Peripherie und Zentrum – München

Flash­back zum Pro­zess der Ideen­fin­dung: In Mün­chen set­ze ich 2018 mei­ne Recher­che zu den Stra­ßen­schil­dern der Manns fort. In den 2000ern wur­den dort eine Rei­he von Stra­ßen und Plät­zen nach den Kin­dern der Manns benannt. Das hängt wohl zusam­men mit der gestie­ge­nen Popu­la­ri­tät der Fami­lie nach der Ver­fil­mung ihrer Geschich­te durch Hein­rich Bre­lo­er 2001, mit ver­stärk­ter wis­sen­schaft­li­cher Beschäf­ti­gung, aber auch mit dem Bemü­hen der Stadt Mün­chen, ver­stärkt Frau­en bei der Benen­nung von Stra­ßen zu berück­sich­ti­gen und dadurch sicht­bar zu machen.

Ich fin­de immer­hin fünf Mit­glie­der der Fami­lie (mit Hein­rich wären es sechs): Tho­mas Mann in Bogen­hau­sen, Klaus und Eri­ka am Arnulfpark, Eli­sa­beth ganz im Osten und Golo ganz im Wes­ten. Die­se weit­ge­streck­te Ver­tei­lung bringt mich auf die Idee, die Mit­glie­der über die Schil­der zusam­men­zu­ho­len und von der Peri­phe­rie ins Zen­trum, an den Sal­va­tor­platz in der Alt­stadt zu bringen.

Was in Mün­chen wei­ter auf­fällt: Die Schil­der sind an Stra­ßen­leuch­ten ange­bracht, anders als in Ber­lin. Dar­aus ent­wi­ckelt sich die Idee, sie mit­zu­neh­men, als cha­rak­te­ris­ti­sche Bestand­tei­le des öffent­li­chen Raums, die jeweils unter­schied­lich aus­fal­len und, ähn­lich wie die Schil­der, viel über ihren Stand­ort erzäh­len.

Die Orte lie­gen weit aus­ein­an­der, wie man auf einem Stadt­plan sehen kann. Um sie zu mar­kie­ren und auch die Objekt­haf­tig­keit der Leuch­ten mit hin­ein­zu­neh­men, ste­cke ich Nägel mit brei­ten Köp­fen in einen Plan. Sie reflek­tie­ren das Licht, „leuch­ten“.

Thomas-Mann-Allee, Bogenhausen


In Mün­chen liegt die nach Tho­mas Mann benann­te Stra­ße im groß­bür­ger­li­chen Stadt­teil Bogen­hau­sen, geprägt durch Vil­len und groß­zü­gi­ge Ein­fa­mi­li­en­häu­ser. Auch die­ses Umfeld ist ein Unter­schied zu Ber­lin, wo Wohn­blocks und kom­mu­na­le Bau­ten vor­herr­schend waren. „Allee“ heißt es hier, im Gegen­satz zum pro­sa­ischen „Stra­ße“; sie ver­läuft par­al­lel zur Isar, ruhig über dem Fluss, von dem sie ein park­ähn­li­cher Grün­strei­fen trennt, des­sen Bäu­me sich über die Stra­ße wöl­ben. Auf der ande­ren Sei­te Gär­ten mit aus­la­den­den alten Bäu­men. Umbe­nannt wur­de die Föh­rin­ger Allee, 1956, bereits ein Jahr nach dem Tod Tho­mas Manns. Dies zeigt, dass man sich der Bedeu­tung Tho­mas Manns bewusst war.

Das Schild ist groß und breit, ver­mit­telt Soli­di­tät und Dau­er­haf­tig­keit: Die Schrift ist in Email­le auf­ge­bracht, Far­be als glas­ar­ti­ge Schicht auf­ge­schmol­zen – was eine har­te, glän­zen­de Ober­flä­che ergibt. Es ist von der Mit­te aus leicht gewölbt, wirkt dadurch plas­tisch – und funk­tio­nal läuft das Was­ser von die­ser gespann­ten Flä­che gut ab. Die Schrift ist von einer Kar­tu­sche umrahmt, womit His­to­risch-Baro­ckes anklingt.

