Im Mai 2024, vor etwa einem Jahr, kamen bei der obligatorischen archäologischen Begleitung der Grabung am Salvatorplatz für die Aufstellung des Denkmals für die Familie Mann Reste von Bestattungen auf dem Friedhof der nahegelegenen Salvatorkirche und der Friedhofsmauer zum Vorschein. Das Büro für Archäologie Neupert, Kozik & Simm war mit den Arbeiten beauftragt und barg ein Kinderskelett aus der Barockzeit. Der Friedhof war bis ca. 1800 in Betrieb. Eigentlich war dies bekannt, und der Friedhof ist auch als Bodendenkmal ausgewiesen, doch war man davon ausgegangen, dass wegen der zahlreichen Baumaßnahmen am Platz nach 1945 und eines Luftschutzkellers unter dem Platz keine Funde zu erwarten seien. Bei einer Begehung des Kellers unterhalb der Salvatorgarage stellte sich jedoch heraus, dass dieser sich komplett unter dem Gebäude befindet, nur ein schmaler Laufgang unter dem Platz gelegen ist.
Den Platz komplett bis auf die geplante Fundamenttiefe von teils bis zu 1,90 m aufzugraben und archäologisch untersuchen zu lassen, wäre mit sehr hohem Kosten- und Zeitaufwand verbunden, so dass ein Baustopp und anschließend ein Rückbau bis zur Klärung der Lage geboten war.
Die Funde, gerade bei Baubeginn, waren ein harter Schlag und brachten mich in Zwiespalt: Einerseits interessiere ich mich selbst für Geschichte und Archäologie; Sichten, Sammeln, Dokumentieren von Funden sind Teil meiner künstlerische Praxis. Und die Grabungen stießen auch auf Interesse von Passanten, bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Literaturhauses. Der Salvatorplatz verwandelte sich für kurze Zeit in eine Ausgrabungsstätte, an der Überreste vergangener Lebenswelten und ehemaliger Stadtbewohner sichbar wurden – ein an und für sich spannender Prozess. Und dass die Familie Mann hier ein Denkmal bekommen soll, wo auch Lebensspuren anderer Familien sichtbar werden, erscheint passend. Andererseits wurde eben durch die Funde der langersehnte Abschluss des Denkmalprojekts verhindert, das sich schon über mehrere Jahre hinzieht. Die Ausgrabungen setzten eine Kette von erneuten Abstimmungsprozessen mit den Denkmalschutzbehörden in Gang, u.a. mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, wo das Projekt am Salvatorplatz zeitweise in Frage gestellt schien, nicht im Hinblick auf das Bodendenkmal, sondern grundsätzlich; Abteilungen, die vorher anscheinend nicht beteiligt waren, schalteten sich ein, der Landesdenkmalrat – ein Gremium, von dessen Existenz ich vorher nichts wusste – wurde um Stellungnahme gebeten, und gab das Thema wieder an die Denkmalpflege zurück, ich wurde von dort aufgefordert, eine erneute Projektbeschreibung mit Visualisierungen einzureichen, aus der die Wirkung im Ensemble „München nach 1945“ klarer hervorgehen sollte …
Die zentrale Lage in der Altstadt hat also ihre Tücken. Dennoch bleibt der Standort für das Denkmal inhaltlich ideal, in unmittelbarer Nachbarschaft des Literaturhauses, mit seiner Verbindung zur Literatur und insbesondere seinem „Hausheiligen“ Thomas Mann. Auch hatte ich den Entwurf genau für den Platz konzipiert, als Versammlung der über die Stadt verstreuten Schilder an einem zentral gelegenem Ort, mit den hochaufragenden, Licht spendenden Leuchten. Anfang des Jahres 2025 wurde ein grundsätzliches Einverständnis des Denkmalschutzes mit dem Denkmal singnalisiert, was sich in einer Genehmigung für weitere (archäologische) Grabungen manifestierte. Nun müssen gemäß der Empfehlung die Fundamente für die Leuchten flacher geplant, technische Lösungen für die veränderte Ausgangslage gefunden werden. Die Planungen gehen jetzt weiter!
Flashback zum Prozess der Ideenfindung: In München setze ich 2018 meine Recherche zu den Straßenschildern der Manns fort. In den 2000ern wurden dort eine Reihe von Straßen und Plätzen nach den Kindern der Manns benannt. Das hängt wohl zusammen mit der gestiegenen Popularität der Familie nach der Verfilmung ihrer Geschichte durch Heinrich Breloer 2001, mit verstärkter wissenschaftlicher Beschäftigung, aber auch mit dem Bemühen der Stadt München, verstärkt Frauen bei der Benennung von Straßen zu berücksichtigen und dadurch sichtbar zu machen.
Ich finde immerhin fünf Mitglieder der Familie (mit Heinrich wären es sechs): Thomas Mann in Bogenhausen, Klaus und Erika am Arnulfpark, Elisabeth ganz im Osten und Golo ganz im Westen. Diese weitgestreckte Verteilung bringt mich auf die Idee, die Mitglieder über die Schilder zusammenzuholen und von der Peripherie ins Zentrum, an den Salvatorplatz in der Altstadt zu bringen.
Was in München weiter auffällt: Die Schilder sind an Straßenleuchten angebracht, anders als in Berlin. Daraus entwickelt sich die Idee, sie mitzunehmen, als charakteristische Bestandteile des öffentlichen Raums, die jeweils unterschiedlich ausfallen und, ähnlich wie die Schilder, viel über ihren Standort erzählen.
