Peripherie und Zentrum – München

Flash­back zum Pro­zess der Ideen­fin­dung: In Mün­chen set­ze ich 2018 mei­ne Recher­che zu den Stra­ßen­schil­dern der Manns fort. In den 2000ern wur­den dort eine Rei­he von Stra­ßen und Plät­zen nach den Kin­dern der Manns benannt. Das hängt wohl zusam­men mit der gestie­ge­nen Popu­la­ri­tät der Fami­lie nach der Ver­fil­mung ihrer Geschich­te durch Hein­rich Bre­lo­er 2001, mit ver­stärk­ter wis­sen­schaft­li­cher Beschäf­ti­gung, aber auch mit dem Bemü­hen der Stadt Mün­chen, ver­stärkt Frau­en bei der Benen­nung von Stra­ßen zu berück­sich­ti­gen und dadurch sicht­bar zu machen.

Ich fin­de immer­hin fünf Mit­glie­der der Fami­lie (mit Hein­rich wären es sechs): Tho­mas Mann in Bogen­hau­sen, Klaus und Eri­ka am Arnulfpark, Eli­sa­beth ganz im Osten und Golo ganz im Wes­ten. Die­se weit­ge­streck­te Ver­tei­lung bringt mich auf die Idee, die Mit­glie­der über die Schil­der zusam­men­zu­ho­len und von der Peri­phe­rie ins Zen­trum, an den Sal­va­tor­platz in der Alt­stadt zu bringen.

Was in Mün­chen wei­ter auf­fällt: Die Schil­der sind an Stra­ßen­leuch­ten ange­bracht, anders als in Ber­lin. Dar­aus ent­wi­ckelt sich die Idee, sie mit­zu­neh­men, als cha­rak­te­ris­ti­sche Bestand­tei­le des öffent­li­chen Raums, die jeweils unter­schied­lich aus­fal­len und, ähn­lich wie die Schil­der, viel über ihren Stand­ort erzäh­len.

Die Orte lie­gen weit aus­ein­an­der, wie man auf einem Stadt­plan sehen kann. Um sie zu mar­kie­ren und auch die Objekt­haf­tig­keit der Leuch­ten mit hin­ein­zu­neh­men, ste­cke ich Nägel mit brei­ten Köp­fen in einen Plan. Sie reflek­tie­ren das Licht, „leuch­ten“.

Thomas-Mann-Allee, Bogenhausen


In Mün­chen liegt die nach Tho­mas Mann benann­te Stra­ße im groß­bür­ger­li­chen Stadt­teil Bogen­hau­sen, geprägt durch Vil­len und groß­zü­gi­ge Ein­fa­mi­li­en­häu­ser. Auch die­ses Umfeld ist ein Unter­schied zu Ber­lin, wo Wohn­blocks und kom­mu­na­le Bau­ten vor­herr­schend waren. „Allee“ heißt es hier, im Gegen­satz zum pro­sa­ischen „Stra­ße“; sie ver­läuft par­al­lel zur Isar, ruhig über dem Fluss, von dem sie ein park­ähn­li­cher Grün­strei­fen trennt, des­sen Bäu­me sich über die Stra­ße wöl­ben. Auf der ande­ren Sei­te Gär­ten mit aus­la­den­den alten Bäu­men. Umbe­nannt wur­de die Föh­rin­ger Allee, 1956, bereits ein Jahr nach dem Tod Tho­mas Manns. Dies zeigt, dass man sich der Bedeu­tung Tho­mas Manns bewusst war.

Das Schild ist groß und breit, ver­mit­telt Soli­di­tät und Dau­er­haf­tig­keit: Die Schrift ist in Email­le auf­ge­bracht, Far­be als glas­ar­ti­ge Schicht auf­ge­schmol­zen – was eine har­te, glän­zen­de Ober­flä­che ergibt. Es ist von der Mit­te aus leicht gewölbt, wirkt dadurch plas­tisch – und funk­tio­nal läuft das Was­ser von die­ser gespann­ten Flä­che gut ab. Die Schrift ist von einer Kar­tu­sche umrahmt, womit His­to­risch-Baro­ckes anklingt.

