist ange­nehm zurück­hal­tend: Eini­ge Fotos, aber kei­ne hagio­gra­phi­sche Insze­nie­rung, bei der die Per­son des ehe­ma­li­gen Haus­herrn einen auf Schritt und Tritt ver­fol­gen wür­de. Begeg­ne Sti­pen­dia­ten, u.a. dem Ger­ma­nis­ten Ste­fan Kepp­ler-Tasa­ki. Wir spre­chen über das Denk­mal­pro­jekt. Mit den Manns und deren Zeit­ge­nos­sen kennt er sich gut aus. 

Wie im Gar­ten mit sei­ner hohen Hecke, so gibt es auch in der Archi­tek­tur Ele­men­te, die abgrenz­ten und einen eige­nen Raum beto­nen: die von der Ecke des Arbeits­zim­mers nach vorn gezo­ge­ne Mau­er, die, auf Wunsch Tho­mas Manns ange­legt, Blick- und Lärm­schutz gewäh­ren sollte. 

Vom Gar­ten aus hat man einen Blick hin­über zur Hügel­ket­te mit dem ehe­ma­li­gen Haus von Lion Feucht­wan­ger, heu­te als Vil­la Auro­ra eben­falls Resi­denz, für Künst­ler, Schrift­stel­ler, Musi­ker. Dane­ben liegt das Get­ty Muse­um. Noch wei­ter ent­fernt, thro­nend auf einer Anhö­he, das Get­ty Cen­ter. Die Gegend ist vol­ler gro­ßer Namen, Insti­tu­tio­nen und Gebäude. 

Als ich vom San Remo Dri­ve zurück­keh­re, erwi­sche ich spur­tend gera­de den Bus, der in die Stadt fährt – mit der­sel­ben Bus­fah­re­rin wie bei der Hin­fahrt – und läs­sig begrüßt mich ein Mann im mint­far­be­nen Shirt: „Take a seat, relax, cold drinks will be ser­ved.“ Kali­for­ni­sche Entspanntheit. 

Eini­ge Tage spä­ter bin ich erneut im ehe­ma­li­gen Haus der Manns. Fran­cis Fuku­ya­ma hält einen kur­zen Vor­trag, nach dem Vor­bild der Radio-Anspra­chen „Deut­sche Hörer!“ Tho­mas Manns in den 1940er Jah­ren. Fuku­ya­ma erwar­tet als Reak­ti­on auf Trump ein Erstar­ken der Linken/Liberalen, und sieht „not too pes­si­mi­stic“ in die Zukunft.

Beim klei­nen Emp­fang danach tref­fe ich unter ande­rem zu mei­ner Über­ra­schung Tho­mas Demand, der bereits seit zehn Jah­ren in LA lebt. Er legt mir im Hin­blick auf das Denk­mal Chris Bur­dens Instal­la­ti­on aus hun­der­ten von Stra­ßen­leuch­ten vor dem LACMA ans Herz. Sie hat es zum Lieb­ling des Publi­kums, zum Wahr­zei­chen des Muse­ums, ja sogar der Stadt gebracht, indem dort all­ge­gen­wär­ti­ge Ele­men­te des öffent­li­chen Raums, mit dem sich Bewoh­ner iden­ti­fi­zie­ren, kon­zen­triert zusam­men­ge­bracht und streng nach ihrer Grö­ße geord­net sind – so dass sich der Ein­druck einer mehr­schif­fi­gen Hal­le ergibt, die zum Fla­nie­ren ein­lädt. Die Instal­la­ti­on ist zudem äußerst fotogen. 


Ich füh­le mich für einen Moment den Sti­pen­dia­ten zuge­hö­rig; es sind neben denen des Tho­mas-Mann-Hau­ses auch wel­che von der Vil­la Auro­ra da. LA erweist sich als inter­es­san­ter Hot­spot, trotz oder gera­de wegen der star­ken Kon­tras­te, von archi­tek­to­ni­schen Land­marks und gras­sie­ren­der Obdach­lo­sig­keit, von Glanz und Ver­wahr­lo­sung.
Ich bedau­re es, dass ich nicht noch län­ger blei­ben kann. Die Wei­ter­rei­se nach Bra­si­li­en steht an, nach São Pau­lo, damit der letz­ten Station. 

Dabei wer­de ich zufäl­lig jetzt, am Ende des Auf­ent­halts, zur Eva­ku­ie­rung auf­ge­for­dert: es brennt. Als beim Besuch in der Vil­la Get­ty, einer rekon­stru­ier­ten Vil­la aus Pom­pe­ji, Rauch­wol­ken am Him­mel ste­hen und es Asche reg­net, ist das selt­sam passend. 

„Epic journey“ nach Los Angeles – mit den Buddenbrooks

Von Hali­fax, dem Wir­kungs­ort von Eli­sa­beth Mann-Bor­ge­se, geht es auf dem Land­weg zurück in die USA, zunächst per Bus nach Saint John, noch in New Bruns­wick, Kana­da. „From here, you’ll be pret­ty much on your own“, meint der Bus­fah­rer beim Aus­stei­gen. Da hier Rich­tung Gren­ze kei­ne öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel mehr fah­ren, ver­su­che ich mein Glück per Anhal­ter – und fin­de mich wie­der an einer Stra­ße mit dem schö­nen Namen „Hope Street“. Es dau­ert. Aber es stimmt schon: „Wenn es ein­mal läuft, ist das Tram­pen unver­gleich­lich“ (Wal­ter Scherf). Mit Trucks und Autos geht die Fahrt durch das herbst­li­che Maine nach Ban­gor, von da aus wie­der­um mit Bus­sen nach New York. 