Die Leuch­te, an der das Schild ange­bracht ist, strahlt eben­falls etwas Klas­sisch-Soli­des aus, mit der schlich­ten, kan­ti­gen Form, erin­nert an das Design der 1950er Jah­re und hat die schö­ne Typen-Bezeich­nung „Bava­ria“. Beim Besuch gefal­len mir die Spinn­we­ben zwi­schen Leuch­te und Schild.
Inter­es­sant ist das Schild dort auch, weil es in direk­tem Zusam­men­hang mit dem zen­tra­len Lebens­ort der Fami­lie steht: hier wohn­ten die Manns fast 20 Jah­re lang, hier schrieb Tho­mas Mann u.a. den Zau­ber­berg. 1913 lie­ßen sich Tho­mas und Katia eine Vil­la bau­en. Sie hat eine wech­sel­vol­le Geschich­te, vol­ler unter­schied­li­cher Nut­zun­gen, Zer­stö­run­gen, Rekon­struk­tio­nen: Sie wur­de im 2. Welt­krieg stark beschä­digt, abge­ris­sen, durch einen Bun­ga­low ersetzt. 2001 ließ der in Mün­chen gebo­re­ne Alex­an­der Dibe­l­i­us, Ban­ker bei Gold­man-Sachs, die Fas­sa­de rekon­stru­ie­ren, das Haus innen jedoch umbau­en. Der Inves­tor Tho­mas Manns erwarb die Vil­la schließ­lich 2015. Man kann sich vor­stel­len, dass dabei die Namens­ähn­lich­keit eine Rol­le gespielt hat – inso­fern passt die­ses Detail auch zum Denk­mal Stra­ßen Namen Leuch­ten und der Anzie­hungs­kraft von Namen. An der Mau­er der Vil­la erin­nert eine Tafel erin­nert an ihre Geschich­te – und gera­de ste­hen Lei­ter und Hoch­druck­rei­ni­ger vor ihr – sie wird offen­sicht­lich gesäu­bert, viel­leicht hat­te sich jemand durch die wei­ße Flä­che zum Hin­ter­las­sen eines Schrift­zugs her­aus­ge­for­dert gefühlt …

Erika und Klaus – an den Gleisen – Arnulfpark

Eri­ka und Klaus lie­gen ganz nach bei­ein­an­der, als Geschwis­ter­paar, in einem 2004 auf dem ehe­ma­li­gen Gelän­de der Deut­schen Bahn ange­leg­ten Neu­bau­ge­biet, dem Arnulfpark. Hier, ent­lang der Gleis­stre­cke, zwi­schen Hacker- und Don­ners­ber­ger­brü­cke und der Arnulf­stra­ße, war noch Platz, so dass die­ser Ort rela­tiv zen­tral liegt – auch wenn er durch sei­ne Lage nicht so wirkt und immer noch etwas von „unchar­ted ter­ri­to­ry“ hat. Viel­leicht passt die Nähe zu Glei­sen und Bahn­hö­fen nicht schlecht, waren die Geschwis­ter doch viel unter­wegs (wenn auch häu­fi­ger mit dem Auto). Hier sind die Nach­barn z.B. Lil­li Pal­mer, Mar­le­ne Diet­rich und Bern­hard Wicki. Eri­ka ist damit mit Schau­spie­lern ihrer Gene­ra­ti­on zusam­men­ge­bracht, gleich­zei­tig damit auf ihre „Rol­le“ auch fest­ge­legt, sie, die so vie­les war: Kaba­ret­tis­tin, Schrift­stel­le­rin, poli­ti­sche Akti­vis­tin, Her­aus­ge­be­rin der Schrif­ten ihres Vaters …
Die Leuch­ten sind funk­tio­nal-modern, ent­spre­chend der Bau­zeit, und so könn­te man auch hier einen Gene­ra­tio­nen­un­ter­schied zur Leuch­te des Vaters in Bogen­hau­sen ausmachen.

