„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“. So beginnt Thomas Manns Roman „Joseph und seine Brüder“. Und tatsächlich wird für das Denkmal für die Familie Mann und seine Fundamentierung in die Tiefe gegraben, es finden archäologische Untersuchungen statt, Bodenproben werden entnommen .… Seit 22.9.25 ist auf dem Salvatorplatz wieder Baubetrieb.
Flashback zum Prozess der Ideenfindung: In München setze ich 2018 meine Recherche zu den Straßenschildern der Manns fort. In den 2000ern wurden dort eine Reihe von Straßen und Plätzen nach den Kindern der Manns benannt. Das hängt wohl zusammen mit der gestiegenen Popularität der Familie nach der Verfilmung ihrer Geschichte durch Heinrich Breloer 2001, mit verstärkter wissenschaftlicher Beschäftigung, aber auch mit dem Bemühen der Stadt München, verstärkt Frauen bei der Benennung von Straßen zu berücksichtigen und dadurch sichtbar zu machen.
Ich finde immerhin fünf Mitglieder der Familie (mit Heinrich wären es sechs): Thomas Mann in Bogenhausen, Klaus und Erika am Arnulfpark, Elisabeth ganz im Osten und Golo ganz im Westen. Diese weitgestreckte Verteilung bringt mich auf die Idee, die Mitglieder über die Schilder zusammenzuholen und von der Peripherie ins Zentrum, an den Salvatorplatz in der Altstadt zu bringen.
Was in München weiter auffällt: Die Schilder sind an Straßenleuchten angebracht, anders als in Berlin. Daraus entwickelt sich die Idee, sie mitzunehmen, als charakteristische Bestandteile des öffentlichen Raums, die jeweils unterschiedlich ausfallen und, ähnlich wie die Schilder, viel über ihren Standort erzählen.
Die Orte liegen weit auseinander, wie man auf einem Stadtplan sehen kann. Um sie zu markieren und auch die Objekthaftigkeit der Leuchten mit hineinzunehmen, stecke ich Nägel mit breiten Köpfen in einen Plan. Sie reflektieren das Licht, „leuchten“.
Thomas-Mann-Allee, Bogenhausen
In München liegt die nach Thomas Mann benannte Straße im großbürgerlichen Stadtteil Bogenhausen, geprägt durch Villen und großzügige Einfamilienhäuser. Auch dieses Umfeld ist ein Unterschied zu Berlin, wo Wohnblocks und kommunale Bauten vorherrschend waren. „Allee“ heißt es hier, im Gegensatz zum prosaischen „Straße“; sie verläuft parallel zur Isar, ruhig über dem Fluss, von dem sie ein parkähnlicher Grünstreifen trennt, dessen Bäume sich über die Straße wölben. Auf der anderen Seite Gärten mit ausladenden alten Bäumen. Umbenannt wurde die Föhringer Allee, 1956, bereits ein Jahr nach dem Tod Thomas Manns. Dies zeigt, dass man sich der Bedeutung Thomas Manns bewusst war.
Das Schild ist groß und breit, vermittelt Solidität und Dauerhaftigkeit: Die Schrift ist in Emaille aufgebracht, Farbe als glasartige Schicht aufgeschmolzen – was eine harte, glänzende Oberfläche ergibt. Es ist von der Mitte aus leicht gewölbt, wirkt dadurch plastisch – und funktional läuft das Wasser von dieser gespannten Fläche gut ab. Die Schrift ist von einer Kartusche umrahmt, womit Historisch-Barockes anklingt.