Die Leuch­te, an der das Schild ange­bracht ist, strahlt eben­falls etwas Klas­sisch-Soli­des aus, mit der schlich­ten, kan­ti­gen Form, erin­nert an das Design der 1950er Jah­re und hat die schö­ne Typen-Bezeich­nung „Bava­ria“. Beim Besuch gefal­len mir die Spinn­we­ben zwi­schen Leuch­te und Schild.
Inter­es­sant ist das Schild dort auch, weil es in direk­tem Zusam­men­hang mit dem zen­tra­len Lebens­ort der Fami­lie steht: hier wohn­ten die Manns fast 20 Jah­re lang, hier schrieb Tho­mas Mann u.a. den Zau­ber­berg. 1913 lie­ßen sich Tho­mas und Katia eine Vil­la bau­en. Sie hat eine wech­sel­vol­le Geschich­te, vol­ler unter­schied­li­cher Nut­zun­gen, Zer­stö­run­gen, Rekon­struk­tio­nen: Sie wur­de im 2. Welt­krieg stark beschä­digt, abge­ris­sen, durch einen Bun­ga­low ersetzt. 2001 ließ der in Mün­chen gebo­re­ne Alex­an­der Dibe­l­i­us, Ban­ker bei Gold­man-Sachs, die Fas­sa­de rekon­stru­ie­ren, das Haus innen jedoch umbau­en. Der Inves­tor Tho­mas Manns erwarb die Vil­la schließ­lich 2015. Man kann sich vor­stel­len, dass dabei die Namens­ähn­lich­keit eine Rol­le gespielt hat – inso­fern passt die­ses Detail auch zum Denk­mal Stra­ßen Namen Leuch­ten und der Anzie­hungs­kraft von Namen. An der Mau­er der Vil­la erin­nert eine Tafel erin­nert an ihre Geschich­te – und gera­de ste­hen Lei­ter und Hoch­druck­rei­ni­ger vor ihr – sie wird offen­sicht­lich gesäu­bert, viel­leicht hat­te sich jemand durch die wei­ße Flä­che zum Hin­ter­las­sen eines Schrift­zugs her­aus­ge­for­dert gefühlt …

Erika und Klaus – an den Gleisen – Arnulfpark

Eri­ka und Klaus lie­gen ganz nach bei­ein­an­der, als Geschwis­ter­paar, in einem 2004 auf dem ehe­ma­li­gen Gelän­de der Deut­schen Bahn ange­leg­ten Neu­bau­ge­biet, dem Arnulfpark. Hier, ent­lang der Gleis­stre­cke, zwi­schen Hacker- und Don­ners­ber­ger­brü­cke und der Arnulf­stra­ße, war noch Platz, so dass die­ser Ort rela­tiv zen­tral liegt – auch wenn er durch sei­ne Lage nicht so wirkt und immer noch etwas von „unchar­ted ter­ri­to­ry“ hat. Viel­leicht passt die Nähe zu Glei­sen und Bahn­hö­fen nicht schlecht, waren die Geschwis­ter doch viel unter­wegs (wenn auch häu­fi­ger mit dem Auto). Hier sind die Nach­barn z.B. Lil­li Pal­mer, Mar­le­ne Diet­rich und Bern­hard Wicki. Eri­ka ist damit mit Schau­spie­lern ihrer Gene­ra­ti­on zusam­men­ge­bracht, gleich­zei­tig damit auf ihre „Rol­le“ auch fest­ge­legt, sie, die so vie­les war: Kaba­ret­tis­tin, Schrift­stel­le­rin, poli­ti­sche Akti­vis­tin, Her­aus­ge­be­rin der Schrif­ten ihres Vaters …
Die Leuch­ten sind funk­tio­nal-modern, ent­spre­chend der Bau­zeit, und so könn­te man auch hier einen Gene­ra­tio­nen­un­ter­schied zur Leuch­te des Vaters in Bogen­hau­sen ausmachen.

Elisabeth Mann Borgese – Baustelle – Riem


Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se war das jüngs­te Kind der Manns. Die 2004 nach ihr benann­te Stra­ße liegt in einem Bau­ge­biet in der Nähe des ehe­ma­li­gen Flug­ha­fens Riem, der heu­ti­gen Mes­se; ich fah­re mit dem Rad dort­hin, brau­che etwa 1 ½ Stun­den (so lan­ge wie in Rom zur Via Tho­mas Mann). Als ich das Schild foto­gra­fie­re, fra­gen Bau­ar­bei­ter miss­trau­isch, was ich da mache, in wes­sen Auf­trag, das Foto­gra­fie­ren der Bau­stel­le sei ver­bo­ten. Nur mit Mühe kann ich sie davon über­zeu­gen, dass es mir allein um die Schil­der geht … Aber das ist auch eine Erfah­rung, die zur Arbeit im öffent­li­chen Raum gehört: Man muss sich mit den Leu­ten vor Ort aus­ein­an­der­set­zen.
Dem Neu­bau­ge­biet ent­spricht das Design der Leuch­te, die noch etwas mim­i­ma­lis­ti­scher auf­tritt als die von Eri­ka und Klaus, mit Glas­zy­lin­der und auf­ge­setz­ter Reflektorscheibe. 