Elisabeth Mann Borgese – Baustelle – Riem


Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se war das jüngs­te Kind der Manns. Die 2004 nach ihr benann­te Stra­ße liegt in einem Bau­ge­biet in der Nähe des ehe­ma­li­gen Flug­ha­fens Riem, der heu­ti­gen Mes­se; ich fah­re mit dem Rad dort­hin, brau­che etwa 1 ½ Stun­den (so lan­ge wie in Rom zur Via Tho­mas Mann). Als ich das Schild foto­gra­fie­re, fra­gen Bau­ar­bei­ter miss­trau­isch, was ich da mache, in wes­sen Auf­trag, das Foto­gra­fie­ren der Bau­stel­le sei ver­bo­ten. Nur mit Mühe kann ich sie davon über­zeu­gen, dass es mir allein um die Schil­der geht … Aber das ist auch eine Erfah­rung, die zur Arbeit im öffent­li­chen Raum gehört: Man muss sich mit den Leu­ten vor Ort aus­ein­an­der­set­zen.
Dem Neu­bau­ge­biet ent­spricht das Design der Leuch­te, die noch etwas mim­i­ma­lis­ti­scher auf­tritt als die von Eri­ka und Klaus, mit Glas­zy­lin­der und auf­ge­setz­ter Reflektorscheibe. 

Auf den Schil­dern ist der Name „Mann“ stets prä­sent. Im Fall von Eli­sa­beth domi­niert die­ser Fami­li­en­na­me gegen­über den Vor­na­men, der abge­kürzt wird: „Elis. Mann – Bor­ge­se“; Das hat natür­lich tech­nisch-funk­tio­na­le Grün­de, da der Name, voll aus­ge­schrie­ben, zu lang wäre und mit der maxi­ma­len Zei­chen­zahl für Stra­ßen­be­nen­nungs­ta­feln (so die offi­zi­el­le Bezeich­nung) in Kon­flikt käme.

Dabei ist gera­de Eli­sa­beth sehr eigen­stän­dig, als Anwäl­tin der Rech­te der Mee­re und Mit­glied des Club of Rome. Eli­sa­beth, ist hier mit der Schrift­stel­le­rin und Nobel­preis­trä­ge­rin Sel­ma Lager­löf zusam­men­ge­spannt – obwohl sie einen nicht-lite­ra­ri­schen Beruf hat­te – in der Fami­lie Mann die Aus­nah­me. Geschrie­ben hat sie natür­lich trotzdem!

Golo in Freiham – Neubau, Westen und Bundesrepublik


Die Stra­ße, die nach Golo benannt ist, liegt ganz in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung, schon außer­halb des eigent­li­chen Stadt­ge­biets, im Wes­ten, in Frei­ham. Dort ent­steht ein kom­plett neu­es Vier­tel. So neu, dass es bei mei­nen Besu­chen 2018/19 zwar schon pro­vi­so­ri­sche Mas­ten aus Holz gab, aber der Stra­ßen­na­me noch nicht ange­bracht war – wur­de der Beschluss der Benen­nung doch erst kurz vor­her gefasst, 2017. Inso­fern lau­fen die Erstel­lung des Denk­mals und der Stra­ße par­al­lel. Die­sen Moment beschlie­ße ich in das Denk­mal zu über­neh­men, und auch dort einen Holz­mast zu ver­wen­den, was das Pro­vi­so­ri­sche ein­fängt und die Viel­falt an Mate­ria­li­en und Kon­struk­tio­nen erhöht. Auch das Schild fügt mit „Weg“ den Orts­be­zeich­nung eine neue Vari­an­te hin­zu. „Weg“ deu­tet das Schma­le­re, weni­ger Befes­tig­te, eher zu Fuß Began­ge­ne­ne als Befah­re­ne an. Asso­zia­tiv passt das zum lei­den­schaft­li­chen Wan­de­rer.
Golo ist hier per Stra­ßen­na­men mit Per­sön­lich­kei­ten des Nach­kriegs­zeit in Ver­bin­dung gebracht, vor allem der deut­schen, in sei­ner Rol­le als His­to­ri­ker, Publi­zist und Kom­men­ta­tor des Zeit­ge­sche­hens: Mit Ellis Kaut, Hans Cla­rin, Erich Käst­ner oder Hel­mut Schmidt, des­sen Name schon auf einem der Schil­der zu lesen ist. Die Lage im Wes­ten (der Repu­blik) passt dazu.
Das Neu­bau­vier­tel wird aber eher fer­tig sein als das Denk­mal – soviel zeich­net sich 2024 ab – das dadurch sei­ner­seits eine Situa­ti­on festhält.

