Peripherie und Zentrum – München

Flash­back zum Pro­zess der Ideen­fin­dung: In Mün­chen set­ze ich 2018 mei­ne Recher­che zu den Stra­ßen­schil­dern der Manns fort. In den 2000ern wur­den dort eine Rei­he von Stra­ßen und Plät­zen nach den Kin­dern der Manns benannt. Das hängt wohl zusam­men mit der gestie­ge­nen Popu­la­ri­tät der Fami­lie nach der Ver­fil­mung ihrer Geschich­te durch Hein­rich Bre­lo­er 2001, mit ver­stärk­ter wis­sen­schaft­li­cher Beschäf­ti­gung, aber auch mit dem Bemü­hen der Stadt Mün­chen, ver­stärkt Frau­en bei der Benen­nung von Stra­ßen zu berück­sich­ti­gen und dadurch sicht­bar zu machen.

Ich fin­de immer­hin fünf Mit­glie­der der Fami­lie (mit Hein­rich wären es sechs): Tho­mas Mann in Bogen­hau­sen, Klaus und Eri­ka am Arnulfpark, Eli­sa­beth ganz im Osten und Golo ganz im Wes­ten. Die­se weit­ge­streck­te Ver­tei­lung bringt mich auf die Idee, die Mit­glie­der über die Schil­der zusam­men­zu­ho­len und von der Peri­phe­rie ins Zen­trum, an den Sal­va­tor­platz in der Alt­stadt zu bringen.

Was in Mün­chen wei­ter auf­fällt: Die Schil­der sind an Stra­ßen­leuch­ten ange­bracht, anders als in Ber­lin. Dar­aus ent­wi­ckelt sich die Idee, sie mit­zu­neh­men, als cha­rak­te­ris­ti­sche Bestand­tei­le des öffent­li­chen Raums, die jeweils unter­schied­lich aus­fal­len und, ähn­lich wie die Schil­der, viel über ihren Stand­ort erzäh­len.

Die Orte lie­gen weit aus­ein­an­der, wie man auf einem Stadt­plan sehen kann. Um sie zu mar­kie­ren und auch die Objekt­haf­tig­keit der Leuch­ten mit hin­ein­zu­neh­men, ste­cke ich Nägel mit brei­ten Köp­fen in einen Plan. Sie reflek­tie­ren das Licht, „leuch­ten“.

Thomas-Mann-Allee, Bogenhausen


In Mün­chen liegt die nach Tho­mas Mann benann­te Stra­ße im groß­bür­ger­li­chen Stadt­teil Bogen­hau­sen, geprägt durch Vil­len und groß­zü­gi­ge Ein­fa­mi­li­en­häu­ser. Auch die­ses Umfeld ist ein Unter­schied zu Ber­lin, wo Wohn­blocks und kom­mu­na­le Bau­ten vor­herr­schend waren. „Allee“ heißt es hier, im Gegen­satz zum pro­sa­ischen „Stra­ße“; sie ver­läuft par­al­lel zur Isar, ruhig über dem Fluss, von dem sie ein park­ähn­li­cher Grün­strei­fen trennt, des­sen Bäu­me sich über die Stra­ße wöl­ben. Auf der ande­ren Sei­te Gär­ten mit aus­la­den­den alten Bäu­men. Umbe­nannt wur­de die Föh­rin­ger Allee, 1956, bereits ein Jahr nach dem Tod Tho­mas Manns. Dies zeigt, dass man sich der Bedeu­tung Tho­mas Manns bewusst war.

Das Schild ist groß und breit, ver­mit­telt Soli­di­tät und Dau­er­haf­tig­keit: Die Schrift ist in Email­le auf­ge­bracht, Far­be als glas­ar­ti­ge Schicht auf­ge­schmol­zen – was eine har­te, glän­zen­de Ober­flä­che ergibt. Es ist von der Mit­te aus leicht gewölbt, wirkt dadurch plas­tisch – und funk­tio­nal läuft das Was­ser von die­ser gespann­ten Flä­che gut ab. Die Schrift ist von einer Kar­tu­sche umrahmt, womit His­to­risch-Baro­ckes anklingt.