Auf den Schil­dern ist der Name „Mann“ stets prä­sent. Im Fall von Eli­sa­beth domi­niert die­ser Fami­li­en­na­me gegen­über den Vor­na­men, der abge­kürzt wird: „Elis. Mann – Bor­ge­se“; Das hat natür­lich tech­nisch-funk­tio­na­le Grün­de, da der Name, voll aus­ge­schrie­ben, zu lang wäre und mit der maxi­ma­len Zei­chen­zahl für Stra­ßen­be­nen­nungs­ta­feln (so die offi­zi­el­le Bezeich­nung) in Kon­flikt käme.

Dabei ist gera­de Eli­sa­beth sehr eigen­stän­dig, als Anwäl­tin der Rech­te der Mee­re und Mit­glied des Club of Rome. Eli­sa­beth, ist hier mit der Schrift­stel­le­rin und Nobel­preis­trä­ge­rin Sel­ma Lager­löf zusam­men­ge­spannt – obwohl sie einen nicht-lite­ra­ri­schen Beruf hat­te – in der Fami­lie Mann die Aus­nah­me. Geschrie­ben hat sie natür­lich trotzdem!

Golo in Freiham – Neubau, Westen und Bundesrepublik


Die Stra­ße, die nach Golo benannt ist, liegt ganz in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung, schon außer­halb des eigent­li­chen Stadt­ge­biets, im Wes­ten, in Frei­ham. Dort ent­steht ein kom­plett neu­es Vier­tel. So neu, dass es bei mei­nen Besu­chen 2018/19 zwar schon pro­vi­so­ri­sche Mas­ten aus Holz gab, aber der Stra­ßen­na­me noch nicht ange­bracht war – wur­de der Beschluss der Benen­nung doch erst kurz vor­her gefasst, 2017. Inso­fern lau­fen die Erstel­lung des Denk­mals und der Stra­ße par­al­lel. Die­sen Moment beschlie­ße ich in das Denk­mal zu über­neh­men, und auch dort einen Holz­mast zu ver­wen­den, was das Pro­vi­so­ri­sche ein­fängt und die Viel­falt an Mate­ria­li­en und Kon­struk­tio­nen erhöht. Auch das Schild fügt mit „Weg“ den Orts­be­zeich­nung eine neue Vari­an­te hin­zu. „Weg“ deu­tet das Schma­le­re, weni­ger Befes­tig­te, eher zu Fuß Began­ge­ne­ne als Befah­re­ne an. Asso­zia­tiv passt das zum lei­den­schaft­li­chen Wan­de­rer.
Golo ist hier per Stra­ßen­na­men mit Per­sön­lich­kei­ten des Nach­kriegs­zeit in Ver­bin­dung gebracht, vor allem der deut­schen, in sei­ner Rol­le als His­to­ri­ker, Publi­zist und Kom­men­ta­tor des Zeit­ge­sche­hens: Mit Ellis Kaut, Hans Cla­rin, Erich Käst­ner oder Hel­mut Schmidt, des­sen Name schon auf einem der Schil­der zu lesen ist. Die Lage im Wes­ten (der Repu­blik) passt dazu.
Das Neu­bau­vier­tel wird aber eher fer­tig sein als das Denk­mal – soviel zeich­net sich 2024 ab – das dadurch sei­ner­seits eine Situa­ti­on festhält.

