Anfänge – Berlin – Nachbarschaften

Zurück zu den Anfän­gen: Im Juni 2018, vor sechs Jah­ren also, radel­te ich zur Tho­mas-Mann-Stra­ße in Ber­lin. In mei­nem hand­schrift­li­chen Tage­buch steht als Résu­me: „Idee für Denk­mal ver­fes­tigt sich: Stra­ßen­schil­der.“ Beim Besuch ging es zunächst aber nur um ein ers­tes Sam­meln von Ideen, um eine Anre­gung durch den Ort. Ich hat­te gese­hen, dass es dort, neben der Stra­ße, ein nach Tho­mas Mann benann­tes Schwimm­bad gibt; und viel­fäl­ti­ge Asso­zia­tio­nen stell­ten sich ein: Schwimmen‑Wellen‑Wasser‑Tod in Venedig‑Tadzio …

Die Stra­ße liegt im ehe­ma­li­gen Ost-Ber­lin, im Prenz­lau­er­berg, zweigt ab von der Greifs­wal­der, Rich­tung Wei­ßen­see. Sie wur­de 1976 nach Tho­mas Mann benannt, also zu DDR-Zei­ten. Die­se Ver­or­tung lässt sich auch erin­ne­rungs­po­li­tisch an den wei­te­ren Stra­ßen­be­nen­nun­gen, an den Nach­barn von Tho­mas Mann able­sen: Am sel­ben Pfos­ten ist der Name des Kom­po­nis­ten Hanns Eis­ler ange­bracht. Er floh wie Mann vor dem Natio­nal­so­zia­lis­mus, emi­grier­te in die USA. Bei­de kann­ten sich, tra­fen sich im Exil, hat­ten teils ähn­li­che Inter­es­sen, z.B. am Faust-Stoff. Inso­fern ergibt eine räum­li­che Nähe Sinn. Die poli­ti­sche Zuord­nung Tho­mas Manns wird aber noch deut­li­cher, wenn man sich das wei­te­re Umfeld ansieht:

Jen­seits der Greifs­wal­der setzt sich die Stra­ße in der Erich-Wei­nert-Stra­ße fort, benannt nach dem Schrift­stel­ler, der wäh­rend des NS-Regimes u.a. in die Sowjet­uni­on emi­grier­te und nach sei­ner Rück­kehr in der DDR Funk­tio­närs­rol­len übernahm.

Tho­mas Mann, des­sen poli­ti­sche Ver­or­tung nicht ganz ein­fach war, zwi­schen Kon­ser­va­tis­mus und Sozia­lis­mus, ist also in einen ganz bestimm­ten Zusam­men­hang von lin­ken, anti­fa­schis­ti­schen „Kul­tur­schaf­fen­den“ und Zeit­ge­nos­sen gestellt. In jeder Stadt, das wird sich noch bei den wei­te­ren Recher­chen und Rei­sen zei­gen, sieht die­ser Kon­text anders aus, mal sind es inter­na­tio­na­le Schrift­stel­ler­kol­le­gen, wie Gust­ave Flau­bert und Geor­ge San­des in Rom, mal ist es der Kreis der Fami­lie wie in Mün­chen, wo es auch bio­gra­phi­sche Anknüp­fungs­punk­te gibt. Die­se Zusam­men­hän­ge und Nach­bar­schaf­ten sind Teil der Gedächt­nis­kul­tur. In Stra­ßen­schil­dern und den Namen der Per­sön­lich­kei­ten auf ihnen drückt sich Wert­schät­zung aus – aber auch poli­ti­sche Set­zung und zeit­ge­bun­de­ne Mentalität.

Ein Stra­ßen­na­me steht außer sol­chen bewuß­ten Arran­ge­ments und Kon­zep­ten der Anord­nung im all­täg­li­chen urba­nen Umfeld, wird durch es beein­flusst, über­la­gert. Es erge­ben sich skur­ril anmu­ten­de Bezie­hun­gen; so steht in Ber­lin der Stra­ßen­na­me im Schat­ten eines rie­si­gen roten drei­di­men­sio­na­len Hin­weis­pfeils auf eine Apo­the­ke. Lite­ra­tur als Heil­mit­tel, könn­te man asso­zi­ie­ren.
Stra­ßen­schil­der sind zunächst funk­tio­na­le Zei­chen, zur Ori­en­tie­rung, zur Anga­be einer Adres­se. In Ber­lin fin­den sich Haus­num­mern unter dem Namens­schild, um eine Stra­ße in Abschnit­te zu glie­dern. Wenn man es aus die­sem funk­tio­na­len Zusam­men­hang löst, es frei­stellt, so däm­mer­te es mir spä­ter, tritt die Gedächt­nis­funk­ti­on kla­rer hervor.

Inter­es­sant, da orts- und zeit­ty­pisch, ist auch die typo­gra­phi­sche Gestal­tung: Schwarz auf Weiß, im Gegen­satz zu der in den meis­ten Städ­ten, etwa in Mün­chen, ver­wen­de­ten Vari­an­te Weiß auf Blau, eine seri­fen­lo­se Schrift, was Stren­ge und eine gewis­se Här­te ver­mit­telt. Die Schrift­ty­pe ist spe­zi­ell, ele­gant, mit dem scharf-ecki­gen „ß“, an dem die Zusam­men­set­zung aus einem lan­gen „s“ und einem „z“ noch deut­lich ables­bar ist. Hier han­delt es sich nicht um einen DDR-Font, den man ander­er­orts auch noch fin­det, son­dern um eine neu­sach­li­che Gro­tesk­schrift aus den 1920ern (Erbar Gro­tesk), die sich ab den 1930er Jah­ren in Ber­lin ver­brei­te­te – und damit zu Leb­zei­ten von Tho­mas Mann -, nach der Wen­de dann (wie­der) für zu erset­zen­de oder neue Stra­ßen­schil­dern in den Ost­tei­len verwendet.

Was für den Stand­ort wei­ter cha­rak­te­ris­tisch ist: die Stra­ßen­leuch­te, mit dem Mast aus Guss­be­ton, mit einem nach unten offe­nen, orna­men­tal gerif­fel­ten Glas­zy­lin­der. Hier han­delt es sich tat­säch­lich noch um ein DDR-Fabrikat.


Zeit­lich­keit lässt sich neben der Schrift aus Mate­ria­li­tät und Zustand der Schil­der able­sen. Sie ver­wit­tern, Staub lagert sich ab; es bil­den sich schwar­ze Spu­ren, Strei­fen, die Son­ne bleicht die Schrift aus, sie ist z.B. auf einem Schild fast ver­schwun­den, kaum noch les­bar; ähn­lich wie Inschrif­ten auf alten Grabsteinen.

Auf der Rück­fahrt kom­me ich an einem Fried­hof in Mit­te vor­bei, ich glau­be, es ist der Alte Gar­ni­sons­fried­hof, wo ich vor Jah­ren jen­seits der Fried­hofs­mau­er eine Schich­tung, einen Hau­fen von Stra­ßen­schil­dern gese­hen hat­te, die wohl für eine Bau­stel­le demon­tiert waren, die Lini­en­stra­ße, Gor­mann­stra­ße etc. Dar­an erin­ner­te ich mich jetzt und suche Fotos wie­der her­aus, die ich damals gemacht habe, 2008 war das.

Und es keimt die Idee, dass eine Instal­la­ti­on mit Stra­ßen­schil­dern ein Erin­ne­rungs­zei­chen für die Manns sein könn­te. Doch zunächst will ich wei­te­re nach den Manns benann­te Stra­ßen auf­su­chen, in ande­ren Städ­ten, als nächs­tes in Mün­chen, wo auch das Denk­mal ste­hen soll.