Am 6.10. bin ich erneut zu einem Ortstermin in Frankfurt: zur Übergabe der Straßenschilder vom Klaus-Mann-Platz, die Bestandteil des Denkmals für die Familie Mann in München sein werden.
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Curitiba – Straßen, Namen, Leuchtturm
Nachts im Bus nach Curitiba, einer Großstadt etwa sechs Stunden von São Paulo Richtung Westen, wo es eine weitere Rua Thomas Mann gibt, die ich noch besuchen will. Klasse „Leita“ („Bett“) – die Sitze lassen sich fast bis zur Waagrechten klappen, es ruckelt trotzdem ganz schön. Freue mich darauf, dem Freitag-Feiertagsbetriebs des Allerheiligentages in São Paulo zu entfliehen, in aller Frühe (4.30) in einer Stadt anzukommen, deren Name mir bis dahin unbekannt war.
Die Luft ist mild, kühler als in São Paulo, es zwitschern Vögel, große Bäume am Busbahnhof, ihr mattes Grün in der Dämmerung angenehm. Es wird Tag. Pastellfarbene Hochhäuser tauchen auf, Schnellstraßen. Curitiba scheint wie eine sauberere, grünere und kleinere Version von São Paulo (bei 1,7 gegenüber 12 Millionen Einwohnern), in der sich die Stadtutopien der 1950er und 60er Jahre entfalten konnten und nicht überwuchert wurden. Hellviolette Blüten an den Bäumen und auf dem Pflaster.
Warten auf einen Bus, neben einer Hinweistafel zur Stadtgeschichte, mit Klebebuchstaben, die sich gelöst haben. Abgeblättert ergeben sich neue Kombinationen und Wörter.
Das Oskar-Niemeyer-Museum – mir bislang unbekannt und riesig, wie die Bauwerke und Monumente des Brasilia-Architekten allgemein: ein auf einem Pfeiler-Sockel schwebender Körper, durch zwei flach gespannte und spitz aufeinandertreffende Bögen gebildet, an den Seiten verglast, durchaus beeindruckend. Keine Furcht vor großen Zeichen und Formen, eine Architektur-Skulptur. Vielleicht zu viel „Zeichen“. Auge-Sehen-Kunst-Museum – die Assoziationskette läuft mir zu glatt ab.
Mit einem Leihrad, das gerade jemand vor dem Museum abstellt, Richtung Rua Thomas Mann. Trickreich: man darf sich nur innerhalb eines bestimmten Gebietes bewegen und nur dort das Rad abstellen. Radle los, einem Radweg nach Norden entlang. Unterwegs komme ich an einer Ansammlung niedriger weißgestrichener Holzhäuser vorbei, die an ein Schtetl erinnert, ein Freilichtmuseum und zugleich Gedenkort an die polnischen Immigranten im 18. und 19. Jahrhundert nach Brasilien (Bosque João Paulo II.). Diese Präsenz europäischer Migration, gerade aus Mittel- und Osteuropa, lässt wiederum an die Familie Mann denken, in der Thomas‘ Großvater mütterlicherseits, Johannes Ludwig Bruhns, von Lübeck nach Brasilien übersiedelte – ich hatte über diese Geschichten der Einwanderung ja auch einiges in São Paulo erfahren, unter anderem im Gespräch mit Matthias Makowski und Jörg Hayer vom Goethe-Institut.
Hier in Curitiba führt der Weg zu einem Park und See. Weiter reicht die Zone nicht – abstellen und zu Fuß weiter. Am Rande des Parks will ich abkürzen und stoße auf einen Drahtzaun – ein Loch lässt mich durchschlüpfen. Dahinter Urwald – oder was ich mir darunter vorstelle. Der Boden dicht bewachsen mit Farnen und Gebüsch. Wie auf einem Bild von Thomas Struth. Angrenzend Grundstücke, Mauern, Zäune. Um herauszukommen, muss ich über einen klettern.
Durch eine Gegend mit kleinen und größeren Villen. Danach wird es sehr ländlich, niedrige einstöckige Häuser, neben der Straße ein Bach mit Hütten und Gärten. Hier haben sich als erste polnische Einwanderer niedergelassen, wie ich später erfahre, und in der Tat könnte man sich an osteuropäische Landstriche erinnert fühlen.
