„Back to the Future“ – Leuchte Pacific Palisades/Los Angeles fertiggestellt

Die­ser Tage wur­de die Leuch­te fer­tig­ge­stellt, die inner­halb des Denk­mals auf die­je­ni­ge in Paci­fic Palisades/Los Ange­les ver­weist, die dort vor dem Haus steht, das Tho­mas Mann mit sei­ner Fami­lie wäh­rend sei­nes Exils in Kali­for­ni­en bewohn­te, dem heu­ti­gen Tho­mas Mann House. Die Kunst­gie­ße­rei Anton Gugg hat dafür einen Alu­mi­ni­um­guss ange­fer­tigt.
Damit ging aber­mals ein län­ge­rer Pro­zess zu Ende: Nach Fotos, die ich 2019 gemacht hat­te, und nach Plä­nen der Public Works Los Ange­les wur­de ein digi­ta­les Modell der Leuch­te gezeich­net, vom Künst­ler Flo­ri­an Froe­se-Peek, mit einem 3‑D-Dru­cker in ein drei­di­men­sio­na­les 1:1 Modell aus Kunst­stoff über­tra­gen, dann im Aus­schmelz­ver­fah­ren gegos­sen.
Ich hat­te Paci­fic Pali­sa­des im Herbst 2019 besucht – sie­he der Blog­ein­trag.
Lan­ge hat­te ich recher­chiert und mich bemüht, eine Leuch­te von dort zu bekom­men – was sich als schwie­rig her­aus­stell­te. Auch der Trans­port nach Deutsch­land wäre ein lang­wie­ri­ges Unter­neh­men gewe­sen, wie ich am Bei­spiel der in den USA pro­du­zier­ten Leuch­te nach dem Modell in New York fest­stel­len muss­te.
Let­zen Endes habe ich mit der Repro­duk­ti­on den Rat von Bob Gale befolgt, Dreh­buch­au­tor und Film­pro­du­zent (unter ande­rem „Zurück in die Zukunft“), der in der Nach­bar­schaft wohnt. Er schrieb damals: „My sug­ges­ti­on is that you have the fix­tu­re exten­si­ve­ly pho­to­gra­phed and mea­su­red, and then dupli­ca­te it in Ger­ma­ny. This would be the most cost effect and simp­le solu­ti­on.“ Die­ser Vor­schlag kommt sicher nicht von unge­fähr von einem, der in der Film­bran­che zu Hau­se ist, in dem oft mit Requi­si­ten und Nach­bil­dun­gen gear­bei­tet wird.
Und viel­leicht passt das Kon­zept der Replik einer Leuch­te aus den 1920/30er- Jah­ren mit­tels moder­ner digi­ta­ler, aber auch tra­di­tio­nel­ler Ver­fah­ren, für ein Denk­mal, das in der Zukunft – vor­aus­sicht­lich im Spät­herbst 2023 – auf­ge­stellt wer­den soll, ja auch zum Mot­to „Back to the Future“.

Curitiba – Straßen, Namen, Leuchtturm

Nachts im Bus nach Curi­ti­ba, einer Groß­stadt etwa sechs Stun­den von São Pau­lo Rich­tung Wes­ten, wo es eine wei­te­re Rua Tho­mas Mann gibt, die ich noch besu­chen will. Klas­se „Lei­ta“ („Bett“) – die Sit­ze las­sen sich fast bis zur Waag­rech­ten klap­pen, es ruckelt trotz­dem ganz schön. Freue mich dar­auf, dem Frei­tag-Fei­er­tags­be­triebs des Aller­hei­li­gen­ta­ges in São Pau­lo zu ent­flie­hen, in aller Frü­he (4.30) in einer Stadt anzu­kom­men, deren Name mir bis dahin unbe­kannt war.

Die Luft ist mild, küh­ler als in São Pau­lo, es zwit­schern Vögel, gro­ße Bäu­me am Bus­bahn­hof, ihr mat­tes Grün in der Däm­me­rung ange­nehm. Es wird Tag. Pas­tell­far­be­ne Hoch­häu­ser tau­chen auf, Schnell­stra­ßen. Curi­ti­ba scheint wie eine sau­be­re­re, grü­ne­re und klei­ne­re Ver­si­on von São Pau­lo (bei 1,7 gegen­über 12 Mil­lio­nen Ein­woh­nern), in der sich die Stadtu­to­pien der 1950er und 60er Jah­re ent­fal­ten konn­ten und nicht über­wu­chert wur­den. Hell­vio­let­te Blü­ten an den Bäu­men und auf dem Pflaster. 