Die Orte liegen weit auseinander, wie man auf einem Stadtplan sehen kann. Um sie zu markieren und auch die Objekthaftigkeit der Leuchten mit hineinzunehmen, stecke ich Nägel mit breiten Köpfen in einen Plan. Sie reflektieren das Licht, „leuchten“.
Thomas-Mann-Allee, Bogenhausen
In München liegt die nach Thomas Mann benannte Straße im großbürgerlichen Stadtteil Bogenhausen, geprägt durch Villen und großzügige Einfamilienhäuser. Auch dieses Umfeld ist ein Unterschied zu Berlin, wo Wohnblocks und kommunale Bauten vorherrschend waren. „Allee“ heißt es hier, im Gegensatz zum prosaischen „Straße“; sie verläuft parallel zur Isar, ruhig über dem Fluss, von dem sie ein parkähnlicher Grünstreifen trennt, dessen Bäume sich über die Straße wölben. Auf der anderen Seite Gärten mit ausladenden alten Bäumen. Umbenannt wurde die Föhringer Allee, 1956, bereits ein Jahr nach dem Tod Thomas Manns. Dies zeigt, dass man sich der Bedeutung Thomas Manns bewusst war.
Das Schild ist groß und breit, vermittelt Solidität und Dauerhaftigkeit: Die Schrift ist in Emaille aufgebracht, Farbe als glasartige Schicht aufgeschmolzen – was eine harte, glänzende Oberfläche ergibt. Es ist von der Mitte aus leicht gewölbt, wirkt dadurch plastisch – und funktional läuft das Wasser von dieser gespannten Fläche gut ab. Die Schrift ist von einer Kartusche umrahmt, womit Historisch-Barockes anklingt.
Die Leuchte, an der das Schild angebracht ist, strahlt ebenfalls etwas Klassisch-Solides aus, mit der schlichten, kantigen Form, erinnert an das Design der 1950er Jahre und hat die schöne Typen-Bezeichnung „Bavaria“. Beim Besuch gefallen mir die Spinnweben zwischen Leuchte und Schild. Interessant ist das Schild dort auch, weil es in direktem Zusammenhang mit dem zentralen Lebensort der Familie steht: hier wohnten die Manns fast 20 Jahre lang, hier schrieb Thomas Mann u.a. den Zauberberg. 1913 ließen sich Thomas und Katia eine Villa bauen. Sie hat eine wechselvolle Geschichte, voller unterschiedlicher Nutzungen, Zerstörungen, Rekonstruktionen: Sie wurde im 2. Weltkrieg stark beschädigt, abgerissen, durch einen Bungalow ersetzt. 2001 ließ der in München geborene Alexander Dibelius, Banker bei Goldman-Sachs, die Fassade rekonstruieren, das Haus innen jedoch umbauen. Der Investor Thomas Manns erwarb die Villa schließlich 2015. Man kann sich vorstellen, dass dabei die Namensähnlichkeit eine Rolle gespielt hat – insofern passt dieses Detail auch zum Denkmal Straßen Namen Leuchten und der Anziehungskraft von Namen. An der Mauer der Villa erinnert eine Tafel erinnert an ihre Geschichte – und gerade stehen Leiter und Hochdruckreiniger vor ihr – sie wird offensichtlich gesäubert, vielleicht hatte sich jemand durch die weiße Fläche zum Hinterlassen eines Schriftzugs herausgefordert gefühlt …
Erika und Klaus – an den Gleisen – Arnulfpark
Erika und Klaus liegen ganz nach beieinander, als Geschwisterpaar, in einem 2004 auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Bahn angelegten Neubaugebiet, dem Arnulfpark. Hier, entlang der Gleisstrecke, zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke und der Arnulfstraße, war noch Platz, so dass dieser Ort relativ zentral liegt – auch wenn er durch seine Lage nicht so wirkt und immer noch etwas von „uncharted territory“ hat. Vielleicht passt die Nähe zu Gleisen und Bahnhöfen nicht schlecht, waren die Geschwister doch viel unterwegs (wenn auch häufiger mit dem Auto). Hier sind die Nachbarn z.B. Lilli Palmer, Marlene Dietrich und Bernhard Wicki. Erika ist damit mit Schauspielern ihrer Generation zusammengebracht, gleichzeitig damit auf ihre „Rolle“ auch festgelegt, sie, die so vieles war: Kabarettistin, Schriftstellerin, politische Aktivistin, Herausgeberin der Schriften ihres Vaters … Die Leuchten sind funktional-modern, entsprechend der Bauzeit, und so könnte man auch hier einen Generationenunterschied zur Leuchte des Vaters in Bogenhausen ausmachen.
Elisabeth Mann Borgese – Baustelle – Riem
Elisabeth Mann Borgese war das jüngste Kind der Manns. Die 2004 nach ihr benannte Straße liegt in einem Baugebiet in der Nähe des ehemaligen Flughafens Riem, der heutigen Messe; ich fahre mit dem Rad dorthin, brauche etwa 1 ½ Stunden (so lange wie in Rom zur Via Thomas Mann). Als ich das Schild fotografiere, fragen Bauarbeiter misstrauisch, was ich da mache, in wessen Auftrag, das Fotografieren der Baustelle sei verboten. Nur mit Mühe kann ich sie davon überzeugen, dass es mir allein um die Schilder geht … Aber das ist auch eine Erfahrung, die zur Arbeit im öffentlichen Raum gehört: Man muss sich mit den Leuten vor Ort auseinandersetzen. Dem Neubaugebiet entspricht das Design der Leuchte, die noch etwas mimimalistischer auftritt als die von Erika und Klaus, mit Glaszylinder und aufgesetzter Reflektorscheibe.