Gewichtige Informationen – Erläuterungstafeln zu den Manns

Als Ergän­zun­gen zu den Stra­ßen­be­nen­nungs­schil­dern aus Mün­chen sind Tafeln fer­tig gewor­den, die Infor­ma­tio­nen zu den Mit­glie­dern der Fami­lie lie­fern und unter­halb der Schil­der ange­bracht wer­den. Zusatz­in­for­ma­tio­nen sind somit inte­gra­ler Bestand­teil des Denk­mals.
Die Tex­te lie­fern knap­pe Bio­gra­phien zu Tho­mas, Katia, Klaus, Eri­ka, Golo Mann und Eli­sa­beth Mann. Sie ent­stan­den in Zusam­men­ar­beit mit dem Kul­tur­re­fe­rat der Stadt Mün­chen, Abtei­lung Public Histo­ry (ehe­mals Insti­tut für Stadt­ge­schich­te und Erin­ne­rungs­kul­tur). Die tech­ni­sche Rea­li­sie­rung über­nahm das Bau­re­fe­rat München. 

Bis­lang gab es die­se Schil­der nur für Tho­mas, Klaus und Eri­ka Mann. Inso­fern lag es für mich nahe, alle Münch­ner Stra­ßen­na­men mit sol­chen Ergän­zungs­schil­dern zu ver­se­hen und um sol­che für Katia, Golo und Eli­sa­beth Mann zu ergänzen. 

Die Schil­der sind aus email­lier­tem Metall und daher im Ver­gleich zu ihrer Grö­ße (15 x 45 cm) ziem­lich schwer. Anlaß, die Schil­der auf eine Per­so­nen­waa­ge zu legen – und das Gewicht der Namen und Infor­ma­tio­nen zu testen.

Halifax – Elisabeth Mann-Borgese, Land und Meer

Hali­fax – ich hat­te zunächst gezö­gert, dort­hin zu rei­sen, an die West­küs­te Kana­das, nach Neu­schott­land, von New York auf dem Land­weg etwa 1400 km ent­fernt. Dann aber, ein­mal auf dem nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent, scheint es eine Gele­gen­heit, das Umfeld zu erkun­den, in dem Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se, Tho­mas Manns jüngs­te Toch­ter (1918–2002, von Insi­dern EMB abge­kürzt), über 25 Jah­re gelebt hat. 

Karo­li­na Kühn vom Lite­ra­tur­haus Mün­chen, die 2013 eine Aus­stel­lung zu EMB kura­tier­te, nennt Kon­takt­per­so­nen in Hali­fax und bestärkt mich in der Rei­se­ab­sicht – bereits die Land­schaft dort sei es wert! 

Wel­ches Ver­kehrs­mit­tel ist ange­mes­sen? EMB, lei­den­schaft­li­che Auto­fah­re­rin, fuhr die Tour in den Nor­den das ers­te Mal in einem Rutsch von 16 Stun­den. Spä­ter nutz­te sie aber auch den klei­nen Flug­ha­fen von Hali­fax aus­gie­big. Ich beschlie­ße, hin zu flie­gen, zurück nach New York auf dem Land­weg zu rei­sen. Von oben sieht Nova Sco­tia sehr viel­ver­pre­chend aus.