Die Leuchte, an der das Schild angebracht ist, strahlt ebenfalls etwas Klassisch-Solides aus, mit der schlichten, kantigen Form, erinnert an das Design der 1950er Jahre und hat die schöne Typen-Bezeichnung „Bavaria“. Beim Besuch gefallen mir die Spinnweben zwischen Leuchte und Schild. Interessant ist das Schild dort auch, weil es in direktem Zusammenhang mit dem zentralen Lebensort der Familie steht: hier wohnten die Manns fast 20 Jahre lang, hier schrieb Thomas Mann u.a. den Zauberberg. 1913 ließen sich Thomas und Katia eine Villa bauen. Sie hat eine wechselvolle Geschichte, voller unterschiedlicher Nutzungen, Zerstörungen, Rekonstruktionen: Sie wurde im 2. Weltkrieg stark beschädigt, abgerissen, durch einen Bungalow ersetzt. 2001 ließ der in München geborene Alexander Dibelius, Banker bei Goldman-Sachs, die Fassade rekonstruieren, das Haus innen jedoch umbauen. Der Investor Thomas Manns erwarb die Villa schließlich 2015. Man kann sich vorstellen, dass dabei die Namensähnlichkeit eine Rolle gespielt hat – insofern passt dieses Detail auch zum Denkmal Straßen Namen Leuchten und der Anziehungskraft von Namen. An der Mauer der Villa erinnert eine Tafel erinnert an ihre Geschichte – und gerade stehen Leiter und Hochdruckreiniger vor ihr – sie wird offensichtlich gesäubert, vielleicht hatte sich jemand durch die weiße Fläche zum Hinterlassen eines Schriftzugs herausgefordert gefühlt …
Erika und Klaus – an den Gleisen – Arnulfpark
Erika und Klaus liegen ganz nach beieinander, als Geschwisterpaar, in einem 2004 auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Bahn angelegten Neubaugebiet, dem Arnulfpark. Hier, entlang der Gleisstrecke, zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke und der Arnulfstraße, war noch Platz, so dass dieser Ort relativ zentral liegt – auch wenn er durch seine Lage nicht so wirkt und immer noch etwas von „uncharted territory“ hat. Vielleicht passt die Nähe zu Gleisen und Bahnhöfen nicht schlecht, waren die Geschwister doch viel unterwegs (wenn auch häufiger mit dem Auto). Hier sind die Nachbarn z.B. Lilli Palmer, Marlene Dietrich und Bernhard Wicki. Erika ist damit mit Schauspielern ihrer Generation zusammengebracht, gleichzeitig damit auf ihre „Rolle“ auch festgelegt, sie, die so vieles war: Kabarettistin, Schriftstellerin, politische Aktivistin, Herausgeberin der Schriften ihres Vaters … Die Leuchten sind funktional-modern, entsprechend der Bauzeit, und so könnte man auch hier einen Generationenunterschied zur Leuchte des Vaters in Bogenhausen ausmachen.
Elisabeth Mann Borgese – Baustelle – Riem
Elisabeth Mann Borgese war das jüngste Kind der Manns. Die 2004 nach ihr benannte Straße liegt in einem Baugebiet in der Nähe des ehemaligen Flughafens Riem, der heutigen Messe; ich fahre mit dem Rad dorthin, brauche etwa 1 ½ Stunden (so lange wie in Rom zur Via Thomas Mann). Als ich das Schild fotografiere, fragen Bauarbeiter misstrauisch, was ich da mache, in wessen Auftrag, das Fotografieren der Baustelle sei verboten. Nur mit Mühe kann ich sie davon überzeugen, dass es mir allein um die Schilder geht … Aber das ist auch eine Erfahrung, die zur Arbeit im öffentlichen Raum gehört: Man muss sich mit den Leuten vor Ort auseinandersetzen. Dem Neubaugebiet entspricht das Design der Leuchte, die noch etwas mimimalistischer auftritt als die von Erika und Klaus, mit Glaszylinder und aufgesetzter Reflektorscheibe.
Auf den Schildern ist der Name „Mann“ stets präsent. Im Fall von Elisabeth dominiert dieser Familienname gegenüber den Vornamen, der abgekürzt wird: „Elis. Mann – Borgese“; Das hat natürlich technisch-funktionale Gründe, da der Name, voll ausgeschrieben, zu lang wäre und mit der maximalen Zeichenzahl für Straßenbenennungstafeln (so die offizielle Bezeichnung) in Konflikt käme.
Dabei ist gerade Elisabeth sehr eigenständig, als Anwältin der Rechte der Meere und Mitglied des Club of Rome. Elisabeth, ist hier mit der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf zusammengespannt – obwohl sie einen nicht-literarischen Beruf hatte – in der Familie Mann die Ausnahme. Geschrieben hat sie natürlich trotzdem!