Rue Thomas Mann, Paris – am Salvatorplatz

Rue Tho­mas Mann, Paris, 2018. Pho­to: Eva-Maria Troelenberg

Als ers­ter Bestand­teil des Denk­mals für die Fami­lie Mann wur­de im April 2024 das Schild „Rue Tho­mas Mann“ im cha­rak­te­ris­ti­schen Pari­ser Design am Sal­va­tor­platz in Mün­chen instal­liert, an der Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge.
Es nimmt Bezug auf die Stra­ße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écri­vain alle­mand“ erin­nert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arron­dis­se­ment, im zeit­gleich zur Benen­nung neu­ge­stal­te­ten moder­nen Stadt­vier­tel „Gare“, in Nach­bar­schaft der Biblio­t­hè­que Fran­çois-Mit­ter­rand (Fran­zö­si­schen Natio­nal­bi­blio­thek, BnF), was die Wahl des Schrift­stel­lers als Namens­ge­ber umso plau­si­bler macht.
Das Schild steht für die lite­ra­ri­schen, aber auch poli­ti­schen deutsch-fran­zö­si­schen Bezie­hun­gen und die Rol­le, die Tho­mas Manns dabei ein­nahm. Er schätz­te u.a. die Brü­der Gon­court sehr, bezog ent­schei­den­de Anre­gun­gen aus ihren Wer­ken für sei­nen Fami­li­en­ro­man „Bud­den­brooks“. Und er war der ers­te deut­sche Schrift­stel­ler, der nach dem 1. Welt­krieg im in Paris öffent­lich auf­trat, um eine Rede zu hal­ten: „Die geis­ti­gen Ten­den­zen des heu­ti­gen Deutsch­lands“. In der Rol­le eines inof­fi­zi­el­len Kul­tur­bot­schaf­ters der Wei­ma­rer Repu­blik warb Mann für die deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft und die Völ­ker­ver­stän­di­gung – sie­he auch sein Bericht über die Rei­se und den Auf­ent­halt, „Pari­ser Rechen­schaft“. Die Benen­nung ist auch ein Spie­gel der spä­te­ren poli­ti­schen Bezie­hun­gen zwi­schen bei­den Län­dern, die sich in den 1990er-Jah­ren intensivierten.

Der Instal­la­ti­on am Sal­va­tor­platz vor­aus­ge­gan­gen war ein län­ge­rer Pro­zess der Recher­che und Kon­takt­auf­nah­me, unter ande­rem über das Goe­the-Insti­tut Paris. Letz­lich wur­de von der Stadt Paris die Frei­ga­be zur Repro­duk­ti­on des Schil­des erteilt, aus­ge­führt von der Fir­ma LACROIX Signa­li­sa­ti­on/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet. 

Da in Paris Stra­ßen­schil­der vor­wie­gend an Haus­fas­sa­den ange­bracht wer­den, galt es in Mün­chen eine ent­spre­chen­de Stel­le zu fin­den. Die Fas­sa­de der Sal­vat­or­ga­ra­ge bot sich an, dafür wur­de das Ein­ver­ständ­nis des Amts für Denk­mal­pfle­ge ein­ge­holt, sowie der Päch­ter bzw. Eigen­tü­mer, der Bava­ria Park­ga­ra­gen GmbH und der Baye­ri­schen Haus­bau.

Die Mon­ta­ge selbst nahm in Zusam­men­ar­beit mit Albert Coers Flo­ri­an Froe­se-Peek vor. 

Lübeck – Hitze, Wasser – und die Thomas-Mann-Straße

Es ist schon eini­ge Zeit her, dass ich in Lübeck war, dort, wo die Vor­fah­ren der Fami­lie von Tho­mas Mann lan­ge ansäs­sig waren, wo er selbst, wo Hein­rich und sei­ne vier Geschwis­ter gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind, und wo eine Stra­ße nach ihm benannt ist. Im Som­mer 2019 war das. Jetzt, 2024, wo die Rea­li­sie­rung des Denk­mals in greif­ba­re Nähe rückt, inklu­si­ve des Stra­ßen­schil­des aus Lübeck, ver­su­che ich, anhand mei­ner Noti­zen und Erin­ne­run­gen den Auf­ent­halt zu rekonstruieren. 

„Lübeck – Hit­ze, Was­ser – und die Tho­mas-Mann-Stra­ße“ weiterlesen

Gewichtige Informationen – Erläuterungstafeln zu den Manns

Als Ergän­zun­gen zu den Stra­ßen­be­nen­nungs­schil­dern aus Mün­chen sind Tafeln fer­tig gewor­den, die Infor­ma­tio­nen zu den Mit­glie­dern der Fami­lie lie­fern und unter­halb der Schil­der ange­bracht wer­den. Zusatz­in­for­ma­tio­nen sind somit inte­gra­ler Bestand­teil des Denk­mals.
Die Tex­te lie­fern knap­pe Bio­gra­phien zu Tho­mas, Katia, Klaus, Eri­ka, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann. Sie ent­stan­den in Zusam­men­ar­beit mit dem Kul­tur­re­fe­rat der Stadt Mün­chen, Abtei­lung Public Histo­ry (ehe­mals Insti­tut für Stadt­ge­schich­te und Erin­ne­rungs­kul­tur). Die tech­ni­sche Rea­li­sie­rung über­nahm das Bau­re­fe­rat München. 