Ich erkun­de zunächst die Gegend um Hali­fax, über­nach­te auf einer Halb­in­sel mit dem schö­nen Namen „Dead Mans Island“, zie­he an Buch­ten ent­lang, durch Wald, Gebüsch an Seen vor­bei, über blank­ge­scheu­er­te Gra­nit­flä­chen. Nach Wes­ten sind noch die Hoch­häu­ser der Stadt zu sehen. Auf der ande­ren Sei­te in der Fer­ne das Meer. 

Die Stra­ße, auf der ich nach einem Abste­cher in die fast men­schen­lee­re Umge­bung zwi­schen Stadt und Küs­te als ers­tes sto­ße – Prince­ton Road. Was für ein Zufall!

Von Prince­ton nach Hali­fax: So läßt sich ein Teil des Weges von EMB beschrei­ben: In Prince­ton kommt sie mit den Ideen einer Welt­re­gie­rung in Berüh­rung, mit poli­tisch enga­gier­ten Emi­gran­ten wie ihrem zukünf­ti­gen Mann Giu­sep­pe Anto­nio Bor­ge­se, die unter dem Ein­druck von NS-Regime und Faschis­mus z.B. die Kon­fe­renz „City of Man“ 1940 ver­an­stal­ten, an der auch Tho­mas Mann mit­wirkt, eine Welt­ver­fas­sung ent­wer­fen. Das Meer, zu dem Eli­sa­beth schon seit der Kind­heit eine enge Bezie­hung hat­te – sie­he die Auf­ent­hal­te an der Ost­see auf Nid­den – ist ihr das Gebiet, um die­se idea­lis­ti­schen Vor­stel­lun­gen umzu­set­zen. Sie setzt sich ein für Nach­hal­tig­keit und inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit, etwa im Club of Rome – als ein­zig weib­li­ches Mit­lied, ihrer Zeit in mehr­fa­cher Hin­sicht vor­aus. 1972 grün­det sie das Inter­na­tio­nal Oce­an Insti­tut (IOI). Fach­kennt­nis­se eig­net sich die stu­dier­te Musi­ke­rin nach Inter­es­se und Bedarf an – dar­in ihrem Vater nicht unähn­lich. Im Ver­lauf ihrer unkon­ven­tio­nel­len, heu­te so kaum mehr mög­li­chen Kar­rie­re kommt sie 1978 an die Del­housie-Uni­ver­si­tät in Hali­fax, immer­hin mit 60 Jah­ren, als Pro­fes­so­rin für inter­na­tio­na­les Seerecht. 

Zurück in der Stadt besu­che ich das IOI, in einem ver­gleichs­wei­se beschei­de­nen Holz­haus in der Nähe der Uni­ver­si­tät. Die Atmo­sphä­re ist fami­li­är. Made­lei­ne Cof­fen-Smout, Pro­gramm­lei­te­rin, Mike But­ler, Direk­tor, und Hugh Wil­liam­son, ehe­ma­li­ger Assis­tent EMBs, machen mich mit der Akti­vi­tät des IOI bekannt: es hat wenig direk­ten poli­ti­schen Ein­fluss, stellt aber ein umfang­rei­ches Netz­werk dar. Schwer­punkt ist das inter­na­tio­na­le Aus­bil­dungs­pro­gramm in poli­ti­schen Wis­sen­schaf­ten, inter­na­tio­na­lem Recht, Wirt­schaft und Manage­ment, Mee­res­kun­de. Die Kur­se haben Modell­cha­rak­ter, vie­le der Teil­neh­mer sind spä­ter an Schalt­stel­len tätig und ver­grö­ßern so das Netz­werk, das auf einen ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgang mit den Resour­cen der Mee­re, auf ein glo­ba­les öko­lo­gi­sches und öko­no­mi­sche Bewusst­sein abzielt. 