Die Leuch­te, an der das Schild ange­bracht ist, strahlt eben­falls etwas Klas­sisch-Soli­des aus, mit der schlich­ten, kan­ti­gen Form, erin­nert an das Design der 1950er Jah­re und hat die schö­ne Typen-Bezeich­nung „Bava­ria“. Beim Besuch gefal­len mir die Spinn­we­ben zwi­schen Leuch­te und Schild.
Inter­es­sant ist das Schild dort auch, weil es in direk­tem Zusam­men­hang mit dem zen­tra­len Lebens­ort der Fami­lie steht: hier wohn­ten die Manns fast 20 Jah­re lang, hier schrieb Tho­mas Mann u.a. den Zau­ber­berg. 1913 lie­ßen sich Tho­mas und Katia eine Vil­la bau­en. Sie hat eine wech­sel­vol­le Geschich­te, vol­ler unter­schied­li­cher Nut­zun­gen, Zer­stö­run­gen, Rekon­struk­tio­nen: Sie wur­de im 2. Welt­krieg stark beschä­digt, abge­ris­sen, durch einen Bun­ga­low ersetzt. 2001 ließ der in Mün­chen gebo­re­ne Alex­an­der Dibe­l­i­us, Ban­ker bei Gold­man-Sachs, die Fas­sa­de rekon­stru­ie­ren, das Haus innen jedoch umbau­en. Der Inves­tor Tho­mas Manns erwarb die Vil­la schließ­lich 2015. Man kann sich vor­stel­len, dass dabei die Namens­ähn­lich­keit eine Rol­le gespielt hat – inso­fern passt die­ses Detail auch zum Denk­mal Stra­ßen Namen Leuch­ten und der Anzie­hungs­kraft von Namen. An der Mau­er der Vil­la erin­nert eine Tafel erin­nert an ihre Geschich­te – und gera­de ste­hen Lei­ter und Hoch­druck­rei­ni­ger vor ihr – sie wird offen­sicht­lich gesäu­bert, viel­leicht hat­te sich jemand durch die wei­ße Flä­che zum Hin­ter­las­sen eines Schrift­zugs her­aus­ge­for­dert gefühlt …

Erika und Klaus – an den Gleisen – Arnulfpark

Eri­ka und Klaus lie­gen ganz nach bei­ein­an­der, als Geschwis­ter­paar, in einem 2004 auf dem ehe­ma­li­gen Gelän­de der Deut­schen Bahn ange­leg­ten Neu­bau­ge­biet, dem Arnulfpark. Hier, ent­lang der Gleis­stre­cke, zwi­schen Hacker- und Don­ners­ber­ger­brü­cke und der Arnulf­stra­ße, war noch Platz, so dass die­ser Ort rela­tiv zen­tral liegt – auch wenn er durch sei­ne Lage nicht so wirkt und immer noch etwas von „unchar­ted ter­ri­to­ry“ hat. Viel­leicht passt die Nähe zu Glei­sen und Bahn­hö­fen nicht schlecht, waren die Geschwis­ter doch viel unter­wegs (wenn auch häu­fi­ger mit dem Auto). Hier sind die Nach­barn z.B. Lil­li Pal­mer, Mar­le­ne Diet­rich und Bern­hard Wicki. Eri­ka ist damit mit Schau­spie­lern ihrer Gene­ra­ti­on zusam­men­ge­bracht, gleich­zei­tig damit auf ihre „Rol­le“ auch fest­ge­legt, sie, die so vie­les war: Kaba­ret­tis­tin, Schrift­stel­le­rin, poli­ti­sche Akti­vis­tin, Her­aus­ge­be­rin der Schrif­ten ihres Vaters …
Die Leuch­ten sind funk­tio­nal-modern, ent­spre­chend der Bau­zeit, und so könn­te man auch hier einen Gene­ra­tio­nen­un­ter­schied zur Leuch­te des Vaters in Bogen­hau­sen ausmachen.