Golo in Freiham – Neubau, Westen und Bundesrepublik
Die Straße, die nach Golo benannt ist, liegt ganz in entgegengesetzter Richtung, schon außerhalb des eigentlichen Stadtgebiets, im Westen, in Freiham. Dort entsteht ein komplett neues Viertel. So neu, dass es bei meinen Besuchen 2018/19 zwar schon provisorische Masten aus Holz gab, aber der Straßenname noch nicht angebracht war – wurde der Beschluss der Benennung doch erst kurz vorher gefasst, 2017. Insofern laufen die Erstellung des Denkmals und der Straße parallel. Diesen Moment beschließe ich in das Denkmal zu übernehmen, und auch dort einen Holzmast zu verwenden, was das Provisorische einfängt und die Vielfalt an Materialien und Konstruktionen erhöht. Auch das Schild fügt mit „Weg“ den Ortsbezeichnung eine neue Variante hinzu. „Weg“ deutet das Schmalere, weniger Befestigte, eher zu Fuß Begangenene als Befahrene an. Assoziativ passt das zum leidenschaftlichen Wanderer. Golo ist hier per Straßennamen mit Persönlichkeiten des Nachkriegszeit in Verbindung gebracht, vor allem der deutschen, in seiner Rolle als Historiker, Publizist und Kommentator des Zeitgeschehens: Mit Ellis Kaut, Hans Clarin, Erich Kästner oder Helmut Schmidt, dessen Name schon auf einem der Schilder zu lesen ist. Die Lage im Westen (der Republik) passt dazu. Das Neubauviertel wird aber eher fertig sein als das Denkmal – soviel zeichnet sich 2024 ab – das dadurch seinerseits eine Situation festhält.
Für eine Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Landesdenkmalrat sind aktualisierte Visualisierungen des Denkmals am Salvatorplatz in München entstanden. Erstaunlich, wie detailliert und realistisch sie sind. Hier wurden unterschiedliche Perspektiven und Lichtsituationen durchgespielt, Texturen. Dank an Florian Froese-Peeck!
Albert Coers: Straßen Namen Leuchten – ein Denkmal für die Familie Mann, 2024, Rendering Florian Froese-Peek.
Kürzlich konnte ich endlich zwischen Leuchten und Schildern des Denkmals für die Familie Mann am Salvatorplatz umhergehen. Hier das Ensemble der dicht stehenden Leuchten aus München, Rom und anderen Städten in Augenschein nehmen, dort die aus New York, dort die aus São Paulo. Konnte den Arm dieser Leuchte drehen, diesen Mast etwas verschieben, den Eindruck testen.
Dies fand statt in in der Halle 6, einem Studio in München. Florian Froese-Peek hatte das digitale Modell für eine VR-Simulation eingerichtet. Die Erfahrung ähnelte anderen mit virtueller Realität, die ich sporadisch bei Ausstellungen gemacht hatte, war jedoch länger und intensiver. Meine Rolle war auch anders: Ich war kein bloßer Betrachter, sondern durfte mich als Akteur, Architekt, Entwerfer fühlen – was ich ja faktisch auch bin. Und einen Raum betreten mit Objekten, die nicht der Fiktion entstammen, sondern mir aus anderen Modellen und aus der Anschauung vertraut sind, mit denen ich inzwischen eine emotionale Beziehung aufgebaut habe, die ich mir wünsche; und so war es eine seltsame Mischung aus real und fiktional, aus einem Arbeitsprozess, der sich auf ein vorhandenes Pendant bezieht, der aber auch Momente des „als ob“, des Spielerisch-Leichten hatte.
Nach dem Anlegen der Brille und dem Greifen der Steuersticks, die Extensionen des Körpers, gleichzeitig Schnittstellen zwischen real und virtuell darstellen, wird zunächst eine Raumbegrenzung, eine leuchtende Linie auf den Boden gezeichnet, eine Art Spielfeld, innerhalb dessen man sich bewegt. Geht man darüber hinaus, stößt man auf eine Wand, die warnend aufleuchtet, man kann Arme oder den Kopf hindurchstecken; es tun sich Löcher auf, rot umrandet, hinter denen die nackte Realität zum Vorschein kommt, Wände, Türen.