Bis­lang gab es die­se Schil­der nur für Tho­mas, Klaus und Eri­ka Mann. Inso­fern lag es für mich nahe, alle Münch­ner Stra­ßen­na­men mit sol­chen Ergän­zungs­schil­dern zu ver­se­hen und um sol­che für Katia, Golo und Eli­sa­beth Mann zu ergänzen. 

Die Schil­der sind aus email­lier­tem Metall und daher im Ver­gleich zu ihrer Grö­ße (15 x 45 cm) ziem­lich schwer. Anlaß, die Schil­der auf eine Per­so­nen­waa­ge zu legen – und das Gewicht der Namen und Infor­ma­tio­nen zu testen.

Kilchberg – Ruhe, Leuchten und Narzissen

Viel­leicht ist es nicht schlecht, vom Ende, von der letz­ten Sta­ti­on der Manns her anzu­fan­gen. Eine Fahrt nach Zürich – und ins nahe­ge­le­ge­ne Kilch­berg, wo Tho­mas Mann, Katia, Eri­ka und Golo nach der Rück­kehr aus dem Exil in den USA ab 1952 wohn­ten und auf dem Fried­hof zusam­men mit Micha­el, Moni­ka begra­ben sind. Von beson­de­rem Inter­es­se: Die Leuch­te vor dem Wohn­haus, auf einer älte­ren Schwarz­weiß-Auf­nah­me in der Rowohlt-Mono­gra­phie über die Fami­lie Mann pro­mi­nent zu sehen, jedoch über Goog­le Street View nicht, eben­so­we­nig das Stra­ßen­schild „Eri­ka-Mann-Stras­se“ in Zürich, die es seit kur­zem gibt. Und Bil­der aus ande­ren Quel­len fin­den sich im Netz auch nicht – so bemer­kens­wert und wich­tig schei­nen die­se Stra­ßen­la­ter­nen und Stra­ßen­schil­der dann doch nicht zu sein, als dass sie foto­gra­fiert wür­den – viel­leicht sind die Schil­der auch viel zu neu. Die­se Lücken in der Bild-Ver­füg­bar­keit allein recht­fer­ti­gen bereits die Tour in die Schweiz!

Im Vor­feld, ver­mit­telt durch Andre­as Mar­ti, der in Zürich den Kunst­raum dienst­ge­bäu­de betreibt, Kon­takt mit Chris­toph Dos­wald, ver­ant­wort­lich für Kunst im öffent­li­chen Raum. Ihm schil­de­re ich mein Anlie­gen, und er schreibt auch gleich zurück: das Pro­jekt klin­ge span­nend; eine schö­ne Idee, die bio­gra­fi­schen Sta­tio­nen mit dem Mobi­li­ar des öffent­li­chen Raums zusam­men­zu­brin­gen. In der Pra­xis stel­le es sich mög­li­cher­wei­se etwas kom­pli­zier­ter dar, er kön­nen allen­falls in Sachen Zürich-Oer­li­kon hel­fen. „Was hin­ge­gen Kilch­berg betrifft, so liegt das polit-geo­gra­fisch nicht im unse­rem Ter­ri­to­ri­um.“ Hier begeg­net bereits ein Phä­no­men, auf das ich im Lauf der Recher­che immer wie­der sto­ßen wer­de: die Zahl der Zustän­dig­kei­ten und anzu­fra­gen­den Stel­len ver­grö­ßert sich von mal zu mal.

Hubert Kret­schmer, Ver­le­ger, Künst­ler und Samm­ler von Künst­ler­pu­bli­ka­tio­nen nimmt mich im Golf nach Zürich mit. Dabei ist auch Rai­ner Grü­ner, sei­ner­seits Samm­ler von Künst­ler­bü­chern. Ziel ist eine Aus­stel­lung in der Gra­phi­schen Samm­lung an der ETH (wo neben­bei auch der Nach­lass Tho­mas Manns betreut wird). Auf die­sem Kurz­trip kom­men ganz unter­schied­li­che Din­ge zusammen. 