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Von dort aus führt die Rou­te coast-to-coast, über Chi­ca­go, San Fran­cis­co nach Los Ange­les, wo das ehe­ma­li­ge Haus von Tho­mas Mann in Paci­fic Pali­sa­des Ziel ist. In Chi­ca­go neh­me ich einen Zug mit dem ein­schmei­cheln­den Namen „Cali­for­nia Zephyr“. Das sug­ge­riert eine Win­des­ei­le, die so doch nicht ganz zutrifft: Die Fahrt von Illi­nois nach Kali­for­ni­en dau­ert immer­hin drei Tage. Das ist sicher nicht die schnells­te und effi­zi­en­tes­te Art zu rei­sen. Aber ähn­lich wie bei der Fahrt nach Nida in Litau­en geht es dar­um, ein Gefühl für Ent­fer­nun­gen zu bekom­men, mit einer ähn­li­chen Geschwin­dig­keit unter­wegs zu sein wie die Manns – und auch Land­schaft zu sehen, zu erfah­ren. Die Lang­wie­rig­keit und das gemäch­li­che Tem­po pas­sen zudem zu Tho­mas Manns lite­ra­ri­schem Stil. Am Ende, in der Nähe von San Fran­cis­co, wird der Zug­chef die Fahr­gäs­te ver­ab­schie­den und von „epic jour­ney“ sprechen.

Ab Den­ver durch die Rocky Moun­ta­ins, in denen schon dün­ne Schnee­fel­der lie­gen und Fluss­läu­fe eis­ge­säumt sind, dann am Colo­ra­do ent­lang; Fels­mau­ern, Can­yons, man glaubt, in einem Film zu sein, einem Wes­tern, etwa in Rio Gran­de oder 3.15 to Yuma. Man schaut die Abhän­ge hin­auf, ob nicht Rei­ter her­un­ter­kom­men, hört, ob sich Huf­ge­tram­pel in das Ruckeln des Zuges mischt. 

Die Son­ne geht unter, taucht die Fels­wän­de in röt­li­ches Licht. Ich genie­ße die Sze­ne­rie, blen­de aus, wes­we­gen ich unter­wegs bin. Tho­mas Mann und sei­ne groß­bür­ger­lich-han­sea­ti­sche Welt sind Licht­jah­re ent­fernt – scheint es. Ich kom­me mit einem Mit­rei­sen­dem ins Gespräch, einem älte­ren Herrn; er hat mich mit mei­ner groß­for­ma­ti­gen USA-Kar­te han­tie­ren gese­hen, auf der ich ver­su­che, den Stre­cken­ver­lauf nach­zu­voll­zie­hen, und fragt, ob die Gegend hier auch dar­auf zu fin­den sei; wir sind in Utah, bewe­gen uns auf Salt Lake City zu. 

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Nach dem Woher und Wohin und Wes­we­gen gefragt, erzäh­le ich vom Denk­mal­pro­jekt. Wie noch­mal der Name des Schrift­stel­lers lau­te? fragt der Herr mich – nickt dann zustim­mend: „I’m just now rea­ding Bud­den­brooks“ und holt einen abge­grif­fe­nen blau­en Lei­nen­band her­vor, auf dem man kaum den Titel mehr lesen kann  – aus der Public Libra­ry in San Diego. 

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Was für ein Zufall, oder, wie mir aus Fil­men im Ohr ist, wenn Men­schen oder Din­ge zusam­men­tref­fen, die nach dem gerin­gen Grad von Wahr­schein­lich­keit es eigent­lich nicht tun dürf­ten, „what are the odds“? Dass gera­de in die­sem Zug nach Kali­for­ni­en, genau an die­sem Tag, gera­de in mei­nem Abteil jemand die Bud­den­brooks liest, die­se Geschich­te aus dem fer­nen Lübeck! 

Das könn­te ein Aus­gangs­punkt für eine empi­risch-kon­zep­tu­ell-per­for­ma­ti­ve Arbeit sein: man fährt zwi­schen Illi­nois und Kali­for­ni­en hin und her, geht wie die Schaff­ner durch den Zug, fragt, tippt sach­te an der Schul­ter, ob hier jemand etwas von TM oder ande­ren Manns liest. Dann steckt man einen Zet­tel als Mar­kie­rung über den Sitz. All­zu­viel Zet­tel dürf­ten nicht zusammenkommen. 

Es ist Nacht gewor­den. Ich dre­he mich zu mei­nem Mit­rei­sen­den um, er lehnt im Dun­keln. Auf dem Sitz neben ihm das Buch. Tho­mas Mann fährt mit. 

Halifax – Elisabeth Mann-Borgese, Land und Meer

Hali­fax – ich hat­te zunächst gezö­gert, dort­hin zu rei­sen, an die West­küs­te Kana­das, nach Neu­schott­land, von New York auf dem Land­weg etwa 1400 km ent­fernt. Dann aber, ein­mal auf dem nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, scheint es eine Gele­gen­heit, das Umfeld zu erkun­den, in dem Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se, Tho­mas Manns jüngs­te Toch­ter (1918–2002, von Insi­dern EMB abge­kürzt), über 25 Jah­re gelebt hat. 