Auf den Schildern ist der Name „Mann“ stets präsent. Im Fall von Elisabeth dominiert dieser Familienname gegenüber den Vornamen, der abgekürzt wird: „Elis. Mann – Borgese“; Das hat natürlich technisch-funktionale Gründe, da der Name, voll ausgeschrieben, zu lang wäre und mit der maximalen Zeichenzahl für Straßenbenennungstafeln (so die offizielle Bezeichnung) in Konflikt käme.
Dabei ist gerade Elisabeth sehr eigenständig, als Anwältin der Rechte der Meere und Mitglied des Club of Rome. Elisabeth, ist hier mit der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf zusammengespannt – obwohl sie einen nicht-literarischen Beruf hatte – in der Familie Mann die Ausnahme. Geschrieben hat sie natürlich trotzdem!
Golo in Freiham – Neubau, Westen und Bundesrepublik
Die Straße, die nach Golo benannt ist, liegt ganz in entgegengesetzter Richtung, schon außerhalb des eigentlichen Stadtgebiets, im Westen, in Freiham. Dort entsteht ein komplett neues Viertel. So neu, dass es bei meinen Besuchen 2018/19 zwar schon provisorische Masten aus Holz gab, aber der Straßenname noch nicht angebracht war – wurde der Beschluss der Benennung doch erst kurz vorher gefasst, 2017. Insofern laufen die Erstellung des Denkmals und der Straße parallel. Diesen Moment beschließe ich in das Denkmal zu übernehmen, und auch dort einen Holzmast zu verwenden, was das Provisorische einfängt und die Vielfalt an Materialien und Konstruktionen erhöht. Auch das Schild fügt mit „Weg“ den Ortsbezeichnung eine neue Variante hinzu. „Weg“ deutet das Schmalere, weniger Befestigte, eher zu Fuß Begangenene als Befahrene an. Assoziativ passt das zum leidenschaftlichen Wanderer. Golo ist hier per Straßennamen mit Persönlichkeiten des Nachkriegszeit in Verbindung gebracht, vor allem der deutschen, in seiner Rolle als Historiker, Publizist und Kommentator des Zeitgeschehens: Mit Ellis Kaut, Hans Clarin, Erich Kästner oder Helmut Schmidt, dessen Name schon auf einem der Schilder zu lesen ist. Die Lage im Westen (der Republik) passt dazu. Das Neubauviertel wird aber eher fertig sein als das Denkmal – soviel zeichnet sich 2024 ab – das dadurch seinerseits eine Situation festhält.
Zurück zu den Anfängen: Im Juni 2018, vor sechs Jahren also, radelte ich zur Thomas-Mann-Straße in Berlin. In meinem handschriftlichen Tagebuch steht als Résume: „Idee für Denkmal verfestigt sich: Straßenschilder.“ Beim Besuch ging es zunächst aber nur um ein erstes Sammeln von Ideen, um eine Anregung durch den Ort. Ich hatte gesehen, dass es dort, neben der Straße, ein nach Thomas Mann benanntes Schwimmbad gibt; und vielfältige Assoziationen stellten sich ein: Schwimmen‑Wellen‑Wasser‑Tod in Venedig‑Tadzio …
Die Straße liegt im ehemaligen Ost-Berlin, im Prenzlauerberg, zweigt ab von der Greifswalder, Richtung Weißensee. Sie wurde 1976 nach Thomas Mann benannt, also zu DDR-Zeiten. Diese Verortung lässt sich auch erinnerungspolitisch an den weiteren Straßenbenennungen, an den Nachbarn von Thomas Mann ablesen: Am selben Pfosten ist der Name des Komponisten Hanns Eisler angebracht. Er floh wie Mann vor dem Nationalsozialismus, emigrierte in die USA. Beide kannten sich, trafen sich im Exil, hatten teils ähnliche Interessen, z.B. am Faust-Stoff. Insofern ergibt eine räumliche Nähe Sinn. Die politische Zuordnung Thomas Manns wird aber noch deutlicher, wenn man sich das weitere Umfeld ansieht:
Jenseits der Greifswalder setzt sich die Straße in der Erich-Weinert-Straße fort, benannt nach dem Schriftsteller, der während des NS-Regimes u.a. in die Sowjetunion emigrierte und nach seiner Rückkehr in der DDR Funktionärsrollen übernahm.
Thomas Mann, dessen politische Verortung nicht ganz einfach war, zwischen Konservatismus und Sozialismus, ist also in einen ganz bestimmten Zusammenhang von linken, antifaschistischen „Kulturschaffenden“ und Zeitgenossen gestellt. In jeder Stadt, das wird sich noch bei den weiteren Recherchen und Reisen zeigen, sieht dieser Kontext anders aus, mal sind es internationale Schriftstellerkollegen, wie Gustave Flaubert und George Sandes in Rom, mal ist es der Kreis der Familie wie in München, wo es auch biographische Anknüpfungspunkte gibt. Diese Zusammenhänge und Nachbarschaften sind Teil der Gedächtniskultur. In Straßenschildern und den Namen der Persönlichkeiten auf ihnen drückt sich Wertschätzung aus – aber auch politische Setzung und zeitgebundene Mentalität.