Made­lei­ne hat Schau­ta­feln, Bil­der und Publi­ka­tio­nen zusam­men­ge­stellt, die mit EMB in Zusam­men­hang ste­hen. Dabei fällt auf, dass sie auf den meis­ten, beson­ders den frü­hen Fotos sehr männ­lich aus­sieht, laut eige­ner Aus­sa­ge aus­se­hen woll­te, mit kur­zen Haa­ren und erns­tem, extra fürs Foto auf­ge­setz­tem Blick. Und in der Tat, mit der weib­li­chen Geschlech­ter­rol­le hat­te EMB lan­ge zu kämp­fen, woll­te als Mann erschei­nen, sich auch leis­tungs­mä­ßig bewei­sen, etwa durch pia­nis­ti­sches Kön­nen, nicht zuletzt ihrem Vater Tho­mas Mann gegen­über. Das inter­es­siert mich beson­ders, da der Fami­li­en­na­me ja auch als Geschlechts­be­zeich­nung gele­sen wer­den kann und die Aus­ein­an­der­set­zung damit und mit ent­spre­chen­den bür­ger­li­chen Erwar­tun­gen in der Fami­lie eine Art Leit­mo­tiv dar­stellt, auch bei Eri­ka und Kat­ja. Hier wer­den Gen­der­gren­zen über­schrit­ten einer­seits phä­no­ty­pisch, im Sinn von andro­gy­nem Aus­se­hen, ande­rer­seits auch im Sinn von Eman­zi­pa­ti­on. Auch schwingt der Leis­tungs­ge­dan­ke mit – lei­tet der Name ‚Mann’ sich doch vom Über­na­men für einen tüch­ti­gen Men­schen ab.

Bil­der: Cover Hol­ger Pils/Karolina Kühn (Hrsg.): Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se und das Dra­ma der Mee­re, Ber­lin 2012.

Hugh Wil­liam­son erzählt von EMB Tätig­keit und Per­sön­lich­keit: Sie ver­folg­te ihre Zie­le aus­dau­ernd und selbst­be­wusst, rief auch, wenn es etwa um die Rati­fi­zie­rung von inter­na­tio­na­len Abkom­men ging, beim ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten an. Inwie­fern spiel­te ihr pro­mi­nen­ter Fami­li­en­na­me eine Rol­le? EMB scheu­te sich nicht, ihn ein­zu­set­zen („Mann? That is an inte­res­t­ing name“), wenn es dar­um ging, Zugang zu bekom­men und Mit­strei­ter für die Sache der Mee­re zu gewinnen.

Eine Stra­ße ist nach EMB in Hali­fax und auch sonst welt­weit nir­gends benannt – außer in Mün­chen, der Stadt, in der sie gebo­ren und auf­ge­wach­sen ist. Es gibt aber doch einen wei­te­ren Namens­trä­ger, ein Fort­be­we­gungs- und Trans­port­mit­tel, das in dem Ele­ment unter­wegs ist, für das sich EMB ena­gier­te: ein Schiff.

Ähn­lich­keit mit dem Aus­blick von einem Schiff hat­te der Blick aus ihrem häus­li­chen Arbeits­zim­mer vom Schreib­tisch nach drau­ßen aufs Meer, wobei das Gelän­der vor dem Fens­ter wie eine Reling wirkt. Den Gegen­stand ihrer Bemü­hun­gen vor Augen und Ohren zu haben, war ihr wich­tig, neben Unge­stört­heit und Konzentration. 

Foto: Peter Sib­bald, aus: Hol­ger Pils/Karolina Kühn (Hrsg.): Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se und das Dra­ma der Mee­re, Ber­lin 2012, S. 184.