War­ten auf einen Bus, neben einer Hin­weis­ta­fel zur Stadt­ge­schich­te, mit Kle­be­buch­sta­ben, die sich gelöst haben. Abge­blät­tert erge­ben sich neue Kom­bi­na­tio­nen und Wörter. 

Das Oskar-Nie­mey­er-Muse­um – mir bis­lang unbe­kannt und rie­sig, wie die Bau­wer­ke und Monu­men­te des Bra­si­lia-Archi­tek­ten all­ge­mein: ein auf einem Pfei­ler-Sockel schwe­ben­der Kör­per, durch zwei flach gespann­te und spitz auf­ein­an­der­tref­fen­de Bögen gebil­det, an den Sei­ten ver­glast, durch­aus beein­dru­ckend. Kei­ne Furcht vor gro­ßen Zei­chen und For­men, eine Archi­tek­tur-Skulp­tur. Viel­leicht zu viel „Zei­chen“. Auge-Sehen-Kunst-Muse­um – die Asso­zia­ti­ons­ket­te läuft mir zu glatt ab.

Mit einem Leih­rad, das gera­de jemand vor dem Muse­um abstellt, Rich­tung Rua Tho­mas Mann. Trick­reich: man darf sich nur inner­halb eines bestimm­ten Gebie­tes bewe­gen und nur dort das Rad abstel­len. Rad­le los, einem Rad­weg nach Nor­den ent­lang. Unter­wegs kom­me ich an einer Ansamm­lung nied­ri­ger weiß­ge­stri­che­ner Holz­häu­ser vor­bei, die an ein Schtetl erin­nert, ein Frei­licht­mu­se­um und zugleich Gedenk­ort an die pol­ni­schen Immi­gran­ten im 18. und 19. Jahr­hun­dert nach Bra­si­li­en (Bos­que João Pau­lo II.). Die­se Prä­senz euro­päi­scher Migra­ti­on, gera­de aus Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa, lässt wie­der­um an die Fami­lie Mann den­ken, in der Tho­mas‘ Groß­va­ter müt­ter­li­cher­seits, Johan­nes Lud­wig Bruhns, von Lübeck nach Bra­si­li­en über­sie­del­te – ich hat­te über die­se Geschich­ten der Ein­wan­de­rung ja auch eini­ges in São Pau­lo erfah­ren, unter ande­rem im Gespräch mit Mat­thi­as Makow­ski und Jörg Hay­er vom Goethe-Institut. 

Hier in Curi­ti­ba führt der Weg zu einem Park und See. Wei­ter reicht die Zone nicht – abstel­len und zu Fuß wei­ter. Am Ran­de des Parks will ich abkür­zen und sto­ße auf einen Draht­zaun – ein Loch lässt mich durch­schlüp­fen. Dahin­ter Urwald – oder was ich mir dar­un­ter vor­stel­le. Der Boden dicht bewach­sen mit Far­nen und Gebüsch. Wie auf einem Bild von Tho­mas Struth. Angren­zend Grund­stü­cke, Mau­ern, Zäu­ne. Um her­aus­zu­kom­men, muss ich über einen klettern. 

Durch eine Gegend mit klei­nen und grö­ße­ren Vil­len. Danach wird es sehr länd­lich, nied­ri­ge ein­stö­cki­ge Häu­ser, neben der Stra­ße ein Bach mit Hüt­ten und Gär­ten. Hier haben sich als ers­te pol­ni­sche Ein­wan­de­rer nie­der­ge­las­sen, wie ich spä­ter erfah­re, und in der Tat könn­te man sich an ost­eu­ro­päi­sche Land­stri­che erin­nert fühlen. 

End­lich die Rua Tho­mas Mann, im Vier­tel Bar­reirin­ha, wie auf den Schil­dern qua­si als Unter­ti­tel steht. Unspek­ta­ku­lär, eine ganz nor­ma­le Stra­ße – und gera­de dar­in inter­es­sant. Die Stra­ße scheint „ein ganz klein wenig net­ter als die in São Pau­lo“. So schrieb mir nach einem vir­tu­el­len Rund­gang schon Fred­ric Kroll, Exper­te für die Fami­lie Mann, beson­ders für Klaus, und deren Rezep­ti­on. Und in der Tat, jetzt vor Ort wird das auch im Detail sicht­bar: Der Mast ist weni­ger brö­cke­lig, das Schild unzer­knautscht, in bes­se­rem Zustand als sein dor­ti­ges Pen­dant. Intel­li­gent die Anbrin­gung, die ohne Ver­schrau­bung auskommt. 