Die entstehende Modell-Welt ist schön aufgeräumt, reduziert auf die für uns wesentlichen Elemente zur Beurteilung des optischen Eindrucks. Um ein möglichst realistisches Bild zu bekommen, gleichen wir die Betrachterhöhe mit den Maßen der Leuchten ab, vergleichen Sonnenstand und Einfallswinkel des Lichts mit den Bedingungen am Salvatorplatz. Es geht also sehr viel um 1:1 Entsprechungen, gar nicht um die Schaffung einer Fantasiewelt. Reizvoll sind Dinge, die drüberhinausgehen, einfach passieren, die auf kleinen Programmfehlern oder selbständigen Dynamiken beruhen: Das Literaturhaus sieht in der Frontalansicht aus, als ob dort Eiszacken wüchsen, die Querwände sind ausgefasert. Und Gras wächst auf der Leuchte aus Sanary-Sur-Mer, wir wissen nicht warum, vielleicht hat das Programm einige dekorative Elemente aus seiner Gartenabteilung hinzugefügt, hat mit der grünen Farbe des Masten Rasen assoziiert … Das würde auch gut zur Ausstellung „glitch – die Kunst der Störung“ passen, die zur Zeit in der Pinakothek der Moderne zu sehen ist.
Es ist ein spannender Moment, als ich per Steuerknüppel abhebe, den Standpunkt vom Boden in die Höhe verschiebe, in der Luft, in sechs Metern herumgehe, parallel zu den Fenstern des Literaturhauses, die Installation von dort aus betrachte. Es ist tatsächlich sehr nahe an einer realen Erfahrung, dem Balancieren auf einem dünnen Steg, dem Gang auf einer Glasplatte, ja dem Fliegen. Man sieht nach unten, die Masten und Leuchten verkleinern sich, die Linien der Gebäude stürzen, Schwindelgefühle steigen auf. Dies ist ein Unterschied zu Momenten des Fliegens in Träumen, wo man sich sicher fühlt, gelöst, selbstverständlich. VR ist hier viel näher an der Realität, da es ja auch mit deren Parametern und rückgekoppelten Sinneseindrücke arbeitet.
Florian sieht diese Erfahrung der virtuellen Realität eher als Mittel zum Zweck, als Testprogramm, und da er diese Methode häufiger benutzt bei Projekten im öffentlichen Raum, ist sie für ihn auch nichts Außergewöhnliches mehr. Er bemerkt, und ich kann das bestätigen, dass es auch anstrengend sei, sich in diesen virtuellen Räumen zu bewegen, von der Konzentration und der körperlichen Sensomotorik her, dem ständigen Abgleich der Eindrücke und Bewegungen. Und da die Ästhetik stark der von Computerspielen ähnle bzw. auf solche Anwendungen abgestimmt sei, habe man danach kaum mehr Lust auf solche Spiele in seiner „Freizeit“. Spiel und Arbeit werden also miteinander vermischt.
Die Leichtigkeit, mit der sie sich erstellen und verändern lassen, macht Modelle attraktiv. Doch haben sie ihre eigene Realität und ihr Eigenleben, sind keine bloßen Zwischenstufen auf dem Weg zum Endergebnis. Das ist beim Modell aus Pappe und Karton so, ebenfalls beim VR-Modell. Und sie gehören alle zum Denkmal und seinem Entstehungsprozess.
14.5.24: Auf der Baustelle für das Denkmal am Salvatorplatz werden die Fundamente der Straßenleuchten markiert, mit Farbspray und Kreide. Es entsteht eine Choreographie sich teils überschneidender Kreise und Flächen, mit Korrekturen und eingeschriebenen Zahlen. Die Markierung der vorhergehenden Versetzung einer Leuchte ist noch sichtbar. Auch wenn dies alles wieder verschwinden wird: ein Moment der Zeichnung im öffentlichen Raum.
Eine am Platz vorhande Leuchte wurde im April 2024 zur Platzmitte hin versetzt und in das zukünftige Ensemble integriert. Es ist die Leuchte, die später das neu angefertigte Schild „Katia-Mann-Platz“ tragen wird. Die Kombination der Leuchte vom Typ eines historischen Kandelabers, die bereits am Platz steht, mit dem Namen der in München aufgewachsenen Katia Pringsheim ist bewusst gewählt. Mit der Versetzung der Leuchte, noch vor der Installation des Restes des Ensembles, entsteht am Platz eine erst auf den zweiten Blick wahrnehmbare Veränderung. Eine interessante Zwischenstufe des Denkmals, auch zusammen mit dem bereits montierten Schild an der Fassade.