Von der Aus­stel­lung mit der S‑Bahn nach Kilch­berg, am Züri­see gele­gen, etwa 20 Minu­ten fährt man, über die Stadt­gren­zen hin­aus. Der Bahn­hof strahlt Ruhe, Soli­di­tät und Kur­ortstim­mung aus, mit einer Kar­te des Sees, einer roten Holz­bank – und einer Arzt­pra­xis gleich daneben.

Da man in den Ort nach oben steigt, gibt es vie­le Trep­pen und Durch­gangs­si­tua­tio­nen. Auch damit hängt wohl das Bedürf­nis nach Abgren­zung und Pri­vat­heit zusam­men, aus­ge­drückt durch Zäu­ne und Schil­der. Aber auch sonst atmen die Anwe­sen eine gewis­se Abge­schlos­sen­heit.
„Ruhe, Ruhe und noch­mals Ruhe“ – so beschreibt Tho­mas Mann in einem Brief sei­ne Wün­sche. Man kann ver­ste­hen, war­um er hier­her­zog. Dazu kom­men See­blick und Kurortatmosphäre. 

Das Sana­to­ri­um in Kilch­berg, an dem man vor­bei­geht, lässt in Zusam­men­hang mit Tho­mas Mann unwill­kür­lich an den „Zau­ber­berg“ den­ken, auch wenn es sich nicht um eine Lun­gen­heil­an­stalt, son­dern eine Pri­vat­kli­nik für Psy­cho­the­ra­pie han­delt. Der Ort liegt eben­falls in der Höhe, sie­he auch den Namens­be­stand­teil „-berg“.

Das Stra­ßen­schild „Alte Land­stras­se“, wo die Manns wohn­ten, ist soli­de, mit einem Rand-Rah­men ein­ge­fasst, tief geprägt, wie ein Stem­pel, den es der Stra­ße und Umge­bung auf­drückt. Die Buch­sta­ben klas­sisch modern, schnör­kel- und seri­fen­los, schwei­ze­ri­sche Typo­gra­fie. Sie kon­tras­tie­ren mit dem Inhalt und bezie­hen sich auf die dama­li­ge moder­ne Gegen­wart. Das Schild mag aus den 1950er/60er Jah­ren stam­men, also als Tho­mas und Katia Mann hierherzogen. 

Aus etwa der­sel­ben Zeit dürf­te auch die Stra­ßen­leuch­te stam­men, die vor dem Haus Nr. 39 steht. Auf einem älte­ren Schwarz-Weiß-Foto ist sie zu erken­nen, und offen­sicht­lich noch die­sel­be. Die Bäu­me im Hin­ter­grund sind grö­ßer gewor­den, sonst hat sich nicht viel ver­än­dert. Die Gegen­wart hat ledig­lich in Form eini­ger Sti­cker auf dem Lam­pen­mast Spu­ren hin­ter­las­sen, eine geball­te Faust, „FCZ“ dar­un­ter, wohl eine Droh­ge­bär­de gegen den 1. FC Zürich, und „FCK NZS“, eben­falls auf drei Kon­so­nan­ten redu­zier­te Wör­ter, deren Sinn man leicht erschlie­ßen kann. Die­se Zeug­nis­se einer lin­ken Sze­ne hät­te man hier, im soi­gnier­ten Kilch­berg, nicht erwartet.

Die Leuch­te mit ihrem gebo­ge­nen Mast, lässt an eine schlan­ke Figur den­ken – nicht zufäl­lig die Bezeich­nung „Lam­pen­kopf“ -, die aus luf­ti­ger Höhe und Distanz auf die Stra­ße hin­un­ter­schaut.
Vor der Lam­pe auf der Stra­ße die schwar­zen Schrift­zei­chen aus Teer. 

Das Haus des „noto­ri­schen Vil­len­be­sit­zers“ selbst, breit, mit weit vor­ge­zo­ge­nem Walm­dach, umge­ben von hohen Bäu­men, Zaun und Hecke. Es ver­mit­telt Zurück­ge­zo­gen­heit, wirkt aber nicht abwei­send. Das ros­ti­ge Tor steht leicht offen, wie um hereinzubitten. 