Ein Straßenname steht außer solchen bewußten Arrangements und Konzepten der Anordnung im alltäglichen urbanen Umfeld, wird durch es beeinflusst, überlagert. Es ergeben sich skurril anmutende Beziehungen; so steht in Berlin der Straßenname im Schatten eines riesigen roten dreidimensionalen Hinweispfeils auf eine Apotheke. Literatur als Heilmittel, könnte man assoziieren. Straßenschilder sind zunächst funktionale Zeichen, zur Orientierung, zur Angabe einer Adresse. In Berlin finden sich Hausnummern unter dem Namensschild, um eine Straße in Abschnitte zu gliedern. Wenn man es aus diesem funktionalen Zusammenhang löst, es freistellt, so dämmerte es mir später, tritt die Gedächtnisfunktion klarer hervor.
Interessant, da orts- und zeittypisch, ist auch die typographische Gestaltung: Schwarz auf Weiß, im Gegensatz zu der in den meisten Städten, etwa in München, verwendeten Variante Weiß auf Blau, eine serifenlose Schrift, was Strenge und eine gewisse Härte vermittelt. Die Schrifttype ist speziell, elegant, mit dem scharf-eckigen „ß“, an dem die Zusammensetzung aus einem langen „s“ und einem „z“ noch deutlich ablesbar ist. Hier handelt es sich nicht um einen DDR-Font, den man andererorts auch noch findet, sondern um eine neusachliche Groteskschrift aus den 1920ern (Erbar Grotesk), die sich ab den 1930er Jahren in Berlin verbreitete – und damit zu Lebzeiten von Thomas Mann -, nach der Wende dann (wieder) für zu ersetzende oder neue Straßenschildern in den Ostteilen verwendet.
Was für den Standort weiter charakteristisch ist: die Straßenleuchte, mit dem Mast aus Gussbeton, mit einem nach unten offenen, ornamental geriffelten Glaszylinder. Hier handelt es sich tatsächlich noch um ein DDR-Fabrikat.
Zeitlichkeit lässt sich neben der Schrift aus Materialität und Zustand der Schilder ablesen. Sie verwittern, Staub lagert sich ab; es bilden sich schwarze Spuren, Streifen, die Sonne bleicht die Schrift aus, sie ist z.B. auf einem Schild fast verschwunden, kaum noch lesbar; ähnlich wie Inschriften auf alten Grabsteinen.
Auf der Rückfahrt komme ich an einem Friedhof in Mitte vorbei, ich glaube, es ist der Alte Garnisonsfriedhof, wo ich vor Jahren jenseits der Friedhofsmauer eine Schichtung, einen Haufen von Straßenschildern gesehen hatte, die wohl für eine Baustelle demontiert waren, die Linienstraße, Gormannstraße etc. Daran erinnerte ich mich jetzt und suche Fotos wieder heraus, die ich damals gemacht habe, 2008 war das.
Und es keimt die Idee, dass eine Installation mit Straßenschildern ein Erinnerungszeichen für die Manns sein könnte. Doch zunächst will ich weitere nach den Manns benannte Straßen aufsuchen, in anderen Städten, als nächstes in München, wo auch das Denkmal stehen soll.
Kürzlich konnte ich endlich zwischen Leuchten und Schildern des Denkmals für die Familie Mann am Salvatorplatz umhergehen. Hier das Ensemble der dicht stehenden Leuchten aus München, Rom und anderen Städten in Augenschein nehmen, dort die aus New York, dort die aus São Paulo. Konnte den Arm dieser Leuchte drehen, diesen Mast etwas verschieben, den Eindruck testen.
Dies fand statt in in der Halle 6, einem Studio in München. Florian Froese-Peek hatte das digitale Modell für eine VR-Simulation eingerichtet. Die Erfahrung ähnelte anderen mit virtueller Realität, die ich sporadisch bei Ausstellungen gemacht hatte, war jedoch länger und intensiver. Meine Rolle war auch anders: Ich war kein bloßer Betrachter, sondern durfte mich als Akteur, Architekt, Entwerfer fühlen – was ich ja faktisch auch bin. Und einen Raum betreten mit Objekten, die nicht der Fiktion entstammen, sondern mir aus anderen Modellen und aus der Anschauung vertraut sind, mit denen ich inzwischen eine emotionale Beziehung aufgebaut habe, die ich mir wünsche; und so war es eine seltsame Mischung aus real und fiktional, aus einem Arbeitsprozess, der sich auf ein vorhandenes Pendant bezieht, der aber auch Momente des „als ob“, des Spielerisch-Leichten hatte.
Nach dem Anlegen der Brille und dem Greifen der Steuersticks, die Extensionen des Körpers, gleichzeitig Schnittstellen zwischen real und virtuell darstellen, wird zunächst eine Raumbegrenzung, eine leuchtende Linie auf den Boden gezeichnet, eine Art Spielfeld, innerhalb dessen man sich bewegt. Geht man darüber hinaus, stößt man auf eine Wand, die warnend aufleuchtet, man kann Arme oder den Kopf hindurchstecken; es tun sich Löcher auf, rot umrandet, hinter denen die nackte Realität zum Vorschein kommt, Wände, Türen.