Elisabeth Mann Borgese – Baustelle – Riem


Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se war das jüngs­te Kind der Manns. Die 2004 nach ihr benann­te Stra­ße liegt in einem Bau­ge­biet in der Nähe des ehe­ma­li­gen Flug­ha­fens Riem, der heu­ti­gen Mes­se; ich fah­re mit dem Rad dort­hin, brau­che etwa 1 ½ Stun­den (so lan­ge wie in Rom zur Via Tho­mas Mann). Als ich das Schild foto­gra­fie­re, fra­gen Bau­ar­bei­ter miss­trau­isch, was ich da mache, in wes­sen Auf­trag, das Foto­gra­fie­ren der Bau­stel­le sei ver­bo­ten. Nur mit Mühe kann ich sie davon über­zeu­gen, dass es mir allein um die Schil­der geht … Aber das ist auch eine Erfah­rung, die zur Arbeit im öffent­li­chen Raum gehört: Man muss sich mit den Leu­ten vor Ort aus­ein­an­der­set­zen.
Dem Neu­bau­ge­biet ent­spricht das Design der Leuch­te, die noch etwas mim­i­ma­lis­ti­scher auf­tritt als die von Eri­ka und Klaus, mit Glas­zy­lin­der und auf­ge­setz­ter Reflektorscheibe. 

Auf den Schil­dern ist der Name „Mann“ stets prä­sent. Im Fall von Eli­sa­beth domi­niert die­ser Fami­li­en­na­me gegen­über den Vor­na­men, der abge­kürzt wird: „Elis. Mann – Bor­ge­se“; Das hat natür­lich tech­nisch-funk­tio­na­le Grün­de, da der Name, voll aus­ge­schrie­ben, zu lang wäre und mit der maxi­ma­len Zei­chen­zahl für Stra­ßen­be­nen­nungs­ta­feln (so die offi­zi­el­le Bezeich­nung) in Kon­flikt käme.

Dabei ist gera­de Eli­sa­beth sehr eigen­stän­dig, als Anwäl­tin der Rech­te der Mee­re und Mit­glied des Club of Rome. Eli­sa­beth, ist hier mit der Schrift­stel­le­rin und Nobel­preis­trä­ge­rin Sel­ma Lager­löf zusam­men­ge­spannt – obwohl sie einen nicht-lite­ra­ri­schen Beruf hat­te – in der Fami­lie Mann die Aus­nah­me. Geschrie­ben hat sie natür­lich trotzdem!

Golo in Freiham – Neubau, Westen und Bundesrepublik


Die Stra­ße, die nach Golo benannt ist, liegt ganz in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung, schon außer­halb des eigent­li­chen Stadt­ge­biets, im Wes­ten, in Frei­ham. Dort ent­steht ein kom­plett neu­es Vier­tel. So neu, dass es bei mei­nen Besu­chen 2018/19 zwar schon pro­vi­so­ri­sche Mas­ten aus Holz gab, aber der Stra­ßen­na­me noch nicht ange­bracht war – wur­de der Beschluss der Benen­nung doch erst kurz vor­her gefasst, 2017. Inso­fern lau­fen die Erstel­lung des Denk­mals und der Stra­ße par­al­lel. Die­sen Moment beschlie­ße ich in das Denk­mal zu über­neh­men, und auch dort einen Holz­mast zu ver­wen­den, was das Pro­vi­so­ri­sche ein­fängt und die Viel­falt an Mate­ria­li­en und Kon­struk­tio­nen erhöht. Auch das Schild fügt mit „Weg“ den Orts­be­zeich­nung eine neue Vari­an­te hin­zu. „Weg“ deu­tet das Schma­le­re, weni­ger Befes­tig­te, eher zu Fuß Began­ge­ne­ne als Befah­re­ne an. Asso­zia­tiv passt das zum lei­den­schaft­li­chen Wan­de­rer.
Golo ist hier per Stra­ßen­na­men mit Per­sön­lich­kei­ten des Nach­kriegs­zeit in Ver­bin­dung gebracht, vor allem der deut­schen, in sei­ner Rol­le als His­to­ri­ker, Publi­zist und Kom­men­ta­tor des Zeit­ge­sche­hens: Mit Ellis Kaut, Hans Cla­rin, Erich Käst­ner oder Hel­mut Schmidt, des­sen Name schon auf einem der Schil­der zu lesen ist. Die Lage im Wes­ten (der Repu­blik) passt dazu.
Das Neu­bau­vier­tel wird aber eher fer­tig sein als das Denk­mal – soviel zeich­net sich 2024 ab – das dadurch sei­ner­seits eine Situa­ti­on festhält.