Am Pfei­ler dane­ben eine Gedenk­ta­fel, die nüch­tern fest­stellt, dass hier die Fami­lie Tho­mas Mann wohn­te, und die ehe­ma­li­gen Bewoh­ner und die Jah­re ihres Auf­ent­halts auf­lis­tet: Tho­mas Mann 1954–1955, also kurz bis zu sei­nem Tod, Katia dann lan­ge, bis 1980, Eri­ka bis zu ihrem Tod 1969, schließ­lich Golo lan­ge 30 Jah­re. Das Under­state­ment, das nicht von Schrift­stel­ler­tum etc. erzählt, ähn­lich vor­nehm-lako­nisch wie die Grab­stei­ne der Fami­lie auf dem Kilch­ber­ger Fried­hof.
Eine abs­tra­hier­te Fami­lie als Plas­tik vor dem Ein­gang – weder groß noch künst­le­risch unbe­dingt wert­voll. Wohnt hier viel­leicht nach den Manns (wie­der) eine Fami­lie? Dar­auf deu­tet wei­ter hin eine Blu­men­scha­le mit Nar­zis­sen und einem quietsch­bun­tem Oster­ha­sen – ein Kon­trast zur sons­ti­gen gedämpf­ten Far­big­keit von Haus, Gar­ten und Straße. 

Das Gefühl von ste­hen­ge­blie­be­ner Zeit – in der Refle­xe der Gegen­wart aufblitzen. 

Konzept

Das Denk­mal für die Fami­lie Tho­mas Mann besteht aus Schil­dern von Stra­ßen, die nach Mit­glie­dern der Fami­lie benannt sind, und aus 15 Stra­ßen­leuch­ten. Die­se stam­men aus Mün­chen, aber auch aus ande­ren Orten der Welt, die mit der Fami­lie Mann in Bezug ste­hen, mit Tho­mas Mann, sei­ner Frau Katia und ihren Kin­dern Klaus, Eri­ka, Golo, Eli­sa­beth, Micha­el und Monika.

In Schil­dern und Leuch­ten spie­gelt sich die Inter­na­tio­na­li­tät der Fami­lie Mann wider, von Mün­chen aus­ge­hend, mit Lebens- und Wir­kungs­or­ten in Euro­pa, den USA und Süd­ame­ri­ka, gleich­zei­tig ihre welt­wei­te lite­ra­ri­sche Aus­strah­lung und Bedeu­tung. Dies ist auch anhand der unter­schied­li­chen Stra­ßen­be­zeich­nun­gen (Via, Rue, Rua…) ables­bar. Die Auf­stel­lung ori­en­tiert sich an der Lage der Orte zuein­an­der und bil­det eine ima­gi­nä­re Kar­te. Ange­spro­chen sind Aspek­te von Orts­ver­bun­den­heit, gleich­zei­tig Emi­gra­ti­on, Orts­wech­sel sowie grenz­über­schrei­ten­dem Welt­bür­ger­tum, wofür die Fami­lie als Bei­spiel gel­ten kann.

Die bau­li­che Fer­tig­stel­lung des Denk­mals ist für Frühjahr/Sommer 2024 geplant. 

Albert Coers: Aus­füh­rungs­Ent­wurf 2021, Per­spek­ti­ve, Zeich­nung: Flo­ri­an Froese-Peek


Aus­gangs­punkt sind Situa­tio­nen in Mün­chen, dem lang­jäh­ri­gen Lebens­mit­tel­punkt der Fami­lie. Hier gibt es inzwi­schen meh­re­re Stra­ßen und Plät­ze, die nach Mit­glie­dern der Fami­lie benannt sind, nach Eri­ka, Klaus, Eli­sa­beth, Golo. Jedoch lie­gen die­se an wenig fre­quen­tier­ten Orten, in Neu­bau­ge­bie­ten, an der Peri­phe­rie, sind so im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis wenig prä­sent. Die­se Schil­der, samt der Lam­pen, an denen sie befes­tigt sind, wer­den ins Zen­trum der Stadt gebracht, als Grup­pe ver­sam­melt und dadurch stär­ker sicht­bar. Es fin­det eine „Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung“ statt. Gleich­zei­tig ver­wei­sen Schil­der und Lam­pen zurück auf ihre ursprüng­li­chen Stand­or­te. Damit betont das Denk­mal den Bezug zu urba­nen Strukturen. 