Die entstehende Modell-Welt ist schön aufgeräumt, reduziert auf die für uns wesentlichen Elemente zur Beurteilung des optischen Eindrucks. Um ein möglichst realistisches Bild zu bekommen, gleichen wir die Betrachterhöhe mit den Maßen der Leuchten ab, vergleichen Sonnenstand und Einfallswinkel des Lichts mit den Bedingungen am Salvatorplatz. Es geht also sehr viel um 1:1 Entsprechungen, gar nicht um die Schaffung einer Fantasiewelt. Reizvoll sind Dinge, die drüberhinausgehen, einfach passieren, die auf kleinen Programmfehlern oder selbständigen Dynamiken beruhen: Das Literaturhaus sieht in der Frontalansicht aus, als ob dort Eiszacken wüchsen, die Querwände sind ausgefasert. Und Gras wächst auf der Leuchte aus Sanary-Sur-Mer, wir wissen nicht warum, vielleicht hat das Programm einige dekorative Elemente aus seiner Gartenabteilung hinzugefügt, hat mit der grünen Farbe des Masten Rasen assoziiert … Das würde auch gut zur Ausstellung „glitch – die Kunst der Störung“ passen, die zur Zeit in der Pinakothek der Moderne zu sehen ist.
Es ist ein spannender Moment, als ich per Steuerknüppel abhebe, den Standpunkt vom Boden in die Höhe verschiebe, in der Luft, in sechs Metern herumgehe, parallel zu den Fenstern des Literaturhauses, die Installation von dort aus betrachte. Es ist tatsächlich sehr nahe an einer realen Erfahrung, dem Balancieren auf einem dünnen Steg, dem Gang auf einer Glasplatte, ja dem Fliegen. Man sieht nach unten, die Masten und Leuchten verkleinern sich, die Linien der Gebäude stürzen, Schwindelgefühle steigen auf. Dies ist ein Unterschied zu Momenten des Fliegens in Träumen, wo man sich sicher fühlt, gelöst, selbstverständlich. VR ist hier viel näher an der Realität, da es ja auch mit deren Parametern und rückgekoppelten Sinneseindrücke arbeitet.
Florian sieht diese Erfahrung der virtuellen Realität eher als Mittel zum Zweck, als Testprogramm, und da er diese Methode häufiger benutzt bei Projekten im öffentlichen Raum, ist sie für ihn auch nichts Außergewöhnliches mehr. Er bemerkt, und ich kann das bestätigen, dass es auch anstrengend sei, sich in diesen virtuellen Räumen zu bewegen, von der Konzentration und der körperlichen Sensomotorik her, dem ständigen Abgleich der Eindrücke und Bewegungen. Und da die Ästhetik stark der von Computerspielen ähnle bzw. auf solche Anwendungen abgestimmt sei, habe man danach kaum mehr Lust auf solche Spiele in seiner „Freizeit“. Spiel und Arbeit werden also miteinander vermischt.
Die Leichtigkeit, mit der sie sich erstellen und verändern lassen, macht Modelle attraktiv. Doch haben sie ihre eigene Realität und ihr Eigenleben, sind keine bloßen Zwischenstufen auf dem Weg zum Endergebnis. Das ist beim Modell aus Pappe und Karton so, ebenfalls beim VR-Modell. Und sie gehören alle zum Denkmal und seinem Entstehungsprozess.
14.5.24: Auf der Baustelle für das Denkmal am Salvatorplatz werden die Fundamente der Straßenleuchten markiert, mit Farbspray und Kreide. Es entsteht eine Choreographie sich teils überschneidender Kreise und Flächen, mit Korrekturen und eingeschriebenen Zahlen. Die Markierung der vorhergehenden Versetzung einer Leuchte ist noch sichtbar. Auch wenn dies alles wieder verschwinden wird: ein Moment der Zeichnung im öffentlichen Raum.
Eine am Platz vorhande Leuchte wurde im April 2024 zur Platzmitte hin versetzt und in das zukünftige Ensemble integriert. Es ist die Leuchte, die später das neu angefertigte Schild „Katia-Mann-Platz“ tragen wird. Die Kombination der Leuchte vom Typ eines historischen Kandelabers, die bereits am Platz steht, mit dem Namen der in München aufgewachsenen Katia Pringsheim ist bewusst gewählt. Mit der Versetzung der Leuchte, noch vor der Installation des Restes des Ensembles, entsteht am Platz eine erst auf den zweiten Blick wahrnehmbare Veränderung. Eine interessante Zwischenstufe des Denkmals, auch zusammen mit dem bereits montierten Schild an der Fassade.
Außerdem wird Strom verlegt. Dank an das Baureferat für die Planung und Organisation und die Firma SPIE für die Ausführung der Arbeiten!
Rue Thomas Mann, Paris, 2018. Photo: Eva-Maria Troelenberg
Als erster Bestandteil des Denkmals für die Familie Mann wurde im April 2024 das Schild „Rue Thomas Mann“ im charakteristischen Pariser Design am Salvatorplatz in München installiert, an der Fassade der Salvatorgarage. Es nimmt Bezug auf die Straße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écrivain allemand“ erinnert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arrondissement, im zeitgleich zur Benennung neugestalteten modernen Stadtviertel „Gare“, in Nachbarschaft der Bibliothèque François-Mitterrand (Französischen Nationalbibliothek, BnF), was die Wahl des Schriftstellers als Namensgeber umso plausibler macht. Das Schild steht für die literarischen, aber auch politischen deutsch-französischen Beziehungen und die Rolle, die Thomas Manns dabei einnahm. Er schätzte u.a. die Brüder Goncourt sehr, bezog entscheidende Anregungen aus ihren Werken für seinen Familienroman „Buddenbrooks“. Und er war der erste deutsche Schriftsteller, der nach dem 1. Weltkrieg im in Paris öffentlich auftrat, um eine Rede zu halten: „Die geistigen Tendenzen des heutigen Deutschlands“. In der Rolle eines inoffiziellen Kulturbotschafters der Weimarer Republik warb Mann für die deutsch-französische Freundschaft und die Völkerverständigung – siehe auch sein Bericht über die Reise und den Aufenthalt, „Pariser Rechenschaft“. Die Benennung ist auch ein Spiegel der späteren politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die sich in den 1990er-Jahren intensivierten.
