1941 siedelten Katia und Thomas Mann von Princeton an die Westküste, nach Los Angeles über – ausschlaggebend ist die Aussicht, in einer selbstgebauten, nicht mehr gemieteten Villa wohnen zu können, damit den Emigrantenstatus hinter sich zu lassen und in den USA Wurzeln zu schlagen. Dazu kommen Landschaft und Wetter: „der Himmel ist hier fast das ganze Jahr heiter und sendet ein unvergleichliches, alles verschönendes Licht“ (TM an Hermann Hesse).
Mich hatte man dagegen gewarnt: „You may give going to LA some serious thought. Things there are pretty tough.“ So zum Beispiel ein Fahrer, mit dem ich an der Ostküste, in Maine unterwegs war.
Und auch Georg Blochmann, Direktor des Goethe-Instituts in New York, zeichnet ein düsteres Bild: LA sei ein Symbol für das Scheitern des American Dream, mit extremer sozialer Segregation und der Dysfunktionalität öffentlicher Infrastruktur, unter anderem des Nahverkehrs.
Es wird beim Aufenthalt um Kontraste gehen. Im Sozialen, zwischen öffentlich und privat, dem Licht der Metropole und ihren Schattenseiten.
Insofern interessiert mich der öffentliche Nahverkehr, und wie sich damit in dieser vom Auto dominierten Stadt der Weg zum ehemaligen Haus von Thomas Manns bewältigen lässt – auch wenn der in LA nie mit dem Bus, sondern immer im eigenen Wagen gefahren ist bzw. wurde (er hatte keinen Führerschein, im Gegensatz zu Katia und seinen Kindern, von denen besonders Erika und Elisabeth leidenschaftliche Autofahrer waren, wohl ein Terrain der weiblichen Manns).
Es dauert alles recht lang, funktioniert aber insgesamt überraschend gut. Wieder werden es die auch für andere Städte schon typischen anderthalb Stunden, um vom Stadtzentrum zum mit den Manns verbundenen Ziel zu kommen. Es geht nach Pacific Palisades, am hügeligen Westrand der Metropole. Diesmal liegen an der Peripherie keine Problemviertel oder Pendlervorstädte, sondern Villen. Mit dem Bus Richtung Santa Monica und Beverly Hills, dann in Westwood ein weiterer;
An der Haltestelle Sunset/Capri aussteigen, den San Remo Drive hinauf. Schon die Bezeichnung „Drive“ deutet darauf hin, dass man sich hier normalerweise (auto)fahrend fortbewegt. Üppige Gärten, Palmen, es wird gekehrt, gemäht, meist von Hispanics oder Schwarzen. Nach mehreren Wendungen eine Stelle, die mir aus meinen virtuellen Rundgängen per Google Earth bekannt vorkommt, wo hohe Hecken und Bäume eine mauerartige Ecke bilden, hinter der dornröschenhaft das Haus liegt. Hier scheint sich wieder das Bedürfnis nach Privatheit zu manifestieren; und die Zeit hat das Übrige getan.
Eine Leuchte ist im Gebüsch eingewachsen. Eine weitere steht der Einfahrt von Nr. 1550 gegenüber; an ihr die Straßennamen „Monaco Drive“ und „San Remo Drive“, was das Mittelmeer, die mondänen Küstenstädten der Riviera (das Viertel heißt auch so) aufruft, an deren Flair Los Angeles gerne teilhat. Doch könnte man (italienisch) „Monaco“ auch mit „München“ assoziieren, und wäre damit bei Thomas Manns früherem Wohnsitz.
Wie in New York ist interessant, wer für die Leuchten zuständig ist und Informationen dazu geben kann. Es ist das städtische Bureau of Lighting, dem ich einen Besuch abgestattet habe. Doch nehmen in dieser „residential neighborhood“ auch die Anwohner selbst Anteil. Bob Gale, Autor des Drehbuchs und Co-Produzent von „Zurück in die Zukunft“ wohnt in der Gegend (übrigens auch Armin-Mueller-Stahl, der Thomas Mann in der Serie „Die Manns“ verkörperte), ist Präsident des hiesigen Hausbesitzervereins und kennt sich bestens mit den verschiedenen Lampentypen und ihrer Geschichte , schickt sogar Fotos von ihnen. Als ökonomischste Methode der Lampenbeschaffung empfiehlt er die Rekonstruktion in Deutschland – wohl auch, weil er aus der Filmbranche kommt.
Die Frage nach Original/Rekonstruktion wird mich noch weiter beschäftigen; Sie ist auch relevant für das ehemalige Wohnhaus von Thomas Mann und den Umgang damit. Zunächst einmal bin ich aber ganz glücklich, die Leuchten in ihrem räumlichen Zusammenhang vor Ort zu sehen.