Außerdem wird Strom verlegt. Dank an das Baureferat für die Planung und Organisation und die Firma SPIE für die Ausführung der Arbeiten!
Rue Thomas Mann, Paris, 2018. Photo: Eva-Maria Troelenberg
Als erster Bestandteil des Denkmals für die Familie Mann wurde im April 2024 das Schild „Rue Thomas Mann“ im charakteristischen Pariser Design am Salvatorplatz in München installiert, an der Fassade der Salvatorgarage. Es nimmt Bezug auf die Straße in Paris, die dort seit 1995 an den „Écrivain allemand“ erinnert, wie auf dem Schild auch steht. Sie liegt im 13. Arrondissement, im zeitgleich zur Benennung neugestalteten modernen Stadtviertel „Gare“, in Nachbarschaft der Bibliothèque François-Mitterrand (Französischen Nationalbibliothek, BnF), was die Wahl des Schriftstellers als Namensgeber umso plausibler macht. Das Schild steht für die literarischen, aber auch politischen deutsch-französischen Beziehungen und die Rolle, die Thomas Manns dabei einnahm. Er schätzte u.a. die Brüder Goncourt sehr, bezog entscheidende Anregungen aus ihren Werken für seinen Familienroman „Buddenbrooks“. Und er war der erste deutsche Schriftsteller, der nach dem 1. Weltkrieg im in Paris öffentlich auftrat, um eine Rede zu halten: „Die geistigen Tendenzen des heutigen Deutschlands“. In der Rolle eines inoffiziellen Kulturbotschafters der Weimarer Republik warb Mann für die deutsch-französische Freundschaft und die Völkerverständigung – siehe auch sein Bericht über die Reise und den Aufenthalt, „Pariser Rechenschaft“. Die Benennung ist auch ein Spiegel der späteren politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die sich in den 1990er-Jahren intensivierten.
Der Installation am Salvatorplatz vorausgegangen war ein längerer Prozess der Recherche und Kontaktaufnahme, unter anderem über das Goethe-Institut Paris. Letzlich wurde von der Stadt Paris die Freigabe zur Reproduktion des Schildes erteilt, ausgeführt von der Firma LACROIX Signalisation/Signaclic, die auch für die Stadt Paris arbeitet.
Da in Paris Straßenschilder vorwiegend an Hausfassaden angebracht werden, galt es in München eine entsprechende Stelle zu finden. Die Fassade der Salvatorgarage bot sich an, dafür wurde das Einverständnis des Amts für Denkmalpflege eingeholt, sowie der Pächter bzw. Eigentümer, der Bavaria Parkgaragen GmbH und der Bayerischen Hausbau.
Die Montage selbst nahm in Zusammenarbeit mit Albert Coers Florian Froese-Peek vor.
Der Stromkasten für das Denkmal ist gesetzt, das ja auch aus Straßenleuchten bestehen soll. Er befindet sich an der Jungfernturmstraße, an der alten Stadtmauer, neben weiteren Anschlusskästen. Gegenwart trifft auf Geschichte, die Mauer aus dem typischen Rotziegel war Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung Münchens und stammt aus dem 15. Jahrhundert. Leicht erkennbar ist der weiße neue, passend zum Straßennamen, jungfräuliche Kubus – er ist noch nicht mit Graffiti-tags besprüht und noch nicht verwittert. Es war mir wichtig, dass der Stromkasten nicht am Salvatorplatz selbst steht und dort ein weiteres skulpturales Element bildet, zusätzlich zu den Schildern und Leuchten. Auch gibt es so keine Probleme mit dem Denkmalschutz, der gegen die Aufstellung vor der geschützten Fassade Einwände gehabt hätte. Das bedeutet einigen Aufwand, denn vom Kasten muss noch ein Kabel zum Platz gelegt werden. Aber ich bin froh über die Entscheidung und darüber, dass schon mal der Kasten steht – damit ein erstes Element des Denkmals und seiner Infrastruktur. Dank an die Firma Walter Ehmann!