Der Installation am Salvatorplatz vorausgegangen war ein längerer Prozess der Recherche und Kontaktaufnahme, unter anderem über das Goethe-Institut Paris. Letzlich wurde von der Stadt Paris die Freigabe zur Reproduktion des Schildes erteilt, ausgeführt von der Firma LACROIX Signalisation/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet.
Da in Paris Straßenschilder vorwiegend an Hausfassaden angebracht werden, galt es in München eine entsprechende Stelle zu finden. Die Fassade der Salvatorgarage bot sich an, dafür wurde das Einverständnis des Amts für Denkmalpflege eingeholt, sowie der Pächter bzw. Eigentümer, der Bavaria Parkgaragen GmbH und der Bayerischen Hausbau.
Die Montage selbst nahm in Zusammenarbeit mit Albert Coers Florian Froese-Peek vor.
Es ist schon einige Zeit her, dass ich in Lübeck war, dort, wo die Vorfahren der Familie von Thomas Mann lange ansässig waren, wo er selbst, wo Heinrich und seine vier Geschwister geboren und aufgewachsen sind, und wo eine Straße nach ihm benannt ist. Im Sommer 2019 war das. Jetzt, 2024, wo die Realisierung des Denkmals in greifbare Nähe rückt, inklusive des Straßenschildes aus Lübeck, versuche ich, anhand meiner Notizen und Erinnerungen den Aufenthalt zu rekonstruieren.
Der Salvatorplatz München, wo das Denkmal für die Familie Mann aufgestellt werden soll, wird schon mal „vorgewärmt“ und aktiviert: Schüler des Thomas-Mann-Gymnasiums und der Mittelschule an der Peslmüllerstraße, Pasing, erkundeten am 6.3.24 physisch den Platz, sie bildeten dort u.a. eine lebendige Kette um die Fläche, auf der Straßenschilder und Leuchten in Erinnerung an die Mitglieder der Familie Mann stehen werden. Und das bei Regen! Die Aktion ist Teil eines Programms zur Kunstvermittlung von Kunst im öffentlichen Raum an Schulen, geleitet von Barbara Dabanoğlu.
Nach langer Corona-Pause wieder Fahrten zu den Orten der Manns, in die Schweiz, zur Entgegennahme von Leuchten und Schildern. Zwar ließe sich das per Post senden, doch finde ich es interessant, zu den Orten und Leuten (freudscher Vertipper: Leuchten) zu fahren, selbst wenn das mehr Arbeit macht.
In São Paulo wohne ich im Hotel Lux, passend zum Leuchtenprojekt. Direkt davor befindet sich ein Platz mit der Fonte Monumental der Bildhauerin Nicolina Vaz, einem Marmorbrunnen aus den 1920er Jahren, an dessen Rand riesige Langusten als Skulpturen hochklettern, zum Teil mit Gesichtern von Menschen. Nachdem der Brunnen lange Zeit verwahrloste, Treffpunkt von Dealern war, Schlafplatz von Obdachlosen, hat die Stadt ihn in den letzten Jahren restauriert und durch Schutzwände aus Glas eingezäunt – was allerdings die Probleme auch nicht gelöst hat. Nachts ist er zur Beleuchtung, aber auch zur Überwachung und Abschreckung in grelles Scheinwerferlicht getaucht. Bizarr, die ganze Anlage, und auch etwas traurig: dass man öffentliche Kunst so unter einen Glassturz stellen muss, und die Bronzetiere durch solche aus Glasfaser ersetzen, weil sie sonst geklaut werden – und dass der wirtschaftliche Druck so groß ist, dies zu tun. Das hatte sich die Künstlerin wohl nicht so vorgestellt. Aber das alles gehört zum Thema „Kunst im öffentlichen Raum“.
Mein Aufenthalt in São Paulo und die Reise insgesamt geht dem Ende entgegen. Nun gilt es, zum Abschluss noch etwas Handgreiflich-Materielles nach Deutschland mitzubringen, ähnlich wie aus Nidden: eine Leuchte und/oder ein Schild. Das Beschaffen einer Originalleuchte aus der Rua Thomas Mann dürfte, anders als im kleinen, übersichtlichen Nida in Litauen, schwierig werden. Ich stelle mir die technischen Abteilungen dieser Metropole weitverzweigt vor (man hatte mich vor der Bürokratie in Brasilien gewarnt) und noch keinen Kontakt herstellen konnte. Aber vielleicht gelingt es trotzdem, eine Leuchte zu organisieren.
Ich schreibe an die Abteilung für Straßenbeleuchtung, „Ilume“ bei der Stadtverwaltung São Paulo – und gehe dort vorbei, in der Avenida Libero de Badaro. Bekomme am Empfang ein Besucherschild, ähnlich wie in Los Angeles, und darf wieder mit dem Aufzug hinauffahren. Vor dem Büro ein Fußabstreifer mit den einladenden Schriftzug „ILUME“. Mir gefällt der Kontrast zwischen dem Wort für ‚Licht’ und dem schwarz-braunen Objekt mit den Buchstaben auf dem Boden, an dem man sich die Füße abputzt.