Am Nach­mit­tag fährt mich ein wei­te­rer freund­li­cher Mit­ar­bei­ter des IOI, Dirk Wer­le, zu EMBs ehe­ma­li­gem Haus in Sam­bro Head, ent­lang der Küs­te. Man fährt etwa eine hal­be Stun­de, durch die dünn­be­sie­del­te Gegend, die ich zuvor erkun­det hat­te. Freun­de und Geschwis­ter (etwa Golo) waren damals nicht unbe­dingt begeis­tert, dass sie sich so weit­ab vom Schuss nie­der­ge­las­sen hat­te, dort, wo wie jetzt, im Herbst bereits der Wind vom Atlan­tik her pfeift und im Win­ter schon mal die Lei­tun­gen ein­frie­ren. Aber EMB woll­te es so. 

Foto: Dirk Werle

Das Haus wirkt beschei­den, aber schüt­zend und gemüt­lich, mit zum Boden gezo­ge­nen Dächern, einer „A“-Konstruktion, jetzt etwas ver­wil­dert und ein­ge­wach­sen; EMB  starb ja bereits 2002. Die Haus­num­mer ist auf eine Holz­lat­te geschrie­ben, mit auf­ge­schraub­ter Leuch­te – von der aller­dings nur noch eine Fas­sung vor­han­den ist. Auch die Stra­ßen­leuch­te gleich gegen­über ist denk­bar ein­fach: ein Holz­mast aus einem Baum­stamm, der gleich­zei­tig als Trä­ger von Strom- und Tele­fon­dräh­ten dient, dar­an ein Ausleger. 

Der Kon­trast zu den Vil­len ihres Vaters ist ekla­tant, gera­de nach­dem ich kurz vor­her das Haus in Prince­ton gese­hen hat­te. Aber wen hät­te Eli­sa­beth beein­dru­cken, was hät­te sie reprä­sen­tie­ren sollen? 

Zwei Zita­te zu/von EMB sind mir noch im Gedächt­nis: „She was an ice­berg“ (Hugh Wil­liam­son), aner­ken­nend gemeint: unbe­irr­bar, ziel­stre­big unter­wegs, mit nur einem Bruch­teil des Volu­mens sicht­bar. Und: „It’s easier to get for­gi­ve­ness than per­mis­si­on“, das im Bezug auf ihre vie­len Pro­jek­te und Ver­su­che, auf Leu­te ein­zu­wir­ken und das zu bekom­men, was sie woll­te. Ich muss an das Denk­mal­pro­jekt den­ken, wo es ja auch viel um Geneh­mi­gun­gen gehen wird – da könn­te ich mir eine Schei­be abschneiden …

Wettbewerb

Am 10.4.2019 hat der Stadt­rat Mün­chen beschlos­sen, den Ent­wurf von Albert Coers für ein Denk­mal für die Fami­lie Mann am Sal­va­tor­platz zu rea­li­sie­ren. Coers‘ Kon­zept mit dem Titel „Stra­ßen Namen Leuch­ten“ war von einer Fach­ju­ry im Rah­men eines Wett­be­werbs für Kunst im öffent­li­chen Raum aus­ge­wählt wor­den, zu dem das Kul­tur­re­fe­rat  2017 acht inter­na­tio­na­le Künst­le­rin­nen und Künst­ler ein­ge­la­den hat­te (Clegg & Gutt­mann, Albert Coers, Anni­ka Kahrs, Michae­la Mei­se, Michae­la Melián, Olaf Nico­lai, Timm Ulrichs, Palo­ma Var­ga Weisz).
Mit der Fer­tig­stel­lung des Denk­mals ist im Frühjahr/Sommer 2024 zu rechnen.