Der Salvatorplatz München, wo das Denkmal für die Familie Mann aufgestellt werden soll, wird schon mal „vorgewärmt“ und aktiviert: Schüler des Thomas-Mann-Gymnasiums und der Mittelschule an der Peslmüllerstraße, Pasing, erkundeten am 6.3.24 physisch den Platz, sie bildeten dort u.a. eine lebendige Kette um die Fläche, auf der Straßenschilder und Leuchten in Erinnerung an die Mitglieder der Familie Mann stehen werden. Und das bei Regen! Die Aktion ist Teil eines Programms zur Kunstvermittlung von Kunst im öffentlichen Raum an Schulen, geleitet von Barbara Dabanoğlu.
Als Ergänzungen zu den Straßenbenennungsschildern aus München sind Tafeln fertig geworden, die Informationen zu den Mitgliedern der Familie liefern und unterhalb der Schilder angebracht werden. Zusatzinformationen sind somit integraler Bestandteil des Denkmals. Die Texte liefern knappe Biographien zu Thomas, Katia, Klaus, Erika, Golo Mann und Elisabeth Mann. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Stadt München, Abteilung Public History (ehemals Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur). Die technische Realisierung übernahm das Baureferat München.
Bislang gab es diese Schilder nur für Thomas, Klaus und Erika Mann. Insofern lag es für mich nahe, alle Münchner Straßennamen mit solchen Ergänzungsschildern zu versehen und um solche für Katia, Golo und Elisabeth Mann zu ergänzen.
Die Schilder sind aus emailliertem Metall und daher im Vergleich zu ihrer Größe (15 x 45 cm) ziemlich schwer. Anlaß, die Schilder auf eine Personenwaage zu legen – und das Gewicht der Namen und Informationen zu testen.
Die Jahrestagung 2021 beschäftigt sich mit Orten des Exils und der Migration und ihrem Verhältnis zu Erinnerungskulturen und regt den Austausch zwischen der Exilforschung und anderen Forschungsrichtungen an, die sich mit (erzwungener) Migration und Flucht befassen.
Mehr Informationen, Programm und Ameldung hier.
Im Mai 2020 wurden die Schilder von Thomas Mann, Golo, Erika, Klaus, Elisabeth fertig, nach denen in München Straßen und Plätze benannt sind – und auch die extra angefertigten Schilder für Katia Mann, für die bisher noch keine Benennung existierte. Ich konnte sie beim Baureferat München abholen.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Manns und ihrer Rezeption treten auch in den Straßennamen und ihren Schildern zutage. Frankfurt ist eine der wenigen Städte – neben München die einzige – in der eine Straße oder ein Platz nach Klaus Mann benannt ist. Ich rufe bei der Stadt Frankfurt an und frage nach dem Schild, um es ins Denkmal einzubauen. „Thomas Mann können sie gleich haben, Klaus Mann haben wir leider gerade nicht“ ist die Auskunft.
Albert Coers: Entwurf, Perspektive, Zeichnung: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Visualisierung des Entwurfs, Rendering: Florian Froese-Peek
Das Denkmal für die Familie Thomas Mann besteht aus Schildern von Straßen, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, und aus 15 Straßenleuchten. Diese stammen aus München, aber auch aus anderen Orten der Welt, die mit der Familie Mann in Bezug stehen, mit Thomas Mann, seiner Frau Katia und ihren Kindern Klaus, Erika, Golo, Elisabeth, Michael und Monika.
In Schildern und Leuchten spiegelt sich die Internationalität der Familie Mann wider, von München ausgehend, mit Lebens- und Wirkungsorten in Europa, den USA und Südamerika, gleichzeitig ihre weltweite literarische Ausstrahlung und Bedeutung. Dies ist auch anhand der unterschiedlichen Straßenbezeichnungen (Via, Rue, Rua…) ablesbar. Die Aufstellung orientiert sich an der Lage der Orte zueinander und bildet eine imaginäre Karte. Angesprochen sind Aspekte von Ortsverbundenheit, gleichzeitig Emigration, Ortswechsel sowie grenzüberschreitendem Weltbürgertum, wofür die Familie als Beispiel gelten kann.
Die bauliche Realisierung des Denkmals ist für Spätherbst 2025 geplant. Archäologische Funde am Salvatorplatz (2024) machten eine Neuplanung der Fundamente der Leuchten notwendig.