Man hat meine vor wenigen Stunden geschriebene Mail bereits gelesen und erwartet mich, wie ich freudig überrascht feststelle. Die Namen der Mitarbeiter klingen für mich italienisch-vertraut. Wir diskutieren in einem Büro im Übersetzungswechsel von Englisch und Portugiesisch. Es scheint möglich, eine Leuchte, wie sie in der Rua Thomas Mann steht, zu bekommen, schnell und ganz unbürokratisch.
Anschließend im Laufschritt in die Prefeitura, ins Rathaus, zum Treffen mit Bruce Scheidl Campos, Ressort „Internationale Beziehungen“, mit dem ich durch Vermittlung aus Deutschland in Kontakt kam. Ein mächtiger Klotz mit Pfeilern aus Kalkstein, das Edifício Matarazzo oder Palácio do Anhangabaú, entworfen von Marcello Piacentini, einem Architekten des italienischen Neoklassizismus-Faschismus. Um dem Gebäude etwas von seiner Austerität zu nehmen, hat man ihm einen Dachgarten aufgesetzt und illuminiert es nachts mit einem roten Leuchtstreifen. Der Eingang ist von der Polizei mit Sicherheitsband abgesperrt. Innen eine riesige Halle, mit einer Karte Brasiliens und seiner Handelsgüter an der Wand. Eine geballte Ladung staatstragender Imponiergesten.
Das Treffen selbst dagegen ist nett. Bruce spricht auch Deutsch; seine Großeltern kamen aus Österreich; eine südamerikanische Einwanderungsgeschichte, siehe ja auch die Manns Generationen vorher. Ich kann vom den Verhandlungen mit ILUME berichten. Bleibt noch das Straßenschild „Rua Thomas Mann“. Bruce, obwohl eigentlich von einer ganz anderen Sektion und sonst eher für die Anbahnung von Handelsbeziehungen zuständig, verspricht, sich darum zu kümmern.
Noch habe ich das Schild allerdings nicht in der Hand und denke daran, es gleich an Ort und Stelle abzuschrauben. Andererseits – wäre das nicht ebenfalls eine Entwendung öffentlichen Eigentums, ähnlich dem Langustenklau an der Fonte Monumental, nur mit geringerem Material- und Kunstwert? Und werden sich die Anwohner nicht fragen, wo ihre Rua Thomas Mann geblieben ist? Nein, der Ehrgeiz sollte sein, es auf offiziellem Wege zu beschaffen, auch wenn es noch einige Monate dauert.
Dagegen kann ich bereits ein paar Tage später, nach der Rückkehr aus Curitiba, bei ILUME eine Schachtel mit Lampe, Ersatzbirne nebst technischer Dokumentation in Empfang nehmen. Und eine Bescheinigung, dass es sich um einen Gegenstand „sem valor comercial“ handle, falls man mich beim Zoll danach fragt. Für mich ist diese Leuchte aber höchst wertvoll. Erstaunlich, was so ein industrielles Massenprodukt, ein Alltagsgegenstand, noch dazu schon länger in Gebrauch, auf einmal für einen ideellen Wert bekommt. Schleppe die Lampe auf der Schulter durch die Stadt zum Hotel Lux. Es ist nicht weit und tut gut, endlich ein Ergebnis in Händen zu halten.
Dann steht und liegt die Leuchte im Hotelzimmer. Sie ist wie ein Mitbewohner und nimmt Züge eines Robotorwesens an, mit dem Körper aus Metall, der kopfartigen ovalen Form, der Glasscheibe vorne, die ein Gesicht suggeriert, und den filigran-beweglichen Kabelfortsätzen.
Die Leuchte will auch noch weiter transportiert sein. Dazu kaufe ich in einem Haushaltswarenladen in der Nähe einen leichten Klappkarren aus Alu, in einem anderen einen Gummiexpander (zwei wären besser gewesen). Auf der Suche nach Verpackungsmaterial zum Auspolstern der Schachtel finde ich abends auf der Straße Styropor und Kartonagen, Eierkartons. Dabei gerate ich aneinander mit professionellen Sammlern, Altpapierhändlern von der Straße, die sich in ihrem Geschäftsmodell verletzt fühlen. Sie mache sich die Hände schmutzig, sichere so ihren Lebensunterhalt, setzt mir eine Frau eindrücklich auseinander. Ich kaufe ihr das Material schließlich ab, akzeptiere, dass auch das Weggeworfene und seine Aufbereitung einen Wert hat.
Am nächsten Morgen geht es zum Flughafen. Das Wägelchen mit der Schachtel rollt sich gut. Die Befestigung mit Gummispanner, Plastikstreifen und Leukoplast-Tape wirkt allerdings ziemlich improvisiert. Aber der Verbund wird nicht beanstandet, ist lediglich als Sperrgepäck zu deklarieren. Die Leuchte gleitet auf ein Fließband, verschwindet dann im Dunkel hinter einem Vorhang. Sie wird ihren Weg nach Deutschland finden, so hoffe ich. Das tut sie auch, genauso wie ich selbst, nach einer Zwischenlandung in Bogotá – die eigentlich nur 12 Stunden dauern sollte, sich aber zu einem Aufenthalt von mehreren Tagen auswächst. Aber das ist eine andere Geschichte …
Albert Coers: Entwurf, Perspektive, Zeichnung: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Das Denkmal für die Familie Thomas Mann besteht aus Schildern von Straßen, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, und aus 15 Straßenleuchten. Diese stammen aus München, aber auch aus anderen Orten der Welt, die mit der Familie Mann in Bezug stehen, mit Thomas Mann, seiner Frau Katia und ihren Kindern Klaus, Erika, Golo, Elisabeth, Michael und Monika.