Endlich die Rua Thomas Mann, im Viertel Barreirinha, wie auf den Schildern quasi als Untertitel steht. Unspektakulär, eine ganz normale Straße – und gerade darin interessant. Die Straße scheint „ein ganz klein wenig netter als die in São Paulo“. So schrieb mir nach einem virtuellen Rundgang schon Fredric Kroll, Experte für die Familie Mann, besonders für Klaus, und deren Rezeption. Und in der Tat, jetzt vor Ort wird das auch im Detail sichtbar: Der Mast ist weniger bröckelig, das Schild unzerknautscht, in besserem Zustand als sein dortiges Pendant. Intelligent die Anbringung, die ohne Verschraubung auskommt.
Gerade als ich Fotos mache, nähert sich ein Auto mit offener Heckklappe, den Kofferraum voller Kartons, und hält an der Einmündung zur Hauptstraße, unter dem Straßenschild. Per Lautsprecher werden Haushaltswaren wie Töpfe, Pfannen angeboten. Einbruch der Gegenwart und schöner Kontrast zu „Thomas Mann“.
Der Mast am anderen Ende der Straße ist sogar mit zwei Leuchten bestückt, die in unterschiedliche Richtungen weisen – und ganze Bündel von Leitungen laufen auf ihn zu, führen von ihm weg. Thomas Mann als Knotenpunkt im Beziehungsgeflecht, könnte man frei assoziieren. Auch sein Name ist eingebettet in ein Assoziationsfeld: Die Nachbarstraße ist benannt nach einem Namensvetter und europäischen Schriftstellerkollegen, der freilich einer ganz anderen Epoche angehört, Thomas Morus, Autor von „Utopia“. Vielleicht lief die Auswahl der Straßennamen tatsächlich über den gleichen Vornamen und den Anklang des Nachnamens. Auch fungieren weiter überwiegend philosophische Schriftsteller wie Montesquieu und Voltaire als Namensgeber, und es könnte sein, dass Thomas Mann hier in seiner Eigenschaft eben weniger als Romancier denn als politisch-philosophischer Schriftsteller und Essayist gewählt wurde.
Interessant in puncto „Stadtmobiliar“ finde ich auch die Müllständer vor den Häusern. Auf Metallpfosten, um Abstand zum Boden zu schaffen und Ratten und Ungeziefer fernzuhalten, thronen skulpturale korbartige Behälter, in die man seine Mülltüten stellen kann. Boden und Seitenflächen sind ornamental durchbrochen, was der Belüftung zugute kommt. Die Anwohner haben die Ständer variiert und angepasst, sie sehen immer etwas anders aus.
In der Nähe zeichnet sich hinter einer Schule und Bäumen ein seltsames Bauwerk in leuchtenden Farben ab, ein Leuchtturm, wie man ihn hier im Binnenland nicht erwarten würde. Es ist der „Farol do Saber Antonio Machado“, eine kommunale Bibliothek, eingerichtet 1996. Von diesen Turm-Bibliotheken hat die Gemeinde Curitiba über 40 im Stadtgebiet verteilt. Die Bibliothek ist gleichzeitig auch Denkmal für den spanischen Schriftsteller Antonio Machado, 1875 geboren, im selben Jahr wie Thomas Mann! Inspiriert ist der Bau inspiriert vom legendären Leuchtturm und der Bibliothek des antiken Alexandria, zwei ganz unterschiedlichen Einrichtungen, die jetzt hier symbolisch verknüpft werden – was aber besonders interessiert, da Stadt und Name für mich Ausgangspunkt mehrerer Rechercheunternehmen und Installationen waren, siehe das Projekt ENCYCLOPEDIALEXANDRINA. Diese Bezugnahme lässt die hohe Bedeutung erahnen, die man an einer Stadtteilbibliothek beimisst, ein Leuchtturmprojekt gewissermaßen für das Stadtviertel. Ein schöner Zufall, dass die Leuchten-Metapher sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet zu den Straßennamen-Leuchten mit dem Namen Thomas Mann.