Gera­de als ich Fotos mache, nähert sich ein Auto mit offe­ner Heck­klap­pe, den Kof­fer­raum vol­ler Kar­tons, und hält an der Ein­mün­dung zur Haupt­stra­ße, unter dem Stra­ßen­schild. Per Laut­spre­cher wer­den Haus­halts­wa­ren wie Töp­fe, Pfan­nen ange­bo­ten. Ein­bruch der Gegen­wart und schö­ner Kon­trast zu „Tho­mas Mann“.

Der Mast am ande­ren Ende der Stra­ße ist sogar mit zwei Leuch­ten bestückt, die in unter­schied­li­che Rich­tun­gen wei­sen – und gan­ze Bün­del von Lei­tun­gen lau­fen auf ihn zu, füh­ren von ihm weg. Tho­mas Mann als Kno­ten­punkt im Bezie­hungs­ge­flecht, könn­te man frei asso­zi­ie­ren. Auch sein Name ist ein­ge­bet­tet in ein Asso­zia­ti­ons­feld: Die Nach­bar­stra­ße ist benannt nach einem Namens­vet­ter und euro­päi­schen Schrift­stel­ler­kol­le­gen, der frei­lich einer ganz ande­ren Epo­che ange­hört, Tho­mas Morus, Autor von „Uto­pia“. Viel­leicht lief die Aus­wahl der Stra­ßen­na­men tat­säch­lich über den glei­chen Vor­na­men und den Anklang des Nach­na­mens. Auch fun­gie­ren wei­ter über­wie­gend phi­lo­so­phi­sche Schrift­stel­ler wie Mon­tes­quieu und Vol­taire als Namens­ge­ber, und es könn­te sein, dass Tho­mas Mann hier in sei­ner Eigen­schaft eben weni­ger als Roman­cier denn als poli­tisch-phi­lo­so­phi­scher Schrift­stel­ler und Essay­ist gewählt wurde. 

Inter­es­sant in punc­to „Stadt­mo­bi­li­ar“ fin­de ich auch die Müll­stän­der vor den Häu­sern. Auf Metall­pfos­ten, um Abstand zum Boden zu schaf­fen und Rat­ten und Unge­zie­fer fern­zu­hal­ten, thro­nen skulp­tu­ra­le korb­ar­ti­ge Behäl­ter, in die man sei­ne Müll­tü­ten stel­len kann. Boden und Sei­ten­flä­chen sind orna­men­tal durch­bro­chen, was der Belüf­tung zugu­te kommt. Die Anwoh­ner haben die Stän­der vari­iert und ange­passt, sie sehen immer etwas anders aus. 

In der Nähe zeich­net sich hin­ter einer Schu­le und Bäu­men ein selt­sa­mes Bau­werk in leuch­ten­den Far­ben ab, ein Leucht­turm, wie man ihn hier im Bin­nen­land nicht erwar­ten wür­de. Es ist der „Farol do Saber Anto­nio Macha­do“, eine kom­mu­na­le Biblio­thek, ein­ge­rich­tet 1996. Von die­sen Turm-Biblio­the­ken hat die Gemein­de Curi­ti­ba über 40 im Stadt­ge­biet ver­teilt. Die Biblio­thek ist gleich­zei­tig auch Denk­mal für den spa­ni­schen Schrift­stel­ler Anto­nio Macha­do, 1875 gebo­ren, im sel­ben Jahr wie Tho­mas Mann! Inspi­riert ist der Bau inspi­riert vom legen­dä­ren Leucht­turm und der Biblio­thek des anti­ken Alex­an­dria, zwei ganz unter­schied­li­chen Ein­rich­tun­gen, die jetzt hier sym­bo­lisch ver­knüpft wer­den – was aber beson­ders inter­es­siert, da Stadt und Name für mich Aus­gangs­punkt meh­re­rer Recher­che­un­ter­neh­men und Instal­la­tio­nen waren, sie­he das Pro­jekt ENCYCLOPEDIALEXANDRINA. Die­se Bezug­nah­me lässt die hohe Bedeu­tung erah­nen, die man an einer Stadt­teil­bi­blio­thek bei­misst, ein Leucht­turm­pro­jekt gewis­ser­ma­ßen für das Stadt­vier­tel. Ein schö­ner Zufall, dass die Leuch­ten-Meta­pher sich in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft befin­det zu den Stra­ßen­na­men-Leuch­ten mit dem Namen Tho­mas Mann. 