Albert Coers: AusführungsEntwurf 2021, Perspektive, Zeichnung: Florian Froese-Peek
Ausgangspunkt sind Situationen in München, dem langjährigen Lebensmittelpunkt der Familie. Hier gibt es inzwischen mehrere Straßen und Plätze, die nach Mitgliedern der Familie benannt sind, nach Erika, Klaus, Elisabeth, Golo. Jedoch liegen diese an wenig frequentierten Orten, in Neubaugebieten, an der Peripherie, sind so im kollektiven Gedächtnis wenig präsent. Diese Schilder, samt der Lampen, an denen sie befestigt sind, werden ins Zentrum der Stadt gebracht, als Gruppe versammelt und dadurch stärker sichtbar. Es findet eine „Familienzusammenführung“ statt. Gleichzeitig verweisen Schilder und Lampen zurück auf ihre ursprünglichen Standorte. Damit betont das Denkmal den Bezug zu urbanen Strukturen.
Namen
Für Katia Mann, nach der bisher keine Straße und kein Platz benannt ist, wird ein neues Schild geschaffen. Angebracht ist es an einer auf dem Platz vorhandendenen Leuchte, die um wenige Meter versetzt und so in die Gruppe der weiteren Leuchten des Denkmals einbezogen wird. Dies macht „Frau Thomas Mann“ stärker im Bezug zur Stadt sichtbar, war sie doch gebürtige Münchnerin und entstammte der jüdischen Familie Pringsheim, die, wie die Manns, ihren Besitz verloren und emigrieren mussten. Die Benennung im Denkmal nimmt vorweg, was eigentlich ein langwieriger Prozess wäre. Diese Mischung von Realität und Fiktion ist auch Verweis auf literarische Verfahren, wie sie Thomas oder auch Klaus Mann praktizierten.
Leuchten
Neben Leuchten und Schildern aus München, die erinnern an Thomas, Erika, Klaus, Golo Mann und Elisabeth Mann Borgese, zeigen weitere die Spannweite zwischen Europa, Nord- und Südamerika, stellen Bezüge her. Ein Straßenschild „Rue Thomas Mann“ stammt aus Paris und wird gemäß der dort üblichen Anbringung an der Wand der Salvatorgarage zu sehen sein. Lübeck ist als Geburtsort von Thomas Mann und Schauplatz von „Buddenbrooks“ vertreten, mit einer Lampe vor der dortigen Thomas-Mann-Schule und einem Schild nach Thomas-Mann-Straße. Aus Frankfurt stammen Lampe und Schild vom Klaus-Mann-Platz, Standort eines Denkmals für verfolgte Homosexuelle von Rosemarie Trockel („Frankfurter Engel“); damit ist ein Bestandteil der Identität mehrerer Familienmitglieder inbegriffen.
Rom ist mit dem Schild „Via Thomas Mann“ und Leuchte präsent als Aufenthaltsort von Thomas (und Heinrich) Mann in jungen Jahren. Für den südamerikanischen Teil (Thomas Manns Mutter Julia stammte aus Brasilien) stehen Straßenlampe/Schild aus São Paulo.
Eine Leuchte kommt dagegen aus Nida/Nidden in Litauen, bevorzugte Sommerfrische der Familie Mann, wo sie vor dem Ferienhaus der Manns steht, heute Thomas-Mann Haus, ein Kulturzentrum und Museum. Sanary-Sur-Mer an der Côte d’Azur war erster Ort der Emigration in den 1930er Jahren. Von dort stammt eine Lampe, die für die Familie insgesamt steht, ebenso eine aus New York, in Nähe des Hotel Bedford (heute: Renwick), wo die Manns wiederholt wohnten. Ein Schild „Mann Av.“ aus New York steht für die Familie und den Namen „Mann“ als Ganzes, auch für Michael und Monika, nach denen keine eigene Straße benannt ist.
Auf Los Angeles verweist eine Leuchte. Dort ließ Thomas Mann 1942 eine Villa bauen, die er bis zur Rückkehr nach Europa 1952 bewohnte, und die heute als Thomas Mann House als Residenzhaus ein Aufenthaltsort für Stipendiaten und Ort kulturellen Austauschs ist. Eine Leuchte aus Kilchberg in der Schweiz stellt eine Beziehung her zum Wohnort von Thomas und Katia, auch von Erika (nach der in Zürich eine Straße benannt ist) und zuletzt Golo, der aber in Leverkusen verstarb, und an den dort eine Straße erinnert.