Karo­li­na Kühn vom Lite­ra­tur­haus Mün­chen, die 2013 eine Aus­stel­lung zu EMB kura­tier­te, nennt Kon­takt­per­so­nen in Hali­fax und bestärkt mich in der Rei­se­ab­sicht – bereits die Land­schaft dort sei es wert! 

Wel­ches Ver­kehrs­mit­tel ist ange­mes­sen? EMB, lei­den­schaft­li­che Auto­fah­re­rin, fuhr die Tour in den Nor­den das ers­te Mal in einem Rutsch von 16 Stun­den. Spä­ter nutz­te sie aber auch den klei­nen Flug­ha­fen von Hali­fax aus­gie­big. Ich beschlie­ße, hin zu flie­gen, zurück nach New York auf dem Land­weg zu rei­sen. Von oben sieht Nova Sco­tia sehr viel­ver­pre­chend aus.

Ich erkun­de zunächst die Gegend um Hali­fax, über­nach­te auf einer Halb­in­sel mit dem schö­nen Namen „Dead Mans Island“, zie­he an Buch­ten ent­lang, durch Wald, Gebüsch an Seen vor­bei, über blank­ge­scheu­er­te Gra­nit­flä­chen. Nach Wes­ten sind noch die Hoch­häu­ser der Stadt zu sehen. Auf der ande­ren Sei­te in der Fer­ne das Meer. 

Die Stra­ße, auf der ich nach einem Abste­cher in die fast men­schen­lee­re Umge­bung zwi­schen Stadt und Küs­te als ers­tes sto­ße – Prince­ton Road. Was für ein Zufall!

Von Prince­ton nach Hali­fax: So läßt sich ein Teil des Weges von EMB beschrei­ben: In Prince­ton kommt sie mit den Ideen einer Welt­re­gie­rung in Berüh­rung, mit poli­tisch enga­gier­ten Emi­gran­ten wie ihrem zukünf­ti­gen Mann Giu­sep­pe Anto­nio Bor­ge­se, die unter dem Ein­druck von NS-Regime und Faschis­mus z.B. die Kon­fe­renz „City of Man“ 1940 ver­an­stal­ten, an der auch Tho­mas Mann mit­wirkt, eine Welt­ver­fas­sung ent­wer­fen. Das Meer, zu dem Eli­sa­beth schon seit der Kind­heit eine enge Bezie­hung hat­te – sie­he die Auf­ent­hal­te an der Ost­see auf Nid­den – ist ihr das Gebiet, um die­se idea­lis­ti­schen Vor­stel­lun­gen umzu­set­zen. Sie setzt sich ein für Nach­hal­tig­keit und inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit, etwa im Club of Rome – als ein­zig weib­li­ches Mit­lied, ihrer Zeit in mehr­fa­cher Hin­sicht vor­aus. 1972 grün­det sie das Inter­na­tio­nal Oce­an Insti­tut (IOI). Fach­kennt­nis­se eig­net sich die stu­dier­te Musi­ke­rin nach Inter­es­se und Bedarf an – dar­in ihrem Vater nicht unähn­lich. Im Ver­lauf ihrer unkon­ven­tio­nel­len, heu­te so kaum mehr mög­li­chen Kar­rie­re kommt sie 1978 an die Del­housie-Uni­ver­si­tät in Hali­fax, immer­hin mit 60 Jah­ren, als Pro­fes­so­rin für inter­na­tio­na­les Seerecht. 

Zurück in der Stadt besu­che ich das IOI, in einem ver­gleichs­wei­se beschei­de­nen Holz­haus in der Nähe der Uni­ver­si­tät. Die Atmo­sphä­re ist fami­li­är. Made­lei­ne Cof­fen-Smout, Pro­gramm­lei­te­rin, Mike But­ler, Direk­tor, und Hugh Wil­liam­son, ehe­ma­li­ger Assis­tent EMBs, machen mich mit der Akti­vi­tät des IOI bekannt: es hat wenig direk­ten poli­ti­schen Ein­fluss, stellt aber ein umfang­rei­ches Netz­werk dar. Schwer­punkt ist das inter­na­tio­na­le Aus­bil­dungs­pro­gramm in poli­ti­schen Wis­sen­schaf­ten, inter­na­tio­na­lem Recht, Wirt­schaft und Manage­ment, Mee­res­kun­de. Die Kur­se haben Modell­cha­rak­ter, vie­le der Teil­neh­mer sind spä­ter an Schalt­stel­len tätig und ver­grö­ßern so das Netz­werk, das auf einen ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgang mit den Resour­cen der Mee­re, auf ein glo­ba­les öko­lo­gi­sches und öko­no­mi­sche Bewusst­sein abzielt. 