Zurück zum Park, zum Rad, das da noch steht, dann wie­der in die Innen­stadt – mit einem Zwi­schen­stopp an einem monu­men­tal-pom­pö­sen Gra­nit-Denk­mal für die Unab­hän­gig­keit der Pro­vinz Paraná aus den 1950er Jah­ren (Platz des 19. Dezem­ber) – zum Bus­bahn­hof. Rück­fahrt nach São Pau­lo. Seh­ne mich nach Ruhe. 

Im Bus Noti­zen über Curi­ti­ba und das Gese­he­ne – doch dann stürzt word ab, die Datei ist ver­schwun­den. Nur noch vage Erin­ne­run­gen an einen Text und einen Auf­ent­halt, den ich viel spä­ter ver­su­che zu rekonstruieren. 

Kilchberg – Ruhe, Leuchten und Narzissen

Viel­leicht ist es nicht schlecht, vom Ende, von der letz­ten Sta­ti­on der Manns her anzu­fan­gen. Eine Fahrt nach Zürich – und ins nahe­ge­le­ge­ne Kilch­berg, wo Tho­mas Mann, Katia, Eri­ka und Golo nach der Rück­kehr aus dem Exil in den USA ab 1952 wohn­ten und auf dem Fried­hof zusam­men mit Micha­el, Moni­ka begra­ben sind. Von beson­de­rem Inter­es­se: Die Leuch­te vor dem Wohn­haus, auf einer älte­ren Schwarz­weiß-Auf­nah­me in der Rowohlt-Mono­gra­phie über die Fami­lie Mann pro­mi­nent zu sehen, jedoch über Goog­le Street View nicht, eben­so­we­nig das Stra­ßen­schild „Eri­ka-Mann-Stras­se“ in Zürich, die es seit kur­zem gibt. Und Bil­der aus ande­ren Quel­len fin­den sich im Netz auch nicht – so bemer­kens­wert und wich­tig schei­nen die­se Stra­ßen­la­ter­nen und Stra­ßen­schil­der dann doch nicht zu sein, als dass sie foto­gra­fiert wür­den – viel­leicht sind die Schil­der auch viel zu neu. Die­se Lücken in der Bild-Ver­füg­bar­keit allein recht­fer­ti­gen bereits die Tour in die Schweiz!

Im Vor­feld, ver­mit­telt durch Andre­as Mar­ti, der in Zürich den Kunst­raum dienst­ge­bäu­de betreibt, Kon­takt mit Chris­toph Dos­wald, ver­ant­wort­lich für Kunst im öffent­li­chen Raum. Ihm schil­de­re ich mein Anlie­gen, und er schreibt auch gleich zurück: das Pro­jekt klin­ge span­nend; eine schö­ne Idee, die bio­gra­fi­schen Sta­tio­nen mit dem Mobi­li­ar des öffent­li­chen Raums zusam­men­zu­brin­gen. In der Pra­xis stel­le es sich mög­li­cher­wei­se etwas kom­pli­zier­ter dar, er kön­nen allen­falls in Sachen Zürich-Oer­li­kon hel­fen. „Was hin­ge­gen Kilch­berg betrifft, so liegt das polit-geo­gra­fisch nicht im unse­rem Ter­ri­to­ri­um.“ Hier begeg­net bereits ein Phä­no­men, auf das ich im Lauf der Recher­che immer wie­der sto­ßen wer­de: die Zahl der Zustän­dig­kei­ten und anzu­fra­gen­den Stel­len ver­grö­ßert sich von mal zu mal.

Hubert Kret­schmer, Ver­le­ger, Künst­ler und Samm­ler von Künst­ler­pu­bli­ka­tio­nen nimmt mich im Golf nach Zürich mit. Dabei ist auch Rai­ner Grü­ner, sei­ner­seits Samm­ler von Künst­ler­bü­chern. Ziel ist eine Aus­stel­lung in der Gra­phi­schen Samm­lung an der ETH (wo neben­bei auch der Nach­lass Tho­mas Manns betreut wird). Auf die­sem Kurz­trip kom­men ganz unter­schied­li­che Din­ge zusammen. 