Die Leuchten berichten, gerade wenn sie so eingewachsen und marode im Gebüsch stehen, von der Ambition der Stadt, ihrer Grandezza, von ihrer Fassadenhaftigkeit. In den 1920er bis 1940er Jahren installiert, standen sie hier, als Thomas Mann in sein neuerbautes Domizil im Bauhausstil einzog – das gegenüber den historisierenden, üppigen Lampen moderner war.
2016 erwarb der deutsche Staat das Haus und richtete es als Thomas Mann House als Aufenthaltsort für Stipendiaten, als Ort für Begegnungen und Veranstaltungen ein. Nikolai Blaumer, Programmdirektor, führt mich durch Haus und Garten. Die Bibliothek wird rekonstruiert, Bücher treffen ein, aus vielerlei Orten und Institutionen, u.a. Yale .
Der Eindruck: hier lässt es sich gut arbeiten. Die Einrichtung funktional, neu, bequem, ohne übermäßigen Luxus. Auch der Bezug zu Thomas Mann ist angenehm zurückhaltend: Einige Fotos, aber keine hagiographische Inszenierung, bei der die Person des ehemaligen Hausherrn einen auf Schritt und Tritt verfolgen würde. Begegne Stipendiaten, u.a. dem Germanisten Stefan Keppler-Tasaki. Wir sprechen über das Denkmalprojekt. Mit den Manns und deren Zeitgenossen kennt er sich gut aus.
Wie im Garten mit seiner hohen Hecke, so gibt es auch in der Architektur Elemente, die abgrenzten und einen eigenen Raum betonen: die von der Ecke des Arbeitszimmers nach vorn gezogene Mauer, die, auf Wunsch Thomas Manns angelegt, Blick- und Lärmschutz gewähren sollte.
Vom Garten aus hat man einen Blick hinüber zur Hügelkette mit dem ehemaligen Haus von Lion Feuchtwanger, heute als Villa Aurora ebenfalls Residenz, für Künstler, Schriftsteller, Musiker. Daneben liegt das Getty Museum. Noch weiter entfernt, thronend auf einer Anhöhe, das Getty Center. Die Gegend ist voller großer Namen, Institutionen und Gebäude.
Als ich vom San Remo Drive zurückkehre, erwische ich spurtend gerade den Bus, der in die Stadt fährt – mit derselben Busfahrerin wie bei der Hinfahrt – und lässig begrüßt mich ein Mann im mintfarbenen Shirt: „Take a seat, relax, cold drinks will be served.“ Kalifornische Entspanntheit.
Einige Tage später bin ich erneut im ehemaligen Haus der Manns. Francis Fukuyama hält einen kurzen Vortrag, nach dem Vorbild der Radio-Ansprachen „Deutsche Hörer!“ Thomas Manns in den 1940er Jahren. Fukuyama erwartet als Reaktion auf Trump ein Erstarken der Linken/Liberalen, und sieht „not too pessimistic“ in die Zukunft.
Beim kleinen Empfang danach treffe ich unter anderem zu meiner Überraschung Thomas Demand, der bereits seit zehn Jahren in LA lebt. Er legt mir im Hinblick auf das Denkmal Chris Burdens Installation aus hunderten von Straßenleuchten vor dem LACMA ans Herz. Sie hat es zum Liebling des Publikums, zum Wahrzeichen des Museums, ja sogar der Stadt gebracht, indem dort allgegenwärtige Elemente des öffentlichen Raums, mit dem sich Bewohner identifizieren, konzentriert zusammengebracht und streng nach ihrer Größe geordnet sind – so dass sich der Eindruck einer mehrschiffigen Halle ergibt, die zum Flanieren einlädt. Die Installation ist zudem äußerst fotogen.
Ich fühle mich für einen Moment den Stipendiaten zugehörig; es sind neben denen des Thomas-Mann-Hauses auch welche von der Villa Aurora da. LA erweist sich als interessanter Hotspot, trotz oder gerade wegen der starken Kontraste, von architektonischen Landmarks und grassierender Obdachlosigkeit, von Glanz und Verwahrlosung.
Ich bedaure es, dass ich nicht noch länger bleiben kann. Die Weiterreise nach Brasilien steht an, nach São Paulo, damit der letzten Station.
Dabei werde ich zufällig jetzt, am Ende des Aufenthalts, zur Evakuierung aufgefordert: es brennt. Als beim Besuch in der Villa Getty, einer rekonstruierten Villa aus Pompeji, Rauchwolken am Himmel stehen und es Asche regnet, ist das seltsam passend.