Made­lei­ne hat Schau­ta­feln, Bil­der und Publi­ka­tio­nen zusam­men­ge­stellt, die mit EMB in Zusam­men­hang ste­hen. Dabei fällt auf, dass sie auf den meis­ten, beson­ders den frü­hen Fotos sehr männ­lich aus­sieht, laut eige­ner Aus­sa­ge aus­se­hen woll­te, mit kur­zen Haa­ren und erns­tem, extra fürs Foto auf­ge­setz­tem Blick. Und in der Tat, mit der weib­li­chen Geschlech­ter­rol­le hat­te EMB lan­ge zu kämp­fen, woll­te als Mann erschei­nen, sich auch leis­tungs­mä­ßig bewei­sen, etwa durch pia­nis­ti­sches Kön­nen, nicht zuletzt ihrem Vater Tho­mas Mann gegen­über. Das inter­es­siert mich beson­ders, da der Fami­li­en­na­me ja auch als Geschlechts­be­zeich­nung gele­sen wer­den kann und die Aus­ein­an­der­set­zung damit und mit ent­spre­chen­den bür­ger­li­chen Erwar­tun­gen in der Fami­lie eine Art Leit­mo­tiv dar­stellt, auch bei Eri­ka und Kat­ja. Hier wer­den Gen­der­gren­zen über­schrit­ten einer­seits phä­no­ty­pisch, im Sinn von andro­gy­nem Aus­se­hen, ande­rer­seits auch im Sinn von Eman­zi­pa­ti­on. Auch schwingt der Leis­tungs­ge­dan­ke mit – lei­tet der Name ‚Mann’ sich doch vom Über­na­men für einen tüch­ti­gen Men­schen ab.

Bil­der: Cover Hol­ger Pils/Karolina Kühn (Hrsg.): Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se und das Dra­ma der Mee­re, Ber­lin 2012.

Hugh Wil­liam­son erzählt von EMB Tätig­keit und Per­sön­lich­keit: Sie ver­folg­te ihre Zie­le aus­dau­ernd und selbst­be­wusst, rief auch, wenn es etwa um die Rati­fi­zie­rung von inter­na­tio­na­len Abkom­men ging, beim ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten an. Inwie­fern spiel­te ihr pro­mi­nen­ter Fami­li­en­na­me eine Rol­le? EMB scheu­te sich nicht, ihn ein­zu­set­zen („Mann? That is an inte­res­t­ing name“), wenn es dar­um ging, Zugang zu bekom­men und Mit­strei­ter für die Sache der Mee­re zu gewinnen.

Eine Stra­ße ist nach EMB in Hali­fax und auch sonst welt­weit nir­gends benannt – außer in Mün­chen, der Stadt, in der sie gebo­ren und auf­ge­wach­sen ist. Es gibt aber doch einen wei­te­ren Namens­trä­ger, ein Fort­be­we­gungs- und Trans­port­mit­tel, das in dem Ele­ment unter­wegs ist, für das sich EMB ena­gier­te: ein Schiff.

Ähn­lich­keit mit dem Aus­blick von einem Schiff hat­te der Blick aus ihrem häus­li­chen Arbeits­zim­mer vom Schreib­tisch nach drau­ßen aufs Meer, wobei das Gelän­der vor dem Fens­ter wie eine Reling wirkt. Den Gegen­stand ihrer Bemü­hun­gen vor Augen und Ohren zu haben, war ihr wich­tig, neben Unge­stört­heit und Konzentration. 

Foto: Peter Sib­bald, aus: Hol­ger Pils/Karolina Kühn (Hrsg.): Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se und das Dra­ma der Mee­re, Ber­lin 2012, S. 184.

Am Nach­mit­tag fährt mich ein wei­te­rer freund­li­cher Mit­ar­bei­ter des IOI, Dirk Wer­le, zu EMBs ehe­ma­li­gem Haus in Sam­bro Head, ent­lang der Küs­te. Man fährt etwa eine hal­be Stun­de, durch die dünn­be­sie­del­te Gegend, die ich zuvor erkun­det hat­te. Freun­de und Geschwis­ter (etwa Golo) waren damals nicht unbe­dingt begeis­tert, dass sie sich so weit­ab vom Schuss nie­der­ge­las­sen hat­te, dort, wo wie jetzt, im Herbst bereits der Wind vom Atlan­tik her pfeift und im Win­ter schon mal die Lei­tun­gen ein­frie­ren. Aber EMB woll­te es so. 

Foto: Dirk Werle

Das Haus wirkt beschei­den, aber schüt­zend und gemüt­lich, mit zum Boden gezo­ge­nen Dächern, einer „A“-Konstruktion, jetzt etwas ver­wil­dert und ein­ge­wach­sen; EMB  starb ja bereits 2002. Die Haus­num­mer ist auf eine Holz­lat­te geschrie­ben, mit auf­ge­schraub­ter Leuch­te – von der aller­dings nur noch eine Fas­sung vor­han­den ist. Auch die Stra­ßen­leuch­te gleich gegen­über ist denk­bar ein­fach: ein Holz­mast aus einem Baum­stamm, der gleich­zei­tig als Trä­ger von Strom- und Tele­fon­dräh­ten dient, dar­an ein Ausleger. 

Der Kon­trast zu den Vil­len ihres Vaters ist ekla­tant, gera­de nach­dem ich kurz vor­her das Haus in Prince­ton gese­hen hat­te. Aber wen hät­te Eli­sa­beth beein­dru­cken, was hät­te sie reprä­sen­tie­ren sollen? 