Von der Aus­stel­lung mit der S‑Bahn nach Kilch­berg, am Züri­see gele­gen, etwa 20 Minu­ten fährt man, über die Stadt­gren­zen hin­aus. Der Bahn­hof strahlt Ruhe, Soli­di­tät und Kur­ortstim­mung aus, mit einer Kar­te des Sees, einer roten Holz­bank – und einer Arzt­pra­xis gleich daneben.

Da man in den Ort nach oben steigt, gibt es vie­le Trep­pen und Durch­gangs­si­tua­tio­nen. Auch damit hängt wohl das Bedürf­nis nach Abgren­zung und Pri­vat­heit zusam­men, aus­ge­drückt durch Zäu­ne und Schil­der. Aber auch sonst atmen die Anwe­sen eine gewis­se Abge­schlos­sen­heit.
„Ruhe, Ruhe und noch­mals Ruhe“ – so beschreibt Tho­mas Mann in einem Brief sei­ne Wün­sche. Man kann ver­ste­hen, war­um er hier­her­zog. Dazu kom­men See­blick und Kurortatmosphäre. 

Das Sana­to­ri­um in Kilch­berg, an dem man vor­bei­geht, lässt in Zusam­men­hang mit Tho­mas Mann unwill­kür­lich an den „Zau­ber­berg“ den­ken, auch wenn es sich nicht um eine Lun­gen­heil­an­stalt, son­dern eine Pri­vat­kli­nik für Psy­cho­the­ra­pie han­delt. Der Ort liegt eben­falls in der Höhe, sie­he auch den Namens­be­stand­teil „-berg“.

Das Stra­ßen­schild „Alte Land­stras­se“, wo die Manns wohn­ten, ist soli­de, mit einem Rand-Rah­men ein­ge­fasst, tief geprägt, wie ein Stem­pel, den es der Stra­ße und Umge­bung auf­drückt. Die Buch­sta­ben klas­sisch modern, schnör­kel- und seri­fen­los, schwei­ze­ri­sche Typo­gra­fie. Sie kon­tras­tie­ren mit dem Inhalt und bezie­hen sich auf die dama­li­ge moder­ne Gegen­wart. Das Schild mag aus den 1950er/60er Jah­ren stam­men, also als Tho­mas und Katia Mann hierherzogen. 

Aus etwa der­sel­ben Zeit dürf­te auch die Stra­ßen­leuch­te stam­men, die vor dem Haus Nr. 39 steht. Auf einem älte­ren Schwarz-Weiß-Foto ist sie zu erken­nen, und offen­sicht­lich noch die­sel­be. Die Bäu­me im Hin­ter­grund sind grö­ßer gewor­den, sonst hat sich nicht viel ver­än­dert. Die Gegen­wart hat ledig­lich in Form eini­ger Sti­cker auf dem Lam­pen­mast Spu­ren hin­ter­las­sen, eine geball­te Faust, „FCZ“ dar­un­ter, wohl eine Droh­ge­bär­de gegen den 1. FC Zürich, und „FCK NZS“, eben­falls auf drei Kon­so­nan­ten redu­zier­te Wör­ter, deren Sinn man leicht erschlie­ßen kann. Die­se Zeug­nis­se einer lin­ken Sze­ne hät­te man hier, im soi­gnier­ten Kilch­berg, nicht erwartet.

Die Leuch­te mit ihrem gebo­ge­nen Mast, lässt an eine schlan­ke Figur den­ken – nicht zufäl­lig die Bezeich­nung „Lam­pen­kopf“ -, die aus luf­ti­ger Höhe und Distanz auf die Stra­ße hin­un­ter­schaut.
Vor der Lam­pe auf der Stra­ße die schwar­zen Schrift­zei­chen aus Teer. 

Das Haus des „noto­ri­schen Vil­len­be­sit­zers“ selbst, breit, mit weit vor­ge­zo­ge­nem Walm­dach, umge­ben von hohen Bäu­men, Zaun und Hecke. Es ver­mit­telt Zurück­ge­zo­gen­heit, wirkt aber nicht abwei­send. Das ros­ti­ge Tor steht leicht offen, wie um hereinzubitten. 