In Schildern und Leuchten spiegelt sich die Internationalität der Familie Mann wider, von München ausgehend, mit Lebens- und Wirkungsorten in Europa, den USA und Südamerika, gleichzeitig ihre weltweite literarische Ausstrahlung und Bedeutung. Dies ist auch anhand der unterschiedlichen Straßenbezeichnungen (Via, Rue, Rua…) ablesbar. Die Aufstellung orientiert sich an der Lage der Orte zueinander und bildet eine imaginäre Karte. Angesprochen sind Aspekte von Ortsverbundenheit, gleichzeitig Emigration, Ortswechsel sowie grenzüberschreitendem Weltbürgertum, wofür die Familie als Beispiel gelten kann.
Die bauliche Fertigstellung des Denkmals ist für Frühjahr/Sommer 2025 geplant. Archäologische Funde am Salvatorplatz machen eine Neuplanung der Fundamente der Leuchten notwendig.
Albert Coers: AusführungsEntwurf 2021, Perspektive, Zeichnung: Florian Froese-Peek
Ausgangspunkt sind Situationen in München, dem langjährigen Lebensmittelpunkt der Familie. Hier gibt es inzwischen mehrere Straßen und Plätze, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, nach Erika, Klaus, Elisabeth, Golo. Jedoch liegen diese an wenig frequentierten Orten, in Neubaugebieten, an der Peripherie, sind so im kollektiven Gedächtnis wenig präsent. Diese Schilder, samt der Lampen, an denen sie befestigt sind, werden ins Zentrum der Stadt gebracht, als Gruppe versammelt und dadurch stärker sichtbar. Es findet eine „Familienzusammenführung“ statt. Gleichzeitig verweisen Schilder und Lampen zurück auf ihre ursprünglichen Standorte. Damit betont das Denkmal den Bezug zu urbanen Strukturen.
Namen
Für Katia Mann, nach der bisher keine Straße und kein Platz benannt ist, wird ein neues Schild geschaffen. Angebracht ist es an einer auf dem Platz vorhandendenen Leuchte, die um wenige Meter versetzt und so in die Gruppe der weiteren Leuchten des Denkmals einbezogen wird. Dies macht „Frau Thomas Mann“ stärker im Bezug zur Stadt sichtbar, war sie doch gebürtige Münchnerin und entstammte der jüdischen Familie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz verloren und emigrieren mussten. Die Benennung im Denkmal nimmt vorweg, was eigentlich ein langwieriger Prozess wäre. Diese Mischung von Realität und Fiktion ist auch Verweis auf literarische Verfahren, wie sie Thomas oder auch Klaus Mann praktizierten.
Leuchten
Neben Leuchten und Schildern aus München, die erinnern an Thomas, Erika, Klaus, Golo Mann und Elisabeth Mann Borgese, zeigen weitere die Spannweite zwischen Europa, Nord- und Südamerika, stellen Bezüge her. Ein Straßenschild „Rue Thomas Mann“ stammt aus Paris und wird gemäß der dort üblichen Anbringung an der Wand der Salvatorgarage zu sehen sein. Lübeck ist als Geburtsort von Thomas Mann und Schauplatz von „Buddenbrooks“ vertreten, mit einer Lampe vor der dortigen Thomas-Mann-Schule und einem Schild nach Thomas-Mann-Straße. Aus Frankfurt stammen Lampe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Standort eines Denkmals für verfolgte Homosexuelle von Rosemarie Trockel („Frankfurter Engel“); damit ist ein Bestandteil der Identität mehrerer Familienmitglieder inbegriffen.
Rom ist mit dem Schild „Via Thomas Mann“ und Leuchte präsent als Aufenthaltsort von Thomas (und Heinrich) Mann in jungen Jahren. Für den südamerikanischen Teil (Thomas Manns Mutter Julia stammte aus Brasilien) stehen Straßenlampe/Schild aus São Paulo.
Eine Leuchte kommt dagegen aus Nida/Nidden in Litauen, bevorzugte Sommerfrische der Familie Mann, wo sie vor dem Ferienhaus der Manns steht, heute Thomas-Mann Haus, ein Kulturzentrum und Museum. Sanary-Sur-Mer an der Côte d’Azur war erster Ort der Emigration in den 1930er Jahren. Von dort stammt eine Lampe, die für die Familie insgesamt steht, ebenso eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heute: Renwick), wo die Manns wiederholt wohnten. Ein Schild „Mann Av.“ aus New York steht für die Familie und den Namen „Mann“ als Ganzes, auch für Michael und Monika, nach denen keine eigene Straße benannt ist.
Auf Los Angeles verweist eine Leuchte. Dort ließ Thomas Mann 1942 eine Villa bauen, die er bis zur Rückkehr nach Europa 1952 bewohnte, und die heute als Thomas Mann House als Residenzhaus ein Aufenthaltsort für Stipendiaten und Ort kulturellen Austauschs ist. Eine Leuchte aus Kilchberg in der Schweiz stellt eine Beziehung her zum Wohnort von Thomas und Katia, auch von Erika (nach der in Zürich eine Straße benannt ist) und zuletzt Golo, der aber in Leverkusen verstarb, und an den dort eine Straße erinnert.
Recherchereisen an die jeweiligen Orte sind Bestandteil des Projekts, ebenso eine Buchpublikation, die Hintergrund und Entstehung des Denkmals dokumentiert, vermittelt und ergänzt, auch um die aktuellen Situationen der Straßenschilder und Leuchten vor Ort.