Zwei Zita­te zu/von EMB sind mir noch im Gedächt­nis: „She was an ice­berg“ (Hugh Wil­liam­son), aner­ken­nend gemeint: unbe­irr­bar, ziel­stre­big unter­wegs, mit nur einem Bruch­teil des Volu­mens sicht­bar. Und: „It’s easier to get for­gi­ve­ness than per­mis­si­on“, das im Bezug auf ihre vie­len Pro­jek­te und Ver­su­che, auf Leu­te ein­zu­wir­ken und das zu bekom­men, was sie woll­te. Ich muss an das Denk­mal­pro­jekt den­ken, wo es ja auch viel um Geneh­mi­gun­gen gehen wird – da könn­te ich mir eine Schei­be abschneiden …

„Mein Nidden“ – zu den Manns an die Ostsee

Nidden/Nida auf der kuri­schen Neh­rung in Litau­en also, wo Tho­mas Mann sich 1929 ein Feri­en­haus bau­en ließ – und es 1930 am 16. Juli bezog. Um die­se Zeit fin­det seit 23 Jah­ren hier im Haus, jetzt Muse­um, ein Tho­mas-Mann-Fes­ti­val mit Lesun­gen, Vor­trä­gen und Kon­zer­ten statt.

Ich rei­se an mit Zug, Bus und Fäh­re, zwei Tage, etwa so lan­ge, wie es auch zu Zei­ten der Manns dau­er­te, um die Ent­fer­nung zu erfahren.

Im Haus höre ich u.a. Jind­rich Mann, Enkel von Hein­rich Mann, ver­su­che ein Gefühl für Ort und Land­schaft zu bekom­men, spre­che mit Mann-Exper­ten und Ver­tre­tern von Insti­tu­tio­nen über das Denkmalprojekt.

Inter­es­sant, dass Tho­mas Mann 1930 hier­her­kam, und die zwei fol­gen­den Som­mer hier ver­brach­te, also die letz­ten Feri­en vor der Emi­gra­ti­on. Die selbst­ge­wähl­te Rei­se, Ent­fer­nung gegen­über der unfrei­wil­li­gen, erzwun­ge­nen. Nid­den als ein „Refu­gi­um, viel­leicht sogar eine Art Vor-Exil“, wie Fri­do Mann schreibt. 

Ich unter­hal­te mich mit Uwe Nau­mann, Phi­lo­lo­ge, Lek­tor bei Rowohlt und inti­mer Ken­ner der Fami­lie Mann, über das Denk­mal­pro­jekt. Es taucht die Fra­ge auf: Wie kann man deut­lich machen, dass Inter­na­tio­na­li­tät und häu­fi­ger Orts­wech­sel eben nicht durch Rei­se­lust und Tou­ris­mus, son­dern größ­ten­teils durch Emi­gra­ti­on bedingt waren? Tho­mas Mann sei der sess­haf­tes­te Mensch gewe­sen, den man sich vor­stel­len kön­ne – und wäre sicher wei­ter in Mün­chen geblie­ben. Es hand­le sich also um ein „erzwun­ge­nes Welt­bür­ger­tum.“
Die Unter­schei­dung ist nicht leicht zu tref­fen, da die Manns ja auch in der erzwun­ge­nen Frem­de über Mit­tel und Unter­stüt­zer ver­füg­ten, um einen geho­be­nen Lebens- und Rei­se­stil auf­recht­zu­er­hal­ten, und die Orte der Mann­schen Emi­gra­ti­on ja nicht die häss­lichs­ten waren: Bei­spiels­wei­se Sana­ry-sur-Mer an der Côte d’A­zur, wie Nida ein Küs­ten- und Bade­ort, der sich zur Anlauf­stel­le von Emi­gran­ten ent­wi­ckel­te, und den ich im Herbst 2020 besu­chen werde. 

Das kann wohl nur durch zusätz­li­che Bild- und Text­in­for­ma­tio­nen gesche­hen, und indem man die Leuch­ten und ihre Orte zusam­men­denkt. In Nid­den bei­spiels­wei­se steht die Leuch­te ja vor einem Feri­en­haus, einem fes­ten Gebäu­de, das bewusst für län­ge­ren, wochen- und mona­te­lan­gen Auf­ent­halt geplant und in Auf­trag gege­ben wur­de. Mit sei­nem brei­ten Dach, dem Walm aus Reet, strahlt es den Wunsch nach Sess­haf­tig­keit und Ver­wur­zelt­sein aus. Es ist gebaut in Anleh­nung an tra­di­tio­nel­le, orts­ty­pi­sche Bau­wei­se, eine Fischer­hüt­te oder bes­ser, ‑kate, mit den gewach­se­nen Mate­ria­li­en Holz und Reet, dem Regio­na­li­tät signa­li­sie­ren­den Preu­ßisch-Blau auf den Stirn­sei­ten des Dachs, den Fens­ter­lä­den und ‑rah­men.