Am Pfei­ler dane­ben eine Gedenk­ta­fel, die nüch­tern fest­stellt, dass hier die Fami­lie Tho­mas Mann wohn­te, und die ehe­ma­li­gen Bewoh­ner und die Jah­re ihres Auf­ent­halts auf­lis­tet: Tho­mas Mann 1954–1955, also kurz bis zu sei­nem Tod, Katia dann lan­ge, bis 1980, Eri­ka bis zu ihrem Tod 1969, schließ­lich Golo lan­ge 30 Jah­re. Das Under­state­ment, das nicht von Schrift­stel­ler­tum etc. erzählt, ähn­lich vor­nehm-lako­nisch wie die Grab­stei­ne der Fami­lie auf dem Kilch­ber­ger Fried­hof.
Eine abs­tra­hier­te Fami­lie als Plas­tik vor dem Ein­gang – weder groß noch künst­le­risch unbe­dingt wert­voll. Wohnt hier viel­leicht nach den Manns (wie­der) eine Fami­lie? Dar­auf deu­tet wei­ter hin eine Blu­men­scha­le mit Nar­zis­sen und einem quietsch­bun­tem Oster­ha­sen – ein Kon­trast zur sons­ti­gen gedämpf­ten Far­big­keit von Haus, Gar­ten und Straße. 

Das Gefühl von ste­hen­ge­blie­be­ner Zeit – in der Refle­xe der Gegen­wart aufblitzen. 

Konzept

Das Denk­mal für die Fami­lie Tho­mas Mann besteht aus Schil­dern von Stra­ßen, die nach Mit­glie­dern der Fami­lie benannt sind, und aus 15 Stra­ßen­leuch­ten. Die­se stam­men aus Mün­chen, aber auch aus ande­ren Orten der Welt, die mit der Fami­lie Mann in Bezug ste­hen, mit Tho­mas Mann, sei­ner Frau Katia und ihren Kin­dern Klaus, Eri­ka, Golo, Eli­sa­beth, Micha­el und Monika.

In Schil­dern und Leuch­ten spie­gelt sich die Inter­na­tio­na­li­tät der Fami­lie Mann wider, von Mün­chen aus­ge­hend, mit Lebens- und Wir­kungs­or­ten in Euro­pa, den USA und Süd­ame­ri­ka, gleich­zei­tig ihre welt­wei­te lite­ra­ri­sche Aus­strah­lung und Bedeu­tung. Dies ist auch anhand der unter­schied­li­chen Stra­ßen­be­zeich­nun­gen (Via, Rue, Rua…) ables­bar. Die Auf­stel­lung ori­en­tiert sich an der Lage der Orte zuein­an­der und bil­det eine ima­gi­nä­re Kar­te. Ange­spro­chen sind Aspek­te von Orts­ver­bun­den­heit, gleich­zei­tig Emi­gra­ti­on, Orts­wech­sel sowie grenz­über­schrei­ten­dem Welt­bür­ger­tum, wofür die Fami­lie als Bei­spiel gel­ten kann. 

Albert Coers: Aus­füh­rungs­Ent­wurf 2021, Per­spek­ti­ve, Zeich­nung: Flo­ri­an Froese-Peek


Aus­gangs­punkt sind Situa­tio­nen in Mün­chen, dem lang­jäh­ri­gen Lebens­mit­tel­punkt der Fami­lie. Hier gibt es inzwi­schen meh­re­re Stra­ßen und Plät­ze, die nach Mit­glie­dern der Fami­lie benannt sind, nach Eri­ka, Klaus, Eli­sa­beth, Golo. Jedoch lie­gen die­se an wenig fre­quen­tier­ten Orten, in Neu­bau­ge­bie­ten, an der Peri­phe­rie, sind so im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis wenig prä­sent. Die­se Schil­der, samt der Lam­pen, an denen sie befes­tigt sind, wer­den ins Zen­trum der Stadt gebracht, als Grup­pe ver­sam­melt und dadurch stär­ker sicht­bar. Es fin­det eine „Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung“ statt. Gleich­zei­tig ver­wei­sen Schil­der und Lam­pen zurück auf ihre ursprüng­li­chen Stand­or­te. Damit betont das Denk­mal den Bezug zu urba­nen Strukturen. 