Namen

Für Katia Mann, nach der bis­her kei­ne Stra­ße und kein Platz benannt ist, wird ein neu­es Schild geschaf­fen. Ange­bracht ist es an einer auf dem Platz vor­han­den­denen Leuch­te, die um weni­ge Meter ver­setzt und so in die Grup­pe der wei­te­ren Leuch­ten des Denk­mals ein­be­zo­gen wird.
Dies macht „Frau Tho­mas Mann“ stär­ker im Bezug zur Stadt sicht­bar, war sie doch gebür­ti­ge Münch­ne­rin und ent­stamm­te der jüdi­schen Fami­lie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz ver­lo­ren und emi­grie­ren muss­ten. Die Benen­nung im Denk­mal nimmt vor­weg, was eigent­lich ein lang­wie­ri­ger Pro­zess wäre. Die­se Mischung von Rea­li­tät und Fik­ti­on ist auch Ver­weis auf lite­ra­ri­sche Ver­fah­ren, wie sie Tho­mas oder auch Klaus Mann praktizierten.


Leuch­ten

Neben Leuch­ten und Schil­dern aus Mün­chen, die erin­nern an Tho­mas, Eri­ka, Klaus, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se, zei­gen wei­te­re die Spann­wei­te zwi­schen Euro­pa, Nord- und Süd­ame­ri­ka, stel­len Bezü­ge her.
Ein Stra­ßen­schild „Rue Tho­mas Mann“ stammt aus Paris und wird gemäß der dort übli­chen Anbrin­gung an der Wand der Sal­vat­or­ga­ra­ge zu sehen sein. Lübeck ist als Geburts­ort von Tho­mas Mann und Schau­platz von „Bud­den­brooks“ ver­tre­ten, mit einer Lam­pe vor der dor­ti­gen Tho­mas-Mann-Schu­le und einem Schild nach Tho­mas-Mann-Stra­ße. Aus Frank­furt stam­men Lam­pe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Stand­ort eines Denk­mals für ver­folg­te Homo­se­xu­el­le von Rose­ma­rie Trockel („Frank­fur­ter Engel“); damit ist ein Bestand­teil der Iden­ti­tät meh­re­rer Fami­li­en­mit­glie­der inbegriffen.

Rom ist mit dem Schild „Via Tho­mas Mann“ und Leuch­te prä­sent als Auf­ent­halts­ort von Tho­mas (und Hein­rich) Mann in jun­gen Jah­ren. Für den süd­ame­ri­ka­ni­schen Teil (Tho­mas Manns Mut­ter Julia stamm­te aus Bra­si­li­en) ste­hen Straßenlampe/Schild aus São Pau­lo.

Eine Leuch­te kommt dage­gen aus Nida/Nid­den in Litau­en, bevor­zug­te Som­mer­fri­sche der Fami­lie Mann, wo sie vor dem Feri­en­haus der Manns steht, heu­te Tho­mas-Mann Haus, ein Kul­tur­zen­trum und Muse­um. Sana­ry-Sur-Mer an der Côte d’Azur war ers­ter Ort der Emi­gra­ti­on in den 1930er Jah­ren. Von dort stammt eine Lam­pe, die für die Fami­lie ins­ge­samt steht, eben­so eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heu­te: Ren­wick), wo die Manns wie­der­holt wohn­ten. Ein Schild „Mann Av.“ aus New York steht für die Fami­lie und den Namen „Mann“ als Gan­zes, auch für Micha­el und Moni­ka, nach denen kei­ne eige­ne Stra­ße benannt ist. 

Auf Los Ange­les ver­weist eine Leuch­te. Dort ließ Tho­mas Mann 1942 eine Vil­la bau­en, die er bis zur Rück­kehr nach Euro­pa 1952 bewohn­te, und die heu­te als Tho­mas Mann House als Resi­denz­haus ein Auf­ent­halts­ort für Sti­pen­dia­ten und Ort kul­tu­rel­len Aus­tauschs ist. Eine Leuch­te aus Kilch­berg in der Schweiz stellt eine Bezie­hung her zum Wohn­ort von Tho­mas und Katia, auch von Eri­ka (nach der in Zürich eine Stra­ße benannt ist) und zuletzt Golo, der aber in Lever­ku­sen ver­starb, und an den dort eine Stra­ße erinnert. 

Recher­che­rei­sen an die jewei­li­gen Orte sind Bestand­teil des Pro­jekts, eben­so eine Buch­pu­bli­ka­ti­on, die Hin­ter­grund und Ent­ste­hung des Denk­mals doku­men­tiert, ver­mit­telt und ergänzt, auch um die aktu­el­len Situa­tio­nen der Stra­ßen­schil­der und Leuch­ten vor Ort.