Ein Gespräch mit Lina Motu­zi­enė, Lei­te­rin des Tho­mas-Mann-Kul­tur­zen­trums, gerät schnell ins Prak­ti­sche: Sie tele­fo­niert mit einer Mit­ar­bei­te­rin der Nerin­gos Komu­na­l­in­in­kas, des hie­si­gen Bau­hofs, der für die Kom­mu­nen der Neh­rung zustän­dig ist, und kurz dar­auf rad­le ich los, um dort eine Lam­pe in Augen­schein zu neh­men. Somit bie­ten sich auch Bli­cke hin­ter die Kulis­sen von Nida. Bald fin­de ich mich in einer Werk­statt wie­der, auf dem Tisch eine Leuch­te, die ich gleich mit­neh­men kön­ne – und auf litau­isch und eng­lisch dis­ku­tie­ren wir über Maße, Leucht­mit­tel, Gewicht und die Fra­ge, ob es die­se sein kön­ne oder das „Ori­gi­nal“, das mir am liebs­ten wäre – bis zwei Mit­ar­bei­ter her­ein­kom­men und fest­stel­len, das auf dem Tisch sei nicht das vor dem Kul­tur­zen­trum ver­wen­de­te Modell, son­dern ein klei­ne­res, und das „rich­ti­ge“ her­ein­brin­gen – in der Tat eine Num­mer grö­ßer und schwe­rer. Die Leuch­te wird ange­schlos­sen und getes­tet, und in der Tat, das ist das röt­li­che Licht, das abends auf den Stra­ßen, Plät­zen und Ufer­pro­me­na­den zu fin­den ist. Sie bie­ten an, die Leuch­te gleich gegen die vor dem Tho­mas-Mann-Haus aus­zu­tau­schen. Wir fah­ren los. 

Wie­der­um geht es schnell: Die Leuch­te vor dem Haus wird abge­baut, im Biblio­theks­raum zwi­schen­ge­la­gert und mir über­ge­ben – eben am 16. Juli! 

Eine schö­ne Sze­ne: Im Vor­der­grund instal­lie­ren zwei Mit­ar­bei­ter von Nerin­gos Komu­na­l­in­in­kas eine Lei­ter und mon­tie­ren die Lam­pe ab, gera­de neben dem Hin­weis­schild auf das Muse­um. Im Hin­ter­grund das Feri­en­haus, aus dem durch die offe­ne Tür der Veran­da wohl­ar­ti­ku­lier­te Sät­ze über Nid­den tönen, die Cha­rak­te­ris­tik der Land­schaft und ihrer Men­schen – Tex­te von Tho­mas, gele­sen von Fri­do Mann.

Als die Leuch­te her­un­ter­ge­ho­ben ist, sieht man ihre Ober­sei­te zart bedeckt von hell­grau­en Flech­ten – stand sie doch unter Kie­fern, wo Feuch­tig­keit und Schat­ten für ein güns­ti­ges Kli­ma sorg­ten. Auf die­se Wei­se wird mit der Leuch­te auch ein Stück Ost­see-Flo­ra nach Mün­chen importiert. 

Der Vor­trag von Uwe Nau­mann über die Manns und das Meer fügt sich an die­sem Tag inso­fern ganz gut, als der ers­te Teil mei­ner Rück­rei­se ja auch über die Ost­see statt­fin­den wird, mit der Fäh­re nach Kiel. 

Sei­ne vor­her­ge­hen­de Lesung der Geschich­te „Das Eisen­bahn­un­glück“ von Tho­mas Mann passt auch, zumin­dest was das Ver­kehrs­mit­tel ab Kiel betrifft … An die Dra­ma­tik der Erzäh­lung reicht die Fahrt nicht her­an – auch wenn es DB-bedingt ver­schie­de­ne Zwi­schen­fäl­le gibt, die in einer Ver­spä­tung von andert­halb Stun­den resul­tie­ren – was jedoch nur halb solang wie in der Geschich­te ist. 

Konzept

Das Denk­mal für die Fami­lie Tho­mas Mann besteht aus Schil­dern von Stra­ßen, die nach Mit­glie­dern der Fami­lie benannt sind, und aus 15 Stra­ßen­leuch­ten. Die­se stam­men aus Mün­chen, aber auch aus ande­ren Orten der Welt, die mit der Fami­lie Mann in Bezug ste­hen, mit Tho­mas Mann, sei­ner Frau Katia und ihren Kin­dern Klaus, Eri­ka, Golo, Eli­sa­beth, Micha­el und Monika.

In Schil­dern und Leuch­ten spie­gelt sich die Inter­na­tio­na­li­tät der Fami­lie Mann wider, von Mün­chen aus­ge­hend, mit Lebens- und Wir­kungs­or­ten in Euro­pa, den USA und Süd­ame­ri­ka, gleich­zei­tig ihre welt­wei­te lite­ra­ri­sche Aus­strah­lung und Bedeu­tung. Dies ist auch anhand der unter­schied­li­chen Stra­ßen­be­zeich­nun­gen (Via, Rue, Rua…) ables­bar. Die Auf­stel­lung ori­en­tiert sich an der Lage der Orte zuein­an­der und bil­det eine ima­gi­nä­re Kar­te. Ange­spro­chen sind Aspek­te von Orts­ver­bun­den­heit, gleich­zei­tig Emi­gra­ti­on, Orts­wech­sel sowie grenz­über­schrei­ten­dem Welt­bür­ger­tum, wofür die Fami­lie als Bei­spiel gel­ten kann.

Die bau­li­che Fer­tig­stel­lung des Denk­mals ist für Frühjahr/Sommer 2024 geplant. 