Zurück zum Park, zum Rad, das da noch steht, dann wieder in die Innenstadt – mit einem Zwischenstopp an einem monumental-pompösen Granit-Denkmal für die Unabhängigkeit der Provinz Paraná aus den 1950er Jahren (Platz des 19. Dezember) – zum Busbahnhof. Rückfahrt nach São Paulo. Sehne mich nach Ruhe.
Im Bus Notizen über Curitiba und das Gesehene – doch dann stürzt word ab, die Datei ist verschwunden. Nur noch vage Erinnerungen an einen Text und einen Aufenthalt, den ich viel später versuche zu rekonstruieren.
São Paulo, Rua Thomas Mann – wie hoch gehängt?
Von Los Angeles nach São Paulo, auf der Suche nach den Manns, nach Straßennamen und ‑leuchten. Zunächst hatte ich gedacht, einmal auf dem amerikanischen Kontinent, fahren wir auch nach Südamerika – und die Strecken unterschätzt. Was auf der Karte nur eine Handspanne entfernt scheint, sind in Wirklichkeit ca. 10 000 km Luftlinie. Auf dem Landweg innerhalb des gesetzten Zeitrahmens kaum möglich – also doch wieder ein Langstreckenflug.
Die Entfernung ist auch groß bezogen auf die Manns, ihre Biographien und ihre Rezeption: In Nordamerika lebten und arbeiteten sie lange Jahre, wurden teils auch US-Staatsbürger; Michael blieb dort, Elisabeth ging nach Kanada. Trotz dieser Präsenz haben sie keine Spuren in Form von Straßennamen hinterlassen.
Auf dem südamerikanischen Kontinent dagegen war von den Manns kaum jemand, und Thomas schon gar nicht. Trotzdem gibt es mehrere Straßen, die nach ihm benannt sind, unter anderem in São Paulo und Curitiba. Womit hängt das zusammen? Wohl mit dem hohen Stellenwert von Literatur in Südamerika allgemein und der Migrationsgeschichte von Deutschen zwischen diesem Kontinent und Europa im Besonderen, wie sie gerade in der Familie Mann deutlich wird: Manns Mutter Julia Silva-Bruhns stammte aus Brasilien, als Tochter von Maria de Silva, aus portugiesischer Familie, und des Lübecker Kaufmanns Johann Ludwig Bruhns, der nach Brasilien ausgewandert war und dort, in São Paulo, eine Firma gegründet hatte. Nach dem Tod seiner Frau ging er mit seinen Kindern nach Lübeck zurück.
In der Biblioteca Mario de Andrade, der zentralen Stadtbibliothek in São Paulo, entdecke ich in der Sektion zur Geographie Brasiliens, neben Würdigungen brasilianischer Fußballspieler, auch eine Biographie der Brüder Mann. Die gehören also auch zur hiesigen (Kultur)Landschaft. Nigel Hamilton betont das brasilianische Erbteil der Mutter und ihren Einfluss auf die literarische Karriere der Söhne, auch ihre politische Haltung: Gerade Heinrich habe viel von der Mutter geerbt, den kämpferischen, leidenschaftlichen, radikalen Geist, während Thomas eher dem Vater nachgeschlagen sei … Nichtsdestotrotz sind Straßen nach Thomas, nicht nach Heinrich benannt.
Die Rua Thomas Mann in São Paulo ist eine Seitenstraße im nördlichen Quartier Casa Verde, wieder einmal etwa anderthalb Stunden Busfahrt vom Zentrum aus, geprägt durch eine Mischung von kleinen Läden, Restaurants und Autowerkstätten. Von Ästhetik ist hier im praktisch-angewandten Sinn die Rede: „Estetica automobilista“ heißt eine Werkstatt, wo geschliffen und lackiert wird.
Thomas Mann befindet sich in Gesellschaft von brasilianischen und internationalen Schriftstellerkollegen, wie dem portugiesischen Lyriker Armando da Silva Carvalho, nach dem die Hauptstraße benannt ist, aber auch von Intellektuellen, die mit Sprache insgesamt zu tun hatten: eine Querstraße zuvor trägt den Namen des Esperanto-Begründers Zamenhof.