Die Initia­ti­ve, Tho­mas Mann ein Denk­mal zu set­zen, geht auf einen Stadt­rats­an­trag bereits von 2015 zurück: „Der Münch­ner Bür­ger und bedeu­ten­de Autor Tho­mas Mann ver­dient einen sicht­ba­ren Ehren­platz in der Stadt, die er zu sei­nem Lebensmit­telpunkt gemacht hat. Hier hat er lan­ge gelebt, gehei­ra­tet, ein Haus gebaut. Hier woll­te er bleiben.“
Der Fokus hat sich dabei erwei­tert: „Neben der his­to­ri­schen Bedeu­tung von Tho­mas Mann für Mün­chen wur­de deut­lich, dass der the­ma­ti­sche Schwer­punkt nicht nur auf Tho­mas Mann beschränkt sein darf. Eine künst­le­ri­sche Wür­di­gung des Nobel­preis­trä­gers ohne sei­nen fami­liä­ren Kon­text wür­de vie­le inter­es­san­te Facet­ten des Wir­kens der „Manns“ aus­klam­mern. Bei einer wei­te­ren per­ma­nen­ten künst­le­ri­schen Auf­wer­tung des öffent­li­chen Raums ist nun die lite­ra­ri­sche Bedeu­tung der gesam­ten Fami­lie Mann zu berück­sich­ti­gen.“ (Text nach der Ausschreibung).

Family man
Moni­ka, Micha­el, Golo, Katia, Tho­mas, Eli­sa­beth, Eri­ka, Klaus Mann, 1927, Mona­cen­sia Archiv


Ort

Der Stand­ort für das Denk­mal, der Sal­va­tor­platz, befin­det sich in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zum Lite­ra­tur­haus und damit an einem der zen­tra­len Orte der Beschäf­ti­gung mit lite­ra­ri­schem Schaf­fen in Mün­chen. Er liegt in der Alt­stadt, zwi­schen dem Lite­ra­tur­haus, den Sal­vat­or­ga­ra­gen, einem denk­mal­ge­schütz­tem Bau aus den 1960er Jah­ren, und der Sal­va­tor­kir­che im Südosten.

Die Manns und München

Die Idee, Tho­mas Mann und sei­ner Fami­lie ein Denk­mal an zen­tra­ler Stel­le zu errich­ten, hat als Hin­ter­grund die gro­ße Bedeu­tung der Stadt für die Fami­lie, aber auch das ambi­va­len­te Ver­hält­nis zu ihr – sowie die Tat­sa­che, dass die Fami­lie in der sicht­ba­ren Gedächt­nis­kul­tur bis­her nicht die ihr zukom­men­de Prä­senz hat.

Tho­mas Mann, 1875 in Lübeck gebo­ren, kam 1894 als jun­ger Mann nach Mün­chen und leb­te dort über 30 Jah­re. Hier lern­te er sei­ne Frau Katia Pringsheim ken­nen, hier kamen die Kin­der Eri­ka und Klaus, Golo und Moni­ka, Eli­sa­beth und Micha­el zur Welt. Hier ent­stan­den die meis­ten sei­ner lite­ra­ri­schen Werke.

Doch nach der Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­lis­ten 1933 emi­grier­te die Fami­lie Mann, leb­te fast 20 Jah­re im Exil, zuerst in Euro­pa, dann in den USA. Die Vil­la der Fami­lie in der Poschin­gen­stra­ße in Mün­chen wur­de beschlag­nahmt, Tho­mas Mann enteignet.
1952 kehr­te er end­gül­tig nach Euro­pa zurück. Die Wahl fiel auf die Schweiz. Eine Rück­kehr nach Mün­chen war für ihn aus­ge­schlos­sen. Sein ehe­ma­li­ger Wohn­sitz in Mün­chen wur­de wegen der Gefahr eines Zusam­men­bruchs mit sei­ner per­sön­li­chen Zustim­mung durch die Stadt Mün­chen abge­ris­sen. Tho­mas Manns Nach­lass ging an die Eid­ge­nös­si­sche Tech­ni­sche Hoch­schu­le in Zürich. Das umfang­rei­che lite­ra­ri­sche Erbe sei­ner Kin­der Klaus, Eri­ka, Micha­el, Moni­ka und Eli­sa­beth Mann befin­det sich in der Mona­cen­sia im Hildebrandhaus.