Albert Coers: Aus­füh­rungs­Ent­wurf 2021, Per­spek­ti­ve, Zeich­nung: Flo­ri­an Froese-Peek


Aus­gangs­punkt sind Situa­tio­nen in Mün­chen, dem lang­jäh­ri­gen Lebens­mit­tel­punkt der Fami­lie. Hier gibt es inzwi­schen meh­re­re Stra­ßen und Plät­ze, die nach Mit­glie­dern der Fami­lie benannt sind, nach Eri­ka, Klaus, Eli­sa­beth, Golo. Jedoch lie­gen die­se an wenig fre­quen­tier­ten Orten, in Neu­bau­ge­bie­ten, an der Peri­phe­rie, sind so im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis wenig prä­sent. Die­se Schil­der, samt der Lam­pen, an denen sie befes­tigt sind, wer­den ins Zen­trum der Stadt gebracht, als Grup­pe ver­sam­melt und dadurch stär­ker sicht­bar. Es fin­det eine „Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung“ statt. Gleich­zei­tig ver­wei­sen Schil­der und Lam­pen zurück auf ihre ursprüng­li­chen Stand­or­te. Damit betont das Denk­mal den Bezug zu urba­nen Strukturen. 

Namen

Für Katia Mann, nach der bis­her kei­ne Stra­ße und kein Platz benannt ist, wird ein neu­es Schild geschaf­fen. Ange­bracht ist es an einer auf dem Platz vor­han­den­denen Leuch­te, die um weni­ge Meter ver­setzt und so in die Grup­pe der wei­te­ren Leuch­ten des Denk­mals ein­be­zo­gen wird.
Dies macht „Frau Tho­mas Mann“ stär­ker im Bezug zur Stadt sicht­bar, war sie doch gebür­ti­ge Münch­ne­rin und ent­stamm­te der jüdi­schen Fami­lie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz ver­lo­ren und emi­grie­ren muss­ten. Die Benen­nung im Denk­mal nimmt vor­weg, was eigent­lich ein lang­wie­ri­ger Pro­zess wäre. Die­se Mischung von Rea­li­tät und Fik­ti­on ist auch Ver­weis auf lite­ra­ri­sche Ver­fah­ren, wie sie Tho­mas oder auch Klaus Mann praktizierten.


Leuch­ten

Neben Leuch­ten und Schil­dern aus Mün­chen, die erin­nern an Tho­mas, Eri­ka, Klaus, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se, zei­gen wei­te­re die Spann­wei­te zwi­schen Euro­pa, Nord- und Süd­ame­ri­ka, stel­len Bezü­ge her.
Ein Stra­ßen­schild „Rue Tho­mas Mann“ stammt aus Paris und wird gemäß der dort übli­chen Anbrin­gung an der Wand der Sal­vat­or­ga­ra­ge zu sehen sein. Lübeck ist als Geburts­ort von Tho­mas Mann und Schau­platz von „Bud­den­brooks“ ver­tre­ten, mit einer Lam­pe vor der dor­ti­gen Tho­mas-Mann-Schu­le und einem Schild nach Tho­mas-Mann-Stra­ße. Aus Frank­furt stam­men Lam­pe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Stand­ort eines Denk­mals für ver­folg­te Homo­se­xu­el­le von Rose­ma­rie Trockel („Frank­fur­ter Engel“); damit ist ein Bestand­teil der Iden­ti­tät meh­re­rer Fami­li­en­mit­glie­der inbegriffen.

Rom ist mit dem Schild „Via Tho­mas Mann“ und Leuch­te prä­sent als Auf­ent­halts­ort von Tho­mas (und Hein­rich) Mann in jun­gen Jah­ren. Für den süd­ame­ri­ka­ni­schen Teil (Tho­mas Manns Mut­ter Julia stamm­te aus Bra­si­li­en) ste­hen Straßenlampe/Schild aus São Pau­lo.

Eine Leuch­te kommt dage­gen aus Nida/Nid­den in Litau­en, bevor­zug­te Som­mer­fri­sche der Fami­lie Mann, wo sie vor dem Feri­en­haus der Manns steht, heu­te Tho­mas-Mann Haus, ein Kul­tur­zen­trum und Muse­um. Sana­ry-Sur-Mer an der Côte d’Azur war ers­ter Ort der Emi­gra­ti­on in den 1930er Jah­ren. Von dort stammt eine Lam­pe, die für die Fami­lie ins­ge­samt steht, eben­so eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heu­te: Ren­wick), wo die Manns wie­der­holt wohn­ten. Ein Schild „Mann Av.“ aus New York steht für die Fami­lie und den Namen „Mann“ als Gan­zes, auch für Micha­el und Moni­ka, nach denen kei­ne eige­ne Stra­ße benannt ist. 

Auf Los Ange­les ver­weist eine Leuch­te. Dort ließ Tho­mas Mann 1942 eine Vil­la bau­en, die er bis zur Rück­kehr nach Euro­pa 1952 bewohn­te, und die heu­te als Tho­mas Mann House als Resi­denz­haus ein Auf­ent­halts­ort für Sti­pen­dia­ten und Ort kul­tu­rel­len Aus­tauschs ist. Eine Leuch­te aus Kilch­berg in der Schweiz stellt eine Bezie­hung her zum Wohn­ort von Tho­mas und Katia, auch von Eri­ka (nach der in Zürich eine Stra­ße benannt ist) und zuletzt Golo, der aber in Lever­ku­sen ver­starb, und an den dort eine Stra­ße erinnert. 

Recher­che­rei­sen an die jewei­li­gen Orte sind Bestand­teil des Pro­jekts, eben­so eine Buch­pu­bli­ka­ti­on, die Hin­ter­grund und Ent­ste­hung des Denk­mals doku­men­tiert, ver­mit­telt und ergänzt, auch um die aktu­el­len Situa­tio­nen der Stra­ßen­schil­der und Leuch­ten vor Ort. 