Namen

Für Katia Mann, nach der bis­her kei­ne Stra­ße und kein Platz benannt ist, wird ein neu­es Schild geschaf­fen. Ange­bracht ist es an einer auf dem Platz vor­han­den­denen Leuch­te, die um weni­ge Meter ver­setzt und so in die Grup­pe der wei­te­ren Leuch­ten des Denk­mals ein­be­zo­gen wird.
Dies macht „Frau Tho­mas Mann“ stär­ker im Bezug zur Stadt sicht­bar, war sie doch gebür­ti­ge Münch­ne­rin und ent­stamm­te der jüdi­schen Fami­lie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz ver­lo­ren und emi­grie­ren muss­ten. Die Benen­nung im Denk­mal nimmt vor­weg, was eigent­lich ein lang­wie­ri­ger Pro­zess wäre. Die­se Mischung von Rea­li­tät und Fik­ti­on ist auch Ver­weis auf lite­ra­ri­sche Ver­fah­ren, wie sie Tho­mas oder auch Klaus Mann praktizierten.


Leuch­ten

Neben Leuch­ten und Schil­dern aus Mün­chen, die erin­nern an Tho­mas, Eri­ka, Klaus, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se, zei­gen wei­te­re die Spann­wei­te zwi­schen Euro­pa, Nord- und Süd­ame­ri­ka, stel­len Bezü­ge her.
Ein Stra­ßen­schild „Rue Tho­mas Mann“ stammt aus Paris und wird gemäß der dort übli­chen Anbrin­gung an der Wand der Sal­vat­or­ga­ra­ge zu sehen sein. Lübeck ist als Geburts­ort von Tho­mas Mann und Schau­platz von „Bud­den­brooks“ ver­tre­ten, mit einer Lam­pe vor der dor­ti­gen Tho­mas-Mann-Schu­le und einem Schild nach Tho­mas-Mann-Stra­ße. Aus Frank­furt stam­men Lam­pe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Stand­ort eines Denk­mals für ver­folg­te Homo­se­xu­el­le von Rose­ma­rie Trockel („Frank­fur­ter Engel“); damit ist ein Bestand­teil der Iden­ti­tät meh­re­rer Fami­li­en­mit­glie­der inbegriffen.

Rom ist mit dem Schild „Via Tho­mas Mann“ und Leuch­te prä­sent als Auf­ent­halts­ort von Tho­mas (und Hein­rich) Mann in jun­gen Jah­ren. Für den süd­ame­ri­ka­ni­schen Teil (Tho­mas Manns Mut­ter Julia stamm­te aus Bra­si­li­en) ste­hen Straßenlampe/Schild aus São Pau­lo.

Eine Leuch­te kommt dage­gen aus Nida/Nid­den in Litau­en, bevor­zug­te Som­mer­fri­sche der Fami­lie Mann, wo sie vor dem Feri­en­haus der Manns steht, heu­te Tho­mas-Mann Haus, ein Kul­tur­zen­trum und Muse­um. Sana­ry-Sur-Mer an der Côte d’Azur war ers­ter Ort der Emi­gra­ti­on in den 1930er Jah­ren. Von dort stammt eine Lam­pe, die für die Fami­lie ins­ge­samt steht, eben­so eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heu­te: Ren­wick), wo die Manns wie­der­holt wohn­ten. Ein Schild „Mann Av.“ aus New York steht für die Fami­lie und den Namen „Mann“ als Gan­zes, auch für Micha­el und Moni­ka, nach denen kei­ne eige­ne Stra­ße benannt ist. 

Auf Los Ange­les ver­weist eine Leuch­te. Dort ließ Tho­mas Mann 1942 eine Vil­la bau­en, die er bis zur Rück­kehr nach Euro­pa 1952 bewohn­te, und die heu­te als Tho­mas Mann House als Resi­denz­haus ein Auf­ent­halts­ort für Sti­pen­dia­ten und Ort kul­tu­rel­len Aus­tauschs ist. Eine Leuch­te aus Kilch­berg in der Schweiz stellt eine Bezie­hung her zum Wohn­ort von Tho­mas und Katia, auch von Eri­ka (nach der in Zürich eine Stra­ße benannt ist) und zuletzt Golo, der aber in Lever­ku­sen ver­starb, und an den dort eine Stra­ße erinnert. 

Recher­che­rei­sen an die jewei­li­gen Orte sind Bestand­teil des Pro­jekts, eben­so eine Buch­pu­bli­ka­ti­on, die Hin­ter­grund und Ent­ste­hung des Denk­mals doku­men­tiert, ver­mit­telt und ergänzt, auch um die aktu­el­len Situa­tio­nen der Stra­ßen­schil­der und Leuch­ten vor Ort.