Recherchereisen an die jeweiligen Orte sind Bestandteil des Projekts, ebenso eine Buchpublikation, die Hintergrund und Entstehung des Denkmals dokumentiert, vermittelt und ergänzt, auch um die aktuellen Situationen der Straßenschilder und Leuchten vor Ort.
Am 10.4.2019 hat der Stadtrat München beschlossen, den Entwurf von Albert Coers für ein Denkmal für die Familie Mann am Salvatorplatz zu realisieren. Coers‘ Konzept mit dem Titel „Straßen Namen Leuchten“ war von einer Fachjury im Rahmen eines Wettbewerbs für Kunst im öffentlichen Raum ausgewählt worden, zu dem das Kulturreferat 2017 acht internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen hatte (Clegg & Guttmann, Albert Coers, Annika Kahrs, Michaela Meise, Michaela Melián, Olaf Nicolai, Timm Ulrichs, Paloma Varga Weisz).
Mit der Fertigstellung des Denkmals ist im Frühjahr/Sommer 2024 zu rechnen.
Die Initiative, Thomas Mann ein Denkmal zu setzen, geht auf einen Stadtratsantrag bereits von 2015 zurück: „Der Münchner Bürger und bedeutende Autor Thomas Mann verdient einen sichtbaren Ehrenplatz in der Stadt, die er zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht hat. Hier hat er lange gelebt, geheiratet, ein Haus gebaut. Hier wollte er bleiben.“
Der Fokus hat sich dabei erweitert: „Neben der historischen Bedeutung von Thomas Mann für München wurde deutlich, dass der thematische Schwerpunkt nicht nur auf Thomas Mann beschränkt sein darf. Eine künstlerische Würdigung des Nobelpreisträgers ohne seinen familiären Kontext würde viele interessante Facetten des Wirkens der „Manns“ ausklammern. Bei einer weiteren permanenten künstlerischen Aufwertung des öffentlichen Raums ist nun die literarische Bedeutung der gesamten Familie Mann zu berücksichtigen.“ (Text nach der Ausschreibung).
Der Standort für das Denkmal, der Salvatorplatz, befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Literaturhaus und damit an einem der zentralen Orte der Beschäftigung mit literarischem Schaffen in München. Er liegt in der Altstadt, zwischen dem Literaturhaus, den Salvatorgaragen, einem denkmalgeschütztem Bau aus den 1960er Jahren, und der Salvatorkirche im Südosten.
Die Manns und München
Die Idee, Thomas Mann und seiner Familie ein Denkmal an zentraler Stelle zu errichten, hat als Hintergrund die große Bedeutung der Stadt für die Familie, aber auch das ambivalente Verhältnis zu ihr – sowie die Tatsache, dass die Familie in der sichtbaren Gedächtniskultur bisher nicht die ihr zukommende Präsenz hat.
Thomas Mann, 1875 in Lübeck geboren, kam 1894 als junger Mann nach München und lebte dort über 30 Jahre. Hier lernte er seine Frau Katia Pringsheim kennen, hier kamen die Kinder Erika und Klaus, Golo und Monika, Elisabeth und Michael zur Welt. Hier entstanden die meisten seiner literarischen Werke.
Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 emigrierte die Familie Mann, lebte fast 20 Jahre im Exil, zuerst in Europa, dann in den USA. Die Villa der Familie in der Poschingenstraße in München wurde beschlagnahmt, Thomas Mann enteignet.
1952 kehrte er endgültig nach Europa zurück. Die Wahl fiel auf die Schweiz. Eine Rückkehr nach München war für ihn ausgeschlossen. Sein ehemaliger Wohnsitz in München wurde wegen der Gefahr eines Zusammenbruchs mit seiner persönlichen Zustimmung durch die Stadt München abgerissen. Thomas Manns Nachlass ging an die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich. Das umfangreiche literarische Erbe seiner Kinder Klaus, Erika, Michael, Monika und Elisabeth Mann befindet sich in der Monacensia im Hildebrandhaus.