Wettbewerb

Am 10.4.2019 hat der Stadt­rat Mün­chen beschlos­sen, den Ent­wurf von Albert Coers für ein Denk­mal für die Fami­lie Mann am Sal­va­tor­platz zu rea­li­sie­ren. Coers‘ Kon­zept mit dem Titel „Stra­ßen Namen Leuch­ten“ war von einer Fach­ju­ry im Rah­men eines Wett­be­werbs für Kunst im öffent­li­chen Raum aus­ge­wählt wor­den, zu dem das Kul­tur­re­fe­rat  2017 acht inter­na­tio­na­le Künst­le­rin­nen und Künst­ler ein­ge­la­den hat­te (Clegg & Gutt­mann, Albert Coers, Anni­ka Kahrs, Michae­la Mei­se, Michae­la Melián, Olaf Nico­lai, Timm Ulrichs, Palo­ma Var­ga Weisz).
Mit der Fer­tig­stel­lung des Denk­mals ist im Frühjahr/Sommer 2024 zu rechnen.

Die Initia­ti­ve, Tho­mas Mann ein Denk­mal zu set­zen, geht auf einen Stadt­rats­an­trag bereits von 2015 zurück: „Der Münch­ner Bür­ger und bedeu­ten­de Autor Tho­mas Mann ver­dient einen sicht­ba­ren Ehren­platz in der Stadt, die er zu sei­nem Lebensmit­telpunkt gemacht hat. Hier hat er lan­ge gelebt, gehei­ra­tet, ein Haus gebaut. Hier woll­te er bleiben.“
Der Fokus hat sich dabei erwei­tert: „Neben der his­to­ri­schen Bedeu­tung von Tho­mas Mann für Mün­chen wur­de deut­lich, dass der the­ma­ti­sche Schwer­punkt nicht nur auf Tho­mas Mann beschränkt sein darf. Eine künst­le­ri­sche Wür­di­gung des Nobel­preis­trä­gers ohne sei­nen fami­liä­ren Kon­text wür­de vie­le inter­es­san­te Facet­ten des Wir­kens der „Manns“ aus­klam­mern. Bei einer wei­te­ren per­ma­nen­ten künst­le­ri­schen Auf­wer­tung des öffent­li­chen Raums ist nun die lite­ra­ri­sche Bedeu­tung der gesam­ten Fami­lie Mann zu berück­sich­ti­gen.“ (Text nach der Ausschreibung).

Family man
Moni­ka, Micha­el, Golo, Katia, Tho­mas, Eli­sa­beth, Eri­ka, Klaus Mann, 1927, Mona­cen­sia Archiv


Ort

Der Stand­ort für das Denk­mal, der Sal­va­tor­platz, befin­det sich in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zum Lite­ra­tur­haus und damit an einem der zen­tra­len Orte der Beschäf­ti­gung mit lite­ra­ri­schem Schaf­fen in Mün­chen. Er liegt in der Alt­stadt, zwi­schen dem Lite­ra­tur­haus, den Sal­vat­or­ga­ra­gen, einem denk­mal­ge­schütz­tem Bau aus den 1960er Jah­ren, und der Sal­va­tor­kir­che im Südosten.

Die Manns und München

Die Idee, Tho­mas Mann und sei­ner Fami­lie ein Denk­mal an zen­tra­ler Stel­le zu errich­ten, hat als Hin­ter­grund die gro­ße Bedeu­tung der Stadt für die Fami­lie, aber auch das ambi­va­len­te Ver­hält­nis zu ihr – sowie die Tat­sa­che, dass die Fami­lie in der sicht­ba­ren Gedächt­nis­kul­tur bis­her nicht die ihr zukom­men­de Prä­senz hat.

Tho­mas Mann, 1875 in Lübeck gebo­ren, kam 1894 als jun­ger Mann nach Mün­chen und leb­te dort über 30 Jah­re. Hier lern­te er sei­ne Frau Katia Pringsheim ken­nen, hier kamen die Kin­der Eri­ka und Klaus, Golo und Moni­ka, Eli­sa­beth und Micha­el zur Welt. Hier ent­stan­den die meis­ten sei­ner lite­ra­ri­schen Werke.

Doch nach der Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­lis­ten 1933 emi­grier­te die Fami­lie Mann, leb­te fast 20 Jah­re im Exil, zuerst in Euro­pa, dann in den USA. Die Vil­la der Fami­lie in der Poschin­gen­stra­ße in Mün­chen wur­de beschlag­nahmt, Tho­mas Mann enteignet.
1952 kehr­te er end­gül­tig nach Euro­pa zurück. Die Wahl fiel auf die Schweiz. Eine Rück­kehr nach Mün­chen war für ihn aus­ge­schlos­sen. Sein ehe­ma­li­ger Wohn­sitz in Mün­chen wur­de wegen der Gefahr eines Zusam­men­bruchs mit sei­ner per­sön­li­chen Zustim­mung durch die Stadt Mün­chen abge­ris­sen. Tho­mas Manns Nach­lass ging an die Eid­ge­nös­si­sche Tech­ni­sche Hoch­schu­le in Zürich. Das umfang­rei­che lite­ra­ri­sche Erbe sei­ner Kin­der Klaus, Eri­ka, Micha­el, Moni­ka und Eli­sa­beth Mann befin­det sich in der Mona­cen­sia im Hildebrandhaus.