Es gibt zwei Arten von Straßenschildern: die offensichtlich älteren an Hauswänden, mit einem weiteren Schild mit Zusatzinformation zur Person, hier „escritor“ und den Lebensdaten. Durch gelben Putz sind die Schilder hier eingerahmt und teilweise überdeckt, sehen aus wie festgemörtelt. Da sie so mit der Architektur verbunden sind, wäre es schwierig, sie in München zu integrieren. Und in dem Fall, bei dem ich schon vorhabe, ein Schild an eine Wand anzubringen, der Rue Thomas Mann aus Paris, muss ich mich noch mit dem Denkmalschutz auseinandersetzen. Zum Glück gibt es aber auch die Variante der Schilder an den Leuchten.
Das Straßenschild weiter unten ist arg zusammengeknickt und ‑gestaucht. Es sieht aus, also ob ein Olaf Metzel hier zu Werke gegangen sei, gewinnt aber gerade in seinen Faltungen eine plastisch-dekonstruktivistische Qualität, die mir sehr gut gefällt. Am liebsten würde ich es gleich mitnehmen.
Wahrscheinlich sind es hohe LKWs gewesen, die das Schild touchiert haben. Wie hoch ist es eigentlich gehängt? Das interessiert mich, auch im Hinblick auf die Münchener Installation.
In der Hauptstraße gehe ich auf die Suche nach einem Werkzeug zum Messen. Im Laden einer alten Dame, die Katzenfutter und Waschmittel anbietet, werde ich leider nicht fündig. In einem Geschäft für Haushalts- und Handwerksbedarf (in Italien wäre es eine mesticceria) sehe ich Meterstäbe, kürzer als die europäische Variante, dafür dicker. Ich entscheide mich dann aber für ein gelbes Metallmaßband. Und messe am Mast herum, messe, wie hoch das Schild mit dem Namen Thomas Mann gehängt ist. Gar nicht so einfach, denn das Band mit seinen drei Metern reicht nicht bis hinauf. Es sind 3,40 Meter, damit höher als in München.
Früh gehen die Straßenleuchten an, etwa um halb sechs, noch vor der Dämmerung. Allerdings nur in manchen Straßenzügen, den Hauptstraßen. Die Seitenstraßen und damit auch die Rua Thomas Mann bleiben noch unbeleuchtet. Es scheint sich um ein Energiesparkonzept zu handeln, das bestimmte Straßenzüge priorisiert – so wie Fluggäste in der 1. Klasse das Essen zuerst bekommen. Ich drehe mehrere Runden, man kennt mich inzwischen im Viertel schon, und endlich gehen auch die Leuchten in den Seitenstraßen an, geben ein rötlich-gelbes Licht – bis auf die eine in der Rua Thomas Mann! Als ob sie sich bewusst verweigern würde. Das könnte überhaupt ein weiteres Konzept sein, um Verbindung und Transfer zu verdeutlichen: Jeweils die eine Lampe leuchtet nicht – aber dafür ihr Pendant in München! Das Licht wäre gleichsam umgeschaltet, umgezogen.
Ich räume das Feld und hoffe, in den nächsten Tagen von der Stadtverwaltung eine Leuchte bekommen zu können. Auf der Rückfahrt durch die dunkelnde Stadt schlafe ich im Bus ein, trotz des Stop-and-Go im Feierabendverkehr.
Pacific Palisades – Licht, Schatten und Feuer
1941 siedelten Katia und Thomas Mann von Princeton an die Westküste, nach Los Angeles über – ausschlaggebend ist die Aussicht, in einer selbstgebauten, nicht mehr gemieteten Villa wohnen zu können, damit den Emigrantenstatus hinter sich zu lassen und in den USA Wurzeln zu schlagen. Dazu kommen Landschaft und Wetter: „der Himmel ist hier fast das ganze Jahr heiter und sendet ein unvergleichliches, alles verschönendes Licht“ (TM an Hermann Hesse).
Mich hatte man dagegen gewarnt: „You may give going to LA some serious thought. Things there are pretty tough.“ So zum Beispiel ein Fahrer, mit dem ich an der Ostküste, in Maine unterwegs war.
Und auch Georg Blochmann, Direktor des Goethe-Instituts in New York, zeichnet ein düsteres Bild: LA sei ein Symbol für das Scheitern des American Dream, mit extremer sozialer Segregation und der Dysfunktionalität öffentlicher Infrastruktur, unter anderem des Nahverkehrs.
Es wird beim Aufenthalt um Kontraste gehen. Im Sozialen, zwischen öffentlich und privat, dem Licht der Metropole und ihren Schattenseiten.
Insofern interessiert mich der öffentliche Nahverkehr, und wie sich damit in dieser vom Auto dominierten Stadt der Weg zum ehemaligen Haus von Thomas Manns bewältigen lässt – auch wenn der in LA nie mit dem Bus, sondern immer im eigenen Wagen gefahren ist bzw. wurde (er hatte keinen Führerschein, im Gegensatz zu Katia und seinen Kindern, von denen besonders Erika und Elisabeth leidenschaftliche Autofahrer waren, wohl ein Terrain der weiblichen Manns).
Es dauert alles recht lang, funktioniert aber insgesamt überraschend gut. Wieder werden es die auch für andere Städte schon typischen anderthalb Stunden, um vom Stadtzentrum zum mit den Manns verbundenen Ziel zu kommen. Es geht nach Pacific Palisades, am hügeligen Westrand der Metropole. Diesmal liegen an der Peripherie keine Problemviertel oder Pendlervorstädte, sondern Villen. Mit dem Bus Richtung Santa Monica und Beverly Hills, dann in Westwood ein weiterer;
An der Haltestelle Sunset/Capri aussteigen, den San Remo Drive hinauf. Schon die Bezeichnung „Drive“ deutet darauf hin, dass man sich hier normalerweise (auto)fahrend fortbewegt. Üppige Gärten, Palmen, es wird gekehrt, gemäht, meist von Hispanics oder Schwarzen. Nach mehreren Wendungen eine Stelle, die mir aus meinen virtuellen Rundgängen per Google Earth bekannt vorkommt, wo hohe Hecken und Bäume eine mauerartige Ecke bilden, hinter der dornröschenhaft das Haus liegt. Hier scheint sich wieder das Bedürfnis nach Privatheit zu manifestieren; und die Zeit hat das Übrige getan.
Eine Leuchte ist im Gebüsch eingewachsen. Eine weitere steht der Einfahrt von Nr. 1550 gegenüber; an ihr die Straßennamen „Monaco Drive“ und „San Remo Drive“, was das Mittelmeer, die mondänen Küstenstädten der Riviera (das Viertel heißt auch so) aufruft, an deren Flair Los Angeles gerne teilhat. Doch könnte man (italienisch) „Monaco“ auch mit „München“ assoziieren, und wäre damit bei Thomas Manns früherem Wohnsitz.
Wie in New York ist interessant, wer für die Leuchten zuständig ist und Informationen dazu geben kann. Es ist das städtische Bureau of Lighting, dem ich einen Besuch abgestattet habe. Doch nehmen in dieser „residential neighborhood“ auch die Anwohner selbst Anteil. Bob Gale, Autor des Drehbuchs und Co-Produzent von „Zurück in die Zukunft“ wohnt in der Gegend (übrigens auch Armin-Mueller-Stahl, der Thomas Mann in der Serie „Die Manns“ verkörperte), ist Präsident des hiesigen Hausbesitzervereins und kennt sich bestens mit den verschiedenen Lampentypen und ihrer Geschichte , schickt sogar Fotos von ihnen. Als ökonomischste Methode der Lampenbeschaffung empfiehlt er die Rekonstruktion in Deutschland – wohl auch, weil er aus der Filmbranche kommt.
Die Frage nach Original/Rekonstruktion wird mich noch weiter beschäftigen; Sie ist auch relevant für das ehemalige Wohnhaus von Thomas Mann und den Umgang damit. Zunächst einmal bin ich aber ganz glücklich, die Leuchten in ihrem räumlichen Zusammenhang vor Ort zu sehen.
Die Leuchten berichten, gerade wenn sie so eingewachsen und marode im Gebüsch stehen, von der Ambition der Stadt, ihrer Grandezza, von ihrer Fassadenhaftigkeit. In den 1920er bis 1940er Jahren installiert, standen sie hier, als Thomas Mann in sein neuerbautes Domizil im Bauhausstil einzog – das gegenüber den historisierenden, üppigen Lampen moderner war.
2016 erwarb der deutsche Staat das Haus und richtete es als Thomas Mann House als Aufenthaltsort für Stipendiaten, als Ort für Begegnungen und Veranstaltungen ein. Nikolai Blaumer, Programmdirektor, führt mich durch Haus und Garten. Die Bibliothek wird rekonstruiert, Bücher treffen ein, aus vielerlei Orten und Institutionen, u.a. Yale .
Der Eindruck: hier lässt es sich gut arbeiten. Die Einrichtung funktional, neu, bequem, ohne übermäßigen Luxus. Auch der Bezug zu Thomas Mann ist angenehm zurückhaltend: Einige Fotos, aber keine hagiographische Inszenierung, bei der die Person des ehemaligen Hausherrn einen auf Schritt und Tritt verfolgen würde. Begegne Stipendiaten, u.a. dem Germanisten Stefan Keppler-Tasaki. Wir sprechen über das Denkmalprojekt. Mit den Manns und deren Zeitgenossen kennt er sich gut aus.
Wie im Garten mit seiner hohen Hecke, so gibt es auch in der Architektur Elemente, die abgrenzten und einen eigenen Raum betonen: die von der Ecke des Arbeitszimmers nach vorn gezogene Mauer, die, auf Wunsch Thomas Manns angelegt, Blick- und Lärmschutz gewähren sollte.
Vom Garten aus hat man einen Blick hinüber zur Hügelkette mit dem ehemaligen Haus von Lion Feuchtwanger, heute als Villa Aurora ebenfalls Residenz, für Künstler, Schriftsteller, Musiker. Daneben liegt das Getty Museum. Noch weiter entfernt, thronend auf einer Anhöhe, das Getty Center. Die Gegend ist voller großer Namen, Institutionen und Gebäude.
Als ich vom San Remo Drive zurückkehre, erwische ich spurtend gerade den Bus, der in die Stadt fährt – mit derselben Busfahrerin wie bei der Hinfahrt – und lässig begrüßt mich ein Mann im mintfarbenen Shirt: „Take a seat, relax, cold drinks will be served.“ Kalifornische Entspanntheit.
Einige Tage später bin ich erneut im ehemaligen Haus der Manns. Francis Fukuyama hält einen kurzen Vortrag, nach dem Vorbild der Radio-Ansprachen „Deutsche Hörer!“ Thomas Manns in den 1940er Jahren. Fukuyama erwartet als Reaktion auf Trump ein Erstarken der Linken/Liberalen, und sieht „not too pessimistic“ in die Zukunft.
Beim kleinen Empfang danach treffe ich unter anderem zu meiner Überraschung Thomas Demand, der bereits seit zehn Jahren in LA lebt. Er legt mir im Hinblick auf das Denkmal Chris Burdens Installation aus hunderten von Straßenleuchten vor dem LACMA ans Herz. Sie hat es zum Liebling des Publikums, zum Wahrzeichen des Museums, ja sogar der Stadt gebracht, indem dort allgegenwärtige Elemente des öffentlichen Raums, mit dem sich Bewohner identifizieren, konzentriert zusammengebracht und streng nach ihrer Größe geordnet sind – so dass sich der Eindruck einer mehrschiffigen Halle ergibt, die zum Flanieren einlädt. Die Installation ist zudem äußerst fotogen.
Ich fühle mich für einen Moment den Stipendiaten zugehörig; es sind neben denen des Thomas-Mann-Hauses auch welche von der Villa Aurora da. LA erweist sich als interessanter Hotspot, trotz oder gerade wegen der starken Kontraste, von architektonischen Landmarks und grassierender Obdachlosigkeit, von Glanz und Verwahrlosung.
Ich bedaure es, dass ich nicht noch länger bleiben kann. Die Weiterreise nach Brasilien steht an, nach São Paulo, damit der letzten Station.
Dabei werde ich zufällig jetzt, am Ende des Aufenthalts, zur Evakuierung aufgefordert: es brennt. Als beim Besuch in der Villa Getty, einer rekonstruierten Villa aus Pompeji, Rauchwolken am Himmel stehen und es Asche regnet, ist